Meinung

Von Krieg und Frieden – Oskar Lafontaine beim Pleisweiler Gespräch

Kontrolle über die Welt - das ist der klare Machtanspruch der USA. Das unterstrich der Ex-Vorsitzende von SPD und Linkspartei Oskar Lafontaine bei den Pleisweiler Gesprächen. Es war eine Rede der geopolitischen Vernunft und eine Abrechnung mit der reaktionären Außenpolitik der Bundesregierung.
Von Krieg und Frieden – Oskar Lafontaine beim Pleisweiler GesprächQuelle: www.globallookpress.com © Oliver Dietze

Von Gert Ewen Ungar

Im Rahmen der von den Nachdenkseiten veranstalteten Reihe Pleisweiler Gespräche sprach Oskar Lafontaine (Parteigründer der Partei Die Linke, heute parteilos) am 17. September über die Ost- und Russlandpolitik der aktuellen Regierung. Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist der Ukraine-Krieg. Die Nachdenkseiten veröffentlichten auf ihrer Webseite diese beachtenswerte Rede.

Albrecht Müller, Gründer der Nachdenkseiten und in den 60er und 70er Jahren Planungschef im Kanzleramt, leitet den Abend ein und weist gleich zu Beginn auf eine offenkundige Dysfunktionalität der aktuellen demokratischen Kultur in Deutschland hin: Trotz des Bekanntheitsgrads Lafontaines sind keine Pressevertreter anwesend. Der veröffentlichte Diskurs bildet vom Mainstream abweichende Meinungen nicht ab, nicht einmal kritisch. Wenn es aufgrund der nachrichtlichen Relevanz nicht anders geht, dann diskriminierend und diffamierend, wie zur Zeit der Demonstrationen gegen die staatlich verordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Selbst journalistische Formate wie die Tagesschau griffen zur Beschreibung der Maßnahmen-Gegner zu diffamierenden Begriffen wie "Coronaleugner" und "Verschwörungstheoretiker" und stellten sie unter den Generalverdacht rechter Gesinnung. In den Beiträgen vermischten sich Meinung und Bericht – eigentlich ein Anfängerfehler, der aber systematisch angewandt aus Journalismus Propaganda werden lässt. In Deutschland ist Letzteres der Fall. 

Aus diesem Grund ist die Initiative Müllers und seiner Redaktion beachtenswert. Aus der Webseite, die sich zunächst vor allem kritisch mit der Agenda-Politik der ersten rot-grünen Bundesregierung auseinandersetzte, ist inzwischen ein ganzes Netzwerk zivilgesellschaftlichen Engagements gewachsen, das einen Beitrag zur demokratischen Kultur in Deutschland leistet. Deutschland hat es bitter nötig. Müller und die Macher der Nachdenkseiten werden für dieses an sich lobenswerte Engagement der Demokratieförderung vom Mainstream im Gegenzug durch den Kakao gezogen und in die rechte Ecke gestellt. Der Zustand der großen Medien in Deutschland ist bedenklich. Umso wichtiger sind Formate wie die Nachdenkseiten und die Ausweitung ihres Leserkreises. Es ist in Deutschland inzwischen schon ein Zeichen von Mut, sich auch aus Quellen außerhalb des Mainstreams zu informieren. Wer sich dazu bekennt, wird schnell offen angegriffen.

Oskar Lafontaine liefert in seinem Redebeitrag eine klare geopolitische Analyse. Die USA haben den offen formulierten Anspruch, alleinige Weltmacht zu sein. Durch den Aufstieg von China und Russland ist der Führungsanspruch der USA bedroht. 

Mit dem Anspruch, alleinige Führungsmacht zu sein, können die USA aber nicht gleichzeitig einem Verteidigungsbündnis vorstehen, wie es die NATO zu sein vorgibt. Lafontaine macht auf diesen Widerspruch aufmerksam. Das System des Westens ist auf Herrschaft und Expansion angelegt, nicht auf grenzwahrende Selbstverteidigung. Die USA als Führungsmacht der NATO verträgt sich nicht mit der defensiven Selbstbeschreibung des transatlantischen Bündnisses. Die NATO wie auch die USA streben nach Ausweitung ihrer Macht und nach Kontrolle über die Welt. Das ist der klar und unmissverständlich formulierte Anspruch der USA.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Krieg in der Ukraine zu sehen. Er ist ein klassischer Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite. Es geht dabei weder um Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine noch um Menschenrechte und Demokratie, sondern lediglich um geopolitische Einflusssphären und Macht. 

Die Einbettung der Ukraine ins westliche Bündnis sei seit langem geplant, weist Lafontaine nach. Lafontaines Ausführungen zur langfristigen geostrategischen Planung der USA werden durch die tatsächlichen historischen Abläufe belegt. Auf dem NATO-Gipfel von 2008 in der rumänischen Hauptstadt Bukarest öffnete das Bündnis seine Türen für eine Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens.

Nach dem Putsch von 2014 änderte die Ukraine ihre Verfassung und gab ihren in der Verfassung verankerten Status der Neutralität auf. In der neuen Verfassung ist nun das Ziel der NATO-Mitgliedschaft festgeschrieben. Trotz dieser Entwicklung wiegelte Bundeskanzler Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Moskau die Befürchtungen Russlands ab. Ein Beitritt stünde nicht bevor. Die Entwicklung belegt jedoch eine klare Annäherung und den beidseitigen Willen zur Integration der Ukraine in das Bündnis – gegen die ausdrücklichen Bedenken Russlands. 

2019 kündigten die USA zudem einseitig den INF-Vertrag, mit dem sich die UdSSR und die USA auf die Vernichtung aller atomwaffenfähigen Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa einigten. Lafontaine weist auf die Proteste der Friedensbewegung am Pershing-2-Stützpunkt Mutlangen in den 80er Jahren hin. Er war ebenso anwesend wie auch der Schriftsteller Heinrich Böll und die Gründungsmitglieder der Grünen Petra Kelly und Gert Bastian. Selbst ich war dort. Die damalige Friedensbewegung sah die gefährliche Entwicklung und protestierte. Heute, angesichts einer weit dramatischeren Entwicklung, fällt die Friedensbewegung weitgehend aus. 

Die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf dem Gebiet der Bundesrepublik hat das Risiko eines Atomkriegs in Europa massiv erhöht. Die USA glaubten und glauben an die Möglichkeit, einen Atomkrieg auf Europa begrenzen zu können. Das ist für Europa gefährlich. Die Reaktionszeit im Fall eines Angriffs hat sich für den Warschauer Pakt durch die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Westdeutschland deutlich verkürzt. Das löste in Deutschland größte Sicherheitsbedenken und in der Folge Protest aus.

Unter diesem Gesichtspunkt der immer kürzeren Reaktionszeit ist es völlig verständlich, dass Russland in einer möglichen Stationierung von Atomwaffen an seiner unmittelbaren Grenze in der Ukraine eine Verletzung seiner Sicherheitsinteressen sieht, auf die das Land reagieren muss. Bei einem Angriff von der Ukraine aus, würde sich die Reaktionszeit selbst mit der Waffentechnik der 80er Jahre weiter minimieren. Die Forderung nach Sicherheitsgarantien aber, mit der sich Russland sowohl an die NATO als auch an die USA wandte, blieb inhaltlich unbeantwortet. 

Lafontaine bezieht deutlich Position. Den Einmarsch Russlands in die Ukraine hält er dennoch für einen Verstoß gegen das Völkerrecht und damit für einen aggressiven Akt. Man dürfe nicht mit zweierlei Maß messen. Wenn man den Überfall der NATO auf die Republik Jugoslawien für Völkerrechtsbruch hält, müsse man dies im Fall Russlands und der Ukraine ebenso tun.

Da fängt aber meines Erachtens das Problem an. Die Responsibility to Protect, die als Begründung für den Angriff auf Jugoslawien herhalten musste, ist inzwischen Teil des Völkerrechts. Der Westen beruft sich bei seinen Interventionen auf seine Schutzverantwortung. Russland tut dies im Fall der Ukraine auch. Die Ukraine verübt im Osten des Landes einen Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung. Dass das nicht von der Hand zu weisen ist, machen Berichte nach der Rückeroberung von Gebieten durch die ukrainische Armee deutlich. Es herrscht Gewalt. 

Oskar Lafontaine hat Recht. Es darf keine doppelten Standards geben. Aber dann muss die Schutzverantwortung als Teil des Völkerrechts in ihrer Problematik diskutiert und als Teil des codierten Völkerrechts auch zur Disposition gestellt werden. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung sich bis heute für die Bombardierung Belgrads auf die Responsibility to Protect beruft, Russland im Fall des Donbass dieses Recht aber abspricht. 

In diesem Zusammenhang hat Lafontaine natürlich Recht, wenn er von den doppelten Standards der Bundesregierung und der deutschen Außenpolitik spricht. Die deutsche Außenpolitik ist widersprüchlich. Statt Gas aus Russland möchte die Bundesregierung aus moralischen Überlegungen Gas aus Katar und Aserbaidschan beziehen. Die Menschenrechtslage ist in beiden Ländern um vieles schlechter als in Russland. Moralische Bedenken gibt es aber eben nur gegenüber jenen Ländern, die sich dem Hegemonieanspruch der USA entziehen. Die Argumentation macht in ihrer Verlogenheit das Vasallentum deutscher Politik deutlich. 

Wichtige Posten wie Außenminister, Verteidigungsminister und Wirtschaftsminister sind mit Personen besetzt, die außenpolitisch tief reaktionäre Positionen vertreten, gleichzeitig mit der anvertrauten Aufgabe intellektuell völlig überfordert wirken, zudem ein antirussisches Ressentiment pflegen, dem ein deutlicher Rassismus anzumerken ist.

Lafontaine weist den Grünen die Verwendung der Sprache des Faschismus nach. Baerbocks Anspruch, Russland ruinieren zu wollen, unterscheidet sich im Kern nicht von der Idee eines Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Lediglich das Mittel ist anders. Heute ein Wirtschaftskrieg, damals der Feldzug gen Osten. 

Lafontaine fordert eine eigenständige Sicherheitspolitik für die EU, die den tatsächlichen Sicherheitsbedürfnissen der Europäer Rechnung trägt. Unabhängig von Russland und China, vor allem aber unabhängig von den USA, für die friedenspolitische Kooperation aber natürlich offen. Lafontaine weist nach, dass die nukleare Teilhabe diesem Bedürfnis widerspricht, denn es macht Deutschland und Europa im Ernstfall zum Austragungsort eines nuklearen Konflikts zwischen den USA und Russland. Das ist für Europa lebensgefährlich. Dass dies in Deutschland in seiner Brisanz nicht diskutiert wird, deutet er als Hinweis aus eine dysfunktionale Medienlandschaft. Die vitalen Interessen Deutschlands sind nicht im Fokus von Politik und Medien. 

Lafontaine gibt der Vernunft und der Friedenspolitik eine Stimme. Das ist in dieser Zeit umso wichtiger, weil außenpolitisch vernünftige Positionen, die sich um einen Ausgleich der Interessen bemühen, in Deutschland aktuell nicht gehört, sondern verunglimpft werden. Das politische und mediale Establishment in Deutschland ist wieder in dem geistigen Zustand angelangt, der den Generalplan Ost möglich gemacht hat. Darauf muss hingewiesen werden. Wieder und immer wieder. So lange bis wieder politische Vernunft einkehrt und Deutschland seinen reaktionären Kurs der Konfrontation aufgibt und an die Entspannungspolitik Brandts anknüpft. Es ist im vitalen Interesse der Deutschen, der Bürger der EU und der Menschen in Europa. 

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.