Meinung

Die Wahrheit steht nicht im Fokus, aber mit einem "Wahrheitsministerium" geht das bestimmt ins Auge

Nina Jankowicz, die am vergangenen Donnerstag überraschend zurückgetretene Direktorin vom neuen "Lenkungsausschuss gegen Desinformation" der USA, hatte große Pläne für die Sozialen Medien. Ob ihr Rücktritt daran lag, dass sich die Menschen zunehmend von ihrer Art der "Beeinflussung" abwenden?
Die Wahrheit steht nicht im Fokus, aber mit einem "Wahrheitsministerium" geht das bestimmt ins AugeQuelle: Gettyimages.ru © Paul Taylor / DigitalVision

Ein Kommentar von Helen Buyniski

Nachdem Nina Jankowicz sich dazu geraten hatte, dass "es viele Leute auf Twitter gibt, die nicht verifiziert werden sollten", weil sie eben ihrer Meinung nach nicht legitim seien, empfahl sie während eines Zoom-Meetings, das vergangene Woche online viral ging, dass jedoch verifizierten User, die sie also als "legitim" betrachtet, in der Lage sein sollten, die Tweets anderer User zu bearbeiten.

Es ist leicht zu verstehen, warum Jankowicz vielleicht ein wenig machthungrig ist – schließlich wurde sie kurz zuvor zur Leiterin einer staatlichen Organisation ernannt, die  einem Wahrheitsministerium in den USA zweifellos am weitesten nahe kommt. Aber einer speziellen Gruppe von Twitter-Insidern durch ein Symbol für "verifiziert" hinter ihrem Namen das Privileg zu gewähren, ihre persönliche Vorstellung von "Wahrheit" kurzerhand über die Twitter-Beiträge anderer Nutzer auszuschütten, kam verständlicherweise bei vielen auf der Plattform gar nicht sehr gut an.

Eine solche feindliche Übernahme würde den Charakter von Twitter komplett verändern, was sich Leute wie Jankowicz offenbar so sehr zu wünschen scheinen, nachdem zuvor gewarnt wurde, der Einstieg des Milliardärs Elon Musk bei Twitter werde eine Lawine von Desinformation und Hassrede lostreten, welche die Plattform nicht überleben würde. Doch als Jankowicz jene Twitter-Plattform ihrer Träume skizzierte, erwähnte sie als leuchtendes Beispiel Wikipedia (ein Onlineportal, das sie so sehr zu mögen scheint, dass sie als ihren eigenen Twitter-Namen @wiczipedia gewählt hat) als einen Ort, an dem "vertrauenswürdige Typen" die Realität nach Herzenslust erläutern können.

Allerdings ist auch Wikipedia leider keine Bastion der Wahrheit und der einzig verifizierten Informationen. Tatsächlich gibt diese Plattform nicht einmal vor, solches zu sein – das Portal enthält daher einen Haftungsausschluss, der darauf hinweist, dass man eher nach "Überprüfbarkeit" als nach Wahrheit strebt, und dass "Überprüfbarkeit" lediglich bedeutet, dass die größtmögliche Anzahl "zuverlässiger Quellen" zustimmen, dass etwas "wahr" sei. Wikipedia wurde von Anbeginn seiner Existenz von Schwindeleien geplagt, und obwohl es von vielen Nutzern als relativ zuverlässige Quelle angesehen wird, würde jeder Studenten an jeder ernsthaften Universität ausgelacht, sollte er es wagen, in einer wissenschaftlichen Arbeit aus Wikipedia zu zitieren.

Noch schlimmer ist, dass Wikipedia auch von bösartigen internen Machtkämpfen geplagt wird, da verschiedene Fraktionen um das Meinungshoheit kämpfen, bestimmen zu dürfen, was – zumindest im Internet – als das "letzte Wort der Wahrheit" gilt. Die Entscheidung, welche Quellen "zuverlässig" seien, wird in vielen Fällen einer Herrschaft des Mob überlassen, wobei dann eine Handvoll "Administratoren" darum kämpfen, die Ausbreitung der Demokratie der Kleinbuchstaben einzudämmen, während sie häufig jene der Großbuchstaben schönreden.

Vermutlich glaubt Jankowicz, dass ihr "Ministerium der Wahrheit" auf Twitter eine Rolle spielen und darüber entscheiden solle, welche Twitter-Nutzer wirklich "vertrauenswürdig" genug sind, um die Verantwortung für die Bearbeitung der Tweets von Hunderten Millionen Nutzern zu übernehmen. Ist ihre Vorstellung etwa die, dass die zahllosen User-Accounts, die bereits den blauen Haken einer "Verifizierung" tragen – einschließlich derjenigen, die sie selbst aufgrund von politischen Ansichten deren oder jener Personen, mit denen diese in Verbindung stehen, für weniger "legitim" hält – gezwungen werden, sich erneut zu verifizieren? Also einen Test in Loyalität abzulegen? "Haben Sie jetzt oder haben Sie sich jemals schuldig gemacht, unreine Gedanken über 'Unsere Demokratie™' geäußert zu haben?"

Was Jankowicz und ihresgleichen als "zuverlässige Quellen" bezeichnen, werden kaum in der Allgemeinheit als solche angesehen. Der frühere Präsident Donald Trump mag von Twitter verbannt worden sein und seine Spekulationen über die Ungültigkeit der Wahlen 2020 mitgenommen haben, aber er hat Millionen von Anhängern hinterlassen, von denen viele ihren eigenen blauen Haken tragen und nicht zögern würden, die Tweets ihrer Erzfeinde zu "bearbeiten", wenn sie das Gefühl haben, dass da etwas nicht ganz den Tatsachen entspricht.

Unter dem aktuellen herrschenden Regime werden sie nicht nur daran gehindert, dies zu tun, sondern Twitter führt bereits schamlose "Faktenchecks" zu Themen durch, die als kontrovers gelten, so wie es auch Facebook und Youtube bereits tun. Gleichzeitig ist bekannt, dass selbst die "vertrauenswürdigsten" verifizierten Benutzer im Zuge ihrer selbsternannten Verteidigung von Wahrheit, Gerechtigkeit und dem amerikanischen Weg einige grandiose Knaller verbreitet haben. Wie beispielsweise Jankowicz selbst mit ihrem Beharren darauf, dass der jetzt validierte "Laptop aus der Hölle" des Sohnes von Joe Biden je in Wirklichkeit überhaupt nicht sein Laptop gewesen wäre, sondern das Produkt der Fantasie einer russischen Troll-Farm.

Es wäre auch dann immer noch beunruhigend, wenn bloß Jankowicz allein diese Ansicht vertreten würde, da ihr die Biden-Regierung trotz ihrer unvollkommenen Fähigkeit, Wahrheit von Fiktion zu unterscheiden, die Befugnis gegeben hat, zu erklären, was "Desinformation" ist und was nicht. Aber das war damals die Ansicht vieler "legitimen blauen Haken" auf Twitter. Diejenigen, die versuchten, eine andere Meinung zum Laptop von Hunter Biden zu posten, wurden kurzerhand "entplattformt".

Dass es jedem von einer "seriösen" Publikation erlaubt war, die Laptop-Geschichte erneut zu untersuchen und festzustellen, dass sie leider nicht nur wahr ist, sondern sogar noch schmutziger als bisher angenommen, liegt genau daran, dass die USA – zu damaliger Zeit – eben kein Wahrheitsministerium hatten, das alle Meinungen auf Social-Media regelte.

Um es fast zu perfekt zu machen: "Verlässliche Quellen" lautet auch der Name einer TV-Sendung, die von Brian Stelter von CNN moderiert wird, einem Mann, dessen Sendung und Sender gleichermaßen in ein Rennen verwickelt zu sein scheinen, um herauszufinden, wer am schnellsten die Einschaltquote null erreichen und endgültig in die Bedeutungslosigkeit fallen kann. Angesichts des schwindenden Publikums für Sendungen wie "Verlässliche Quellen" ist es möglich, dass Jankowicz – mit ihrer Entschlossenheit, Twitter in die Toilettenwand des Internets nur für "vertrauenswürdige" Benutzer zu verwandeln – bloß die sprichwörtliche Schrift ist, die an der Wand erscheint.

Wenn Jankowicz und ihre "legitimen" Freunde ihre Meinungen nicht über die Twitter-Feeds der alltäglichen Benutzer ergießen dürfen, was bleibt ihnen dann noch übrig, um sich darum zu kümmern, was die riesige Benutzerbasis der Plattform denken soll? Wie sollen die Amerikaner davon überzeugt werden, dass ihr Unvermögen, sich noch Benzin leisten zu können, die Schuld eines fernen Präsidenten am anderen Ende der Welt ist? Wie kann man sie davon abhalten, über medizinische Entscheidungen nachzudenken, die von Menschen getroffen wurden, denen sie nie begegnet sind?

Bei Twitter und Social-Media-Plattformen im Allgemeinen sollte es um Konversation gehen. Wenn eine Regierung in ihren eigenen Argumenten so unsicher ist, dass sie das Bedürfnis verspürt, ihre Bevölkerung vor konkurrierenden Standpunkten zu schützen, dann hindert uns nichts daran, bessere Argumente vorzubringen. Mit einem Dissens "Hau den Lukas" zu spielen – und das sogar mit offizieller Unterstützung der Regierung –, macht es für alle, die rund um den Globus zusehen, nur immer schmerzlicher offensichtlich, dass der Grundsatz der Meinungsfreiheit in den USA zunehmend der Vergangenheit angehört.

Mehr zum Thema - Bidens "Wahrheitsministerin" fordert die Macht, Tweets anderer zu bearbeiten

Übersetzt aus dem Englischen

Helen Buyniski ist eine US-amerikanische Journalistin und politische Kommentatorin bei RT. Man kann ihr auf Twitter @velocirapture23 und auf Telegram folgen.

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