Meinung

Noch fünf Jahre Steinmeier als Bundespräsident – Kein Lichtstrahl, nur das übliche Dunkel

Der Bundespräsident ist das offizielle deutsche Staatsoberhaupt, praktisch aber eigentlich eher der Grüßaugust. Schon längst gibt es keine Briefmarken mit seinem Porträt mehr, nur in Amtsstuben hängt das Bild an der Wand. Da kann Steinmeier immerhin nichts beschädigen.
Noch fünf Jahre Steinmeier als Bundespräsident – Kein Lichtstrahl, nur das übliche DunkelQuelle: AFP © STEFANIE LOOS / AFP

von Dagmar Henn

Ach ja, wir haben wieder ein neues. Eigentlich ein altes. Staatsoberhaupt, meine ich. Frank-Walter Steinmeier ist eine weitere Runde lang Bundespräsident.

Nicht, dass die Rolle von Bundespräsidenten in der bundesdeutschen Geschichte so groß war. Und ich kann mich nur an einen erinnern, einen einzigen, der wirklich positiv herausstach, weil er für eine Wende zum Besseren stand, und das ist so lange her, dass auch ich ihn nur noch vage kenne. Aber ich erinnere mich noch an die Freude meiner Eltern, an die echte Achtung, die sie ihm entgegenbrachten, und habe genug über seine Rolle dabei gelesen, den schwarzbraunen Filz der Adenauer-Zeit zumindest etwas aufzubrechen. Ich rede von Gustav Heinemann.

Heinemann war etwas, das sich selten findet, ein wirklich Aufrechter. Der als Minister unter Adenauer zurücktrat, weil er die Wiederbewaffnung ablehnte, und als Anwalt Mandate übernahm, vor denen die meisten Anwälte zurückschreckten; er vertrat viele Kommunisten nach dem Verbot der KPD, und noch viel mehr Menschen, die man vor Gericht zog, weil sie mit Kommunisten zusammenarbeiteten oder für so verwerfliche Dinge wie den Weltfrieden eintraten, was ja schon fast so gut wie Kommunismus ist.

Heinemann war die eine Ausnahme. Und sonst? Gegen die Wahl von Karl Carstens, einst Mitglied der SA-Reiterstaffel, habe ich demonstriert. Gut, Richard von Weizsäcker hat zumindest die Tür geöffnet, den 8. Mai auch im Westen als Tag der Befreiung zu sehen und nicht, in völliger Identifikation mit Nazis und Wehrmacht, als Tag der Niederlage. Doch selbst das wäre ohne Heinemann davor unmöglich gewesen.

Und dann? Großinquisitor Joachim Gauck, die fleischgewordene Rückkehr zu Adenauerschen Traditionen? Der für seine Verdienste um die Säuberung der deutschen Intelligenz von den letzten Resten wirklicher linker Tradition mit dem Präsidentensessel belohnt wurde? Die heutige Hetze gegen Russland ginge nicht so glatt, wenn nicht Gauck den Kalten Krieg als Zombie wiederbelebt hätte. Er stand für die permanente Spaltung des Landes, für die Unterwerfung des Anschlussgebietes wie kein Zweiter.

Er hatte, als er noch Leiter der nach ihm benannten Behörde gewesen war, dafür gesorgt, dass – entgegen der Regelungen des Einigungsvertrages – sämtliche Ermittlungsakten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, die Naziverbrechen betrafen, in den Schränken seiner Behörde verschwanden und damit für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Eine Dienstleistung, die sicher einigen dieser Verbrecher einen ruhigen Lebensabend ermöglichte, und es natürlich viel leichter machte, auf einmal so zu tun, als stünde die Bundesrepublik in einer antifaschistischen Tradition. Und die Säuberungswelle an den Universitäten, die er anleitete, hat sicher mit dazu beigetragen, dass heute völliger Verwirrung darüber herrscht, was eigentlich links ist. Verdienste, nicht um das Land, aber für die Herrschenden.

Steinmeier dreht nun also eine zweite Runde. Er wird kein anderer Steinmeier sein als bei der ersten und kein anderer Steinmeier als zu seiner Zeit als Außenminister. Während der hatte er damals dieses Abkommen zwischen Wiktor Janukowitsch und unter anderem dem Nazianhänger Oleg Tjagnibok ausgehandelt, das den Putsch am Tag danach erst möglich gemacht hatte, weil die Wachen vom Präsidentenpalast in Kiew abgezogen wurden ... und der die Putschregierung danach sofort anerkannte. Die er nicht hätte anerkennen dürfen, wenn es ihm mit den Verhandlungen ernst gewesen wäre. Deren Nichtanerkennung der Ukraine womöglich vieles erspart hätte, unter anderem einen Bürgerkrieg.

Oder als er im Mai 2014 dann einen Staatsbesuch dort machte und vorher groß tönte, er werde sich mit niemandem an einen Tisch setzen, der Blut an den Händen habe. Wohlgemerkt, das Massaker in Odessa hatte bereits stattgefunden. Aber dieses Blut zählte für ihn nicht. Schlimmer noch – ursprünglich war erklärt worden, er werde in Odessa einen Kranz niederlegen. Vor dem Gewerkschaftshaus. Und dann tat er es doch nicht, weil es Kiew nicht gefiel. Auch hier gilt: Diese Geste, hätte sie stattgefunden, hätte zumindest signalisiert, dass die Bundesrepublik nicht alles billigt. Wenige Tage darauf begannen die Bombardierungen von Slawjansk. Steinmeier hatte ein weiteres Mal die Weichen in Richtung Krieg gestellt.

Derartige Schäden kann er immerhin als Bundespräsident nicht mehr anrichten. Die Rolle ist weitgehend repräsentativ; eher so eine Art Überbleibsel, da die Weimarer Verfassung eine wirkliche Präsidialverfassung war und man 1945 so ganz ohne nicht wollte. Und das Wahlverfahren, das eine Simulation von Repräsentanz gesellschaftlicher Gruppen bei vorheriger Absprache im Parteienzirkel ist, ist nun auch nicht gerade ein Höhepunkt der Demokratie. Eher eine stetige Erinnerung daran, dass wir in der Bundesrepublik immer noch weder eine wirkliche Verfassung (die aus einer Volksabstimmung ergehen muss, wie jene der DDR) noch das Ausmaß demokratischer Rechte der Weimarer Zeit haben, weil es nach wie vor keine bundesweiten Volksentscheide gibt und nach wie vor keine Direktwahl dieses Staatsoberhaupts.

Stattdessen tritt die Bundesversammlung an, die aus der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten mit vielen Landtagsabgeordneten und dann noch dekorativen Gestalten aus der Restbevölkerung zusammengesetzt ist, die entweder mehr oder weniger populäre Künstler sind oder Verbandsvertreter. Wobei es schon putzig ist, dass mehr Unternehmer als Gewerkschaftsvertreter in dieser Versammlung sitzen, da in Wirklichkeit das Zahlenverhältnis doch ganz anders aussieht ...

Das Ergebnis dieses Großrituals jedenfalls steht vorab bereits fest. Weil die dekorativen Vertreter der Gesellschaft natürlich von den Parteien bestimmt werden. Dabei ist diesmal nichts irgendwie Sensationelles zu vermelden, auch wenn es mich ein wenig traurig machte, zu lesen, dass die schöne Sibel Kekilli sich ausgerechnet von den kriegslüsternen Grünen in diese Versammlung schicken ließ.

Weil es so viele sind, dass sie nicht mehr in den Bundestag passen, ist die Versammlung noch nicht einmal eine, weil sie sich auf mehrere Räume verteilt. Dabei gäbe es in Berlin sicherlich Gebäude, die genug Platz böten, um zumindest die Vortäuschung einer Versammlung aufrechtzuerhalten. Nicht so wichtig. Es ist ohnehin vieles nicht mehr wichtig gerade, Grundrechte und Frieden etwa.

Steinmeier ist übrigens auch der, dessen Unterschrift unter dem Minsker Abkommen steht. Der es in der Folge immer verdreht hat, wenn er darüber sprach, und forderte, die Donbassrepubliken sollten die Kontrolle über die Grenze zu Russland an die Ukraine übergeben, ehe überhaupt solche Kleinigkeiten wie Autonomiestatus, Amnestie und Wahlen geklärt werden. Wenn man zukünftig einmal nachforschen wird, ab welchem Moment Verträge, die von Deutschland unterzeichnet wurden, das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie stehen, wird man auf den Namen Frank-Walter Steinmeier stoßen.

Da ist er natürlich gerade am richtigen Platz. Ein Bundespräsident wie Heinemann hätte tatsächlich von seinem Recht Gebrauch gemacht, die Unterschrift unter ein Gesetz zu verweigern, hätte man ihm das Infektionsschutzgesetz auf den Tisch gelegt. Bei Steinmeier muss man sich da keine Sorgen machen; sein Verhältnis zum Recht an sich ist, wie sein oben erwähnter Umgang mit Verträgen belegt, nicht sonderlich innig, und er gehört zu jener Kategorie rechter Sozialdemokraten, die mindestens so schnöselig und arrogant sind wie ein Christdemokrat mit von und zu. Weshalb er auch einst entscheidend mithalf, das gemeine Volk mit Hartz IV zu beglücken.

Nachdem nun der Pöbel (das Wort stammt vom französischen peuple, das Volk) wieder als Pöbel behandelt werden darf, malträtiert und geschurigelt, und schon klar ist, dass es sein alltägliches Wohl auf den Opferaltar zu legen hat, gleich, ob auf dem "Solidarität mit der Ukraine" oder "Klimaschutz" steht, ist Steinmeier durchaus die passende Besetzung für den Hohepriester.

Heinemann war übrigens Mitglied derselben Partei wie Steinmeier. Ein Mensch, den nie jemand anders als hochanständig nannte. Einer, der es mit dem Frieden ernst meinte. Hätten wir mehr Bundespräsidenten wie Heinemann aufzuweisen, man müsste heute sagen, dass Steinmeier dieses Amt weiter beflecken darf. Haben wir aber nicht; also muss man sagen, dass Heinemann der Lichtstrahl war, der den Sitz des Bundespräsidenten vorübergehend erhellte; Steinmeier ist nur ein weiterer üblicher Sumpfbewohner.

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Mehr zum Thema - Die Minsker Vereinbarungen – oder: Wie schließt man Frieden und wie nicht

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