Meinung

Die Minsker Vereinbarungen – oder: Wie schließt man Frieden und wie nicht

Was wären die Voraussetzungen eines wirklichen Friedensschlusses im Donbass? Es gibt historische Beispiele. Das, was die westlichen Garantiemächte der Minsker Vereinbarungen gerade treiben, ist aber das Gegenteil dessen, was dem Frieden dient.
Die Minsker Vereinbarungen – oder: Wie schließt man Frieden und wie nichtQuelle: www.globallookpress.com © Steffen Kugler/Bundesregierung/dpa

von Dagmar Henn

Die Minsker Vereinbarungen vom Februar 2015 und ihre verzerrte Darstellung in den deutschen Medien waren schon oft Thema bei RT DE. Nachdem in letzter Zeit erneut, auch seitens des Auswärtigen Amtes, der Kernpunkt, nämlich der direkte Dialog zwischen Kiew und den Donbassrepubliken, bestritten wurde, und sich gleichzeitig die Lage an der Frontlinie dort stetig weiter verschärft, ist es nötig, die Frage einmal grundsätzlicher zu betrachten.

Friedensverhandlungen, die einen Bürgerkrieg beenden, sind niemals einfach. Es gibt aber zwei leidlich erfolgreiche Vorbilder, die man in diesem Zusammenhang heranziehen kann: Südafrika und Nordirland. In beiden Fällen ging den Verhandlungen ein langwieriger Konflikt voraus. Und in beiden Fällen bestand die Lösung in direkten Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien. In Nordirland waren das die IRA beziehungsweise ihr politischer Arm, die Sinn Féin, und auf der anderen Seite die nordirischen Unionisten und die britische Regierung. In Südafrika waren das die Apartheidregierung und der ANC.

Bürgerkriege entstehen meist aus schon lange vorhandenen Spaltungen. Wenn sie länger andauern, belegt das, dass keine der beiden Seiten im Stande ist, über die andere zu siegen, aus welchem Grund auch immer. Verhandlungen sind dann letztlich für beide Seiten nützlich. Aber diese Verhandlungen müssen in einer Weise verlaufen, dass sie ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen den Beteiligten auf beiden Seiten herstellen können, und sie können letztlich nur der Einstieg in einen Prozess sein, der als Ziel zumindest eine breite Akzeptanz der anderen Seite erreicht. Denn es geht ja darum, dass die Anhänger und die Beteiligten beider Seiten hinterher in einem Land zusammenleben können, ohne jederzeit in den vorhergehenden Zustand zurückzufallen.

In Südafrika waren Versammlungen, in denen die Verbrechen der Apartheit aufgearbeitet wurden, ein zentraler Bestandteil. Sie konnten nicht juristisch verfolgt werden (weil Amnestien ein unabdingbarer Teil solcher Prozesse sind), aber sie wurden zumindest ausgesprochen und als historische Tatsache anerkannt. Das politische Ergebnis der Verhandlungen war der Übergang der Regierungsgewalt an die schwarze Bevölkerungsmehrheit. Allerdings leidet Südafrika bis heute unter einer hohen Kriminalität, weil das soziale Problem aus weißem Reichtum und schwarzer Armut nicht angegangen wurde und erlebte Gewalt nicht einfach aus der Gesellschaft verschwindet. Das Resultat war also alles andere als konfliktfrei – aber unter den gegebenen Bedingungen die bestmögliche Lösung.

In Nordirland war das Ergebnis der Verhandlungen ein Verbleiben Nordirlands in Großbritannien, aber unter einer nordirischen Regierung, die von beiden Seiten gestellt wird. Das heißt, die ehemaligen Gegner bilden miteinander diese Regierung. Auch dort war die Aufarbeitung der Vergangenheit ein wichtiger Punkt; zentral war dabei der Blutsonntag von 1972, als die britische Armee dreizehn Demonstranten erschoss. Dieses Ereignis führte dazu, dass die irischen Nationalisten wieder zu den Waffen griffen. Nachdem die britische Regierung jahrzehntelang jede Verantwortung bestritt, hat sie diese inzwischen eingestanden. Auch hier ist es keine wechselseitige Liebe, und es kommt immer wieder zu Konflikten um unionistische Paraden. Aber es gibt keine Festungen der britischen Armee mehr und keine Gefangenen in Hochsicherheitstrakten, keine Bombenanschläge und keine politischen Morde.

Wenn man diese Vorbilder betrachtet, wird klar, dass die Minsker Vereinbarungen tatsächlich einer Blaupause folgen, die ein Verbleiben der Donbassrepubliken im Staat Ukraine ermöglichen würde. Dabei bleibt der zentrale Punkt der direkte Austausch zwischen Kiew und Donezk und Lugansk. Die Haltung der Kiewer Regierung, die nur mit Russland verhandeln will, wäre übersetzt auf das nordirische Modell eine Forderung der Unionisten gewesen, nur mit den USA verhandeln zu wollen – US-Bürger irischer Abstammung waren über Jahrzehnte die Hauptfinanzquelle der IRA. Um das zu wissen, genügt es, Hollywoodfilme zu schauen wie "Vertrauter Feind". Friedensverhandlungen müssen aber so gestaltet sein, dass sie die Grundlage für einen echten Frieden legen. Der wäre nur möglich mit einer Art Versöhnungsprozess zwischen den unmittelbar Beteiligten; selbst wenn sich alle irgendwie beteiligten Hintermänner, zu denen dann auch Deutschland und die USA zählen, einig wären, würde das für eine wirkliche Zukunftsperspektive nichts nützen.

Alle politischen Regelungen der Minsker Vereinbarungen passen zu solch einem politischen Prozess. Das beginnt mit den Autonomieregeln in der Verfassung, über die Amnestie bis zu einem von beiden Seiten abgestimmten Wahlrecht. In der Folge wäre es dann erforderlich, zentrale Ereignisse wie das Massaker vom 2.Mai 2014 in Odessa aufzuarbeiten; zumindest in der Form, wie das in Südafrika geschah. Nur unter solchen Bedingungen ist es möglich, einen jahrelangen blutigen Bürgerkrieg wieder in ein ziviles Leben zurückzuführen und aus militärischen Fronten wieder politische zu machen.

Was bedeutet es also, wenn Kiew diese direkten Verhandlungen ablehnt? Dass kein Interesse daran besteht, mit der Bevölkerung des Donbass in einem Land zu leben. Die ukrainischen Nationalisten haben diese Absicht immer schon in einem Spruch erkennen lassen, den sie für den russischsprachigen Teil der Bevölkerung verwendeten: Koffer, Bahnhof, Russland. Bezogen auf die beiden historischen Muster, Nordirland und Südafrika, entspräche dem die Absicht, die Buren zurück nach Holland oder die Unionisten zurück nach Schottland zu schicken, obwohl sie seit Generationen dort lebten.

Nachdem eine militärische Lösung für Kiew unmöglich ist und unmöglich bleiben wird, wäre es eigentlich ein Gebot der Vernunft, sie aufzufordern, endlich wirkliche Verhandlungen aufzunehmen. Und sogar deutsche Diplomaten wissen, dass Frieden nur durch direkte Verhandlungen erreichbar ist. Es sind die Menschen im Donbass, die überzeugt werden müssten, dass ihnen kein Übel droht, wenn sie die Waffen niederlegen.

Völkerrechtlich ist die Lage im Falle eines ukrainischen Angriffs auf den Donbass weit klarer, als es einer Frau Baerbock lieb sein dürfte. Die Minsker Vereinbarungen wurden vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet. Russland ist Garantiemacht, wie Deutschland und Frankreich. Es hätte nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, einen endgültigen Bruch der Minsker Vereinbarungen durch die Ukraine aufzuhalten. Nur der UN-Sicherheitsrat darf die Verwendung militärischer Mittel gestatten; mit der Übernahme der Minsker Vereinbarungen ist das im Grunde bereits geschehen. Jeder militärische Einsatz Russlands zur Verteidigung des Donbass ist völkerrechtlich legaler als die meisten Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Dass die Regierung in Kiew bereit ist, ihre eigenen Soldaten nutzlos zu verheizen, um selbst an der Macht zu bleiben, wundert nicht; darin ist die Regierung Selenskij nur die Fortsetzung der Regierung Poroschenko, die immerhin ihre halbe Armee im Kessel von Debalzewo versenkte. Wenn aber die westlichen Marionettenspieler, von den USA über die NATO bis zur Bundesrepublik, sich in die Brust werfen und volltönend erklären, sie stünden an der Seite Kiews, und dabei die Minsker Vereinbarungen in die Tonne treten; wohl wissend, dass die Kiewer Haltung nicht auf eine Wiedergewinnung des Donbass und seiner Bewohner, sondern auf eine Einnahme unter Vertreibung oder Ermordung der dort Ansässigen hinausläuft (weil sie das Land mit den Bewohnern ja über die Verhandlungen hätten haben können), was wiederum Russland zum Eingreifen zwingen würde – dann belegt das, dass sie an nichts weniger Interesse haben als am Frieden und gerne bereit sind, noch eine Runde ukrainischer Jugend in das blutige Mahlwerk dieses Bürgerkriegs zu treiben, solange sie damit Russland reizen können.

Von all den hübschen Werten, die man so gerne auf den politischen Fronleichnamsprozessionen wie "Unteilbar" in güldenen Monstranzen vor sich herträgt, ist da nichts übrig. Das Verhältnis zu den Ukrainern ist nicht anders, als es das der Nazis zu den Banderatruppen war: Sie sind nützliche Idioten, Vieh, das man bei Bedarf zum Schlachter treibt. Denn letztlich, daran ändern alle tränenfeuchten Augenaufschläge einer Marie-Luise Beck nichts, bleiben sie doch die slawischen Untermenschen für diese Herrschaften.

Noch besteht eine leise Hoffnung, dass der seit Wochen schon mit herbeifabulierten Geschichten von einer "russischen Invasion" und einem höchst realen ukrainischen Aufmarsch an der Donbassfront vorbereitete Angriff abgeblasen wird – wie im vergangenen Frühjahr. Sollte dies nicht der Fall sein, bleibt nur zu wünschen, dass der Westen schnell und deutlich erfährt, dass er mehr abgebissen hat als er schlucken kann. Frau Baerbock sollte sich bald erklären lassen, wie wirklich friedensförderndes Verhalten funktioniert; es gibt Institute, die das können. Tut sie das nicht, sondern beteiligt sich weiter engagiert an dieser gefährlichen Zündelei, hat sie Glück, wenn sie das persönlich und demütig lernen darf. Im unglücklichen Fall wäre sie ein Krümel in dem Aschehaufen, der heute Berlin heißt.

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