Meinung

Die irre westliche Boykottkultur nimmt eine ganze Nation ins Visier

Inzwischen scheinen wir uns alle daran gewöhnt zu haben, dass "die Redlichen" im Westen hysterische Anfälle kriegen und sich im Stil einer Mädchenclique gegen diejenigen zusammenrotten, von denen sie glauben, dass sie den Status quo ins Wanken gebracht haben.
Die irre westliche Boykottkultur nimmt eine ganze Nation ins VisierQuelle: www.globallookpress.com © Gladys Chai von der Laage via ww/www.imago-images.de

Ein Kommentar von Rachel Marsden

Der Westen scheint den Kollateralschaden der Sanktionskampagne nicht bedacht zu haben oder dass ein Frieden verhindern werden könnte, wenn eine ganze Nation ins Visier genommen wird. Aber inmitten des Konflikts in der Ukraine versuchen einige tatsächlich, das größte Land der Welt vom Rest der Zivilisation abzukoppeln, indem jeder und alles angegriffen wird, das auch nur entfernt etwas mit dem Land zu tun hat.

Ich erinnere mich, als ich 2003 im Vorfeld des Irakkriegs in Washington als Direktorin einer mit der Regierung von George W. Bush verbundenen Denkfabrik arbeitete und "Pommes frites" (auf Englisch "French Fries"; Anm.) in der Congressional Cafeteria in "Freedom Fries" (Freiheits-Fritten) umbenannt wurden. Es war der Versuch der Republikaner, den Franzosen eins auszuwischen, die sich der Invasion des Irak widersetzt hatten. Später wurden auch französische Produkte boykottiert, weil Paris sich geweigert hatte, die US-Invasion zu unterstützen. Aber solche Maßnahmen scheinen fast kurios und vernünftig im Vergleich zum völlig hysterischen Wahnsinn, der sich heute abspielt, wenn Russland und die NATO-Mitgliedsländer wegen der Ukraine aufeinandertreffen.

Verschiedenen Berichten zufolge hatten US-Regierungsbeamte die Entfernung von russischem Wodka aus den Verkaufsregalen gefordert. Aber es stellte sich heraus, dass praktisch nichts von dem, was in die USA importiert wird, tatsächlich in Russland hergestellt wurde. Die Marken – Smirnoff oder Stolichnaya zum Beispiel – klingen einfach russisch. Eine Bar im US-Bundesstaat Maryland benannte den Cocktail-Klassiker Russian Mule in "Kyiv Mule" umbenannt. Das Skigebiet Magic Mountain in Vermont twitterte ein Video, das einen Kneipenbesitzer zeigt, der Flaschen von Stolichnaya Vodka – vermutlich bereits gekauft und bezahlt – in den Abfluss kippt, offenbar nicht wissend, dass die Marke eigentlich lettisch und in der Ukraine tätig ist.

Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski wurde von der Universität Milano-Bicocca in Italien auf den Index gesetzt. Diese setzte einen Lehrgang über seine Werke aus, nur um den Entscheid nach heftigen Protesten wieder rückgängig zu machen. Dostojewski starb 1881. Die Chancen stehen also ziemlich gut, dass er nicht in den aktuellen Ukraine-Konflikt verwickelt ist.

Es ist auch unwahrscheinlich, dass Katzen oder Hunde aus Russland für die Situation in der Ukraine verantwortlich sind – obwohl, hey, man kann nie wissen, oder? Man kann sich nie sicher sein! Die Tatsache, dass die internationale Dachorganisation der Verbände der Katzenzüchter russische Stubentiger von Wettbewerben ausschloss und die diesjährige Hundeausstellung Crufts, die weltweit größte jährliche Veranstaltung dieser Art, angeblich die Teilnahme russischer Hündchen verbietet, ist völlig vernünftig und logisch, nicht wahr? Was kommt als Nächstes? Ein Flugverbot für russische Zugvögel?

Bevor Electronic Arts (EA) den Verkauf seiner Spiele in Russland einstellte, hattedas Unternehmen eine Erklärung herausgegeben, in der es angekündigt hatte, dass es alle russischen Mannschaften aus seinen virtuellen Fußballspielen entfernen werde, weil die "Partner" im wirklichen Leben – die FIFA und UEFA – die russische Nationalmannschaft von der Teilnahme an internationalen Spielen suspendiert hatten, einschließlich von den Qualifikationsspielen für die Weltmeisterschaft 2022. "In Übereinstimmung mit unseren Partnern bei FIFA und UEFA hat EA Sports Prozesse eingeleitet, um die russische Nationalmannschaft und alle russischen Klubs aus unseren FIFA-Produkten, einschließlich FIFA 22, FIFA Mobile und FIFA Online, zu entfernen", heißt es in der Erklärung. "Wir evaluieren auch aktiv entsprechende Änderungen in anderen Bereichen unserer Spiele." Der Spielehersteller kündigte auch an, russische und weißrussische Teams aus seinem Videospiel "NHL 22" zu entfernen, was diese virtuellen Eishockeyspieler sicherlich direkt in ihre großen virtuellen Geldbörsen treffen wird.

Aber auch leibhaftigen russischen Eishockeyspielern drohen Sanktionen. Alexander Owetschkin, Star der National Hockey League und Kapitän der Washington Capitals, wurde vom Sponsor der Versicherungsgesellschaft MassMutual aus Werbekampagnen gestrichen. Auch die kanadische Bekleidungsfirma CCM stellte die Vermarktung des Liga-Rekordhalters zusammen mit seinem Teamkollegen Dmitri Orlow und Jewgeni Malkin von den Pittsburgh Penguins ein.

Die Sanktionierung dieser Spieler spiegelt eine beunruhigende Tendenz wider, wie sie der frühere US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, in den sozialen Medien geäußert hat. "Es gibt keine 'unschuldigen', 'neutralen' Russen mehr", schrieb der ehemalige Diplomat in einem inzwischen gelöschten Tweet. "Jeder muss eine Wahl treffen – diesen Krieg zu unterstützen oder abzulehnen."

Unterdessen werden durchschnittliche russische Bürger – egal, was sie über den Angriff auf die Ukraine denken – von westlichen Sanktionen getroffen, die ihnen von denselben Leuten auferlegt werden, die versuchen, sie dazu zu manipulieren, für sie die schmutzige Arbeit eines Regimewechsels in Russland zu erledigen.

Apropos unschuldige Opfer: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verbannte russische und weißrussische Athleten und Funktionäre von internationalen Sportveranstaltungen verbannt und machte sie damit für politische Umstände verantwortlich, bei denen sie keine Rolle gespielt haben. Es ist eine seltsame Position für eine Organisation, deren Präsident Thomas Bach über den diplomatischen Boykott der USA und des Westens gegen die Winterspiele in Peking sagte, dass das IOC unpolitisch bleiben werde.

Im vergangenen Jahr hatte Bach gesagt: "Wenn man sich nicht zu politischen Themen äußert, ergreift man keine Partei. Das ist die Mission des IOC, sonst könnten wir es nicht schaffen, die Mission der Spiele zu erfüllen, die Welt zusammenzubringen und zu vereinen." Anscheinend sind diese Grundsatzworte nur wenige Monate später den Atem nicht wert, mit denen sie gesprochen wurden.

Auch nicht diejenigen, die von der Führung der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Pressefreiheit geäußert wurden. Alle EU-Staaten schlossen sich der supranationalen Regierungsbehörde an, als diese ein pauschales Verbot von Journalismus verhängte, der auf jedem staatlich unterstützten Medium aus Russland betrieben wird, ohne dass es zu einem ordnungsgemäßen gerichtlichen Verfahren kam. Dadurch nahmen sie den Bürgern ihrer Länder die Möglichkeit, auf Informationen und Analysen zuzugreifen, die der von den staatlich enorm subventionierten und konsolidierten westlichen Medien verbreiteten offiziellen Darstellung der EU und der Mitgliedsstaaten in Bezug auf diesen Konflikt widersprechen.

Und ähnlich wie die oben erwähnten russischen Athleten oder die durchschnittlichen russischen Bürger im Tweet von McFaul wird auch kein Journalist – auch nicht derjenige mit westlicher Herkunft und westlichem Wohnsitz – davon verschont, als Ergebnis seiner Arbeit für eine russische Medienplattform eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt zu bekommen. Viele dieser Journalisten hier in Frankreich berichteten, dass sie mit dem Äquivalent eines Brandzeichens für eine moderne Hexenjagd freigegeben worden waren, als Twitter ihre persönlichen Konten im Zuge von Anfragen der EU-Behörden als "staatsnahe Medien" markiert hatte.

In der neuen Verordnung, die vom Rat der Europäischen Union gebilligt wurde, bestehend aus Ministern aller 27 Staaten, deren Bürger oder Regulierungsbehörden niemals in der Sache etwas zu sagen hatten, steht: "Es ist den Betreibern untersagt, Inhalte der in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen auszustrahlen oder zu ermöglichen, zu erleichtern oder anderweitig zur Ausstrahlung beizutragen, einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung über jegliche Medien wie Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstanbieter, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder Anwendungen, ob neu oder vorinstalliert."

Letztendlich erreichte die westliche Boykottkultur, die gegen Russland irre geworden ist – ähnlich wie andere Sanktionen, die inmitten von Hysterie verhängt werden – ein Maß, das so viel Kollateralschaden verursachen kann, dass sie den Verantwortlichen am Ende viel mehr schaden könnte, als sie jetzt erkennen können. Natürlich mögen einige hier anderer Meinung sein. So wie es wahrscheinlich immer noch einige Leute gibt, die im Rückblick denken, dass die Umbenennung in "Freiheits-Fritten" ein guter Schachzug zur Unterstützung eines gerechten und superweisen Krieges im Irak war.

Übersetzt aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite finden man unter rachelmarsden.com.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.