Wie Russland und China die Monroe-Doktrin der USA herausfordern
Von Paul Robinson
Zweihundert Jahre lang war die Monroe-Doktrin, die Lateinamerika zur Einflusssphäre der USA erklärt, ein Eckpfeiler US-amerikanischer Politik. Aber während Russland und China ihre Opposition zu einer von den USA geführten Weltordnung bekräftigen, wirkt die US-amerikanische Dominanz in der Region ein wenig wacklig.
Während die Angstmacherei mit einer "russischen Invasion" schon in den vierten Monat geht und die russischen Panzer noch immer nicht durch Kiew fahren, werden die Maßstäbe für Moskaus vermutliche Antwort auf die westliche Ablehnung seiner Sicherheitsforderungen ein wenig klarer. Frustriert von der aus seiner Sicht Jahrzehnte währenden Verachtung seiner Bedenken hat Moskau von den USA gefordert, Sicherheitsgarantien zu bieten, einschließlich des Versprechens, die NATO nicht weiter nach Osten auszudehnen. Wie mit der negativen Antwort aus den USA diese Woche klar wurde, haben sie keine Absicht, Russlands Wünschen zu folgen. Jetzt ist die Frage, wie der Kreml reagieren wird.
Trotz der hysterischen Schlagzeilen in den westlichen Medien über einen möglichen russischen Einmarsch in die Ukraine hat Moskau diese Möglichkeit kategorisch ausgeschlossen. "Unsere Nation hat gleichfalls wiederholt erklärt dass wir keine Absicht haben, jemanden anzugreifen. Wir halten schon den Gedanken, dass unsere Völker gegeneinander in den Krieg ziehen könnten, für unannehmbar," sagte der Sprecher des russischen Außenministeriums Alexei Saizew diese Woche.
Das überrascht nicht. Vertreter Russlands und Sicherheitsexperten haben wiederholt klargestellt, dass für sie die Ukraine ein minder bedeutendes Thema ist und dass ihre Hauptsorge viel breiter gefasst ist: Die allgemeine Natur des internationalen Systems und der Sicherheitsarchitektur in Europa. Die Idee, dass ein Scheitern beim Streben nach einer Übereinkunft über Letztere zu einem Einmarsch in Erstere führen würde, war nie wirklich logisch. Statt die Ukraine ins Visier zu nehmen, richtet sich die Antwort Russlands auf das gegenwärtige diplomatische Patt eher gegen jene Partei, die Moskau für das Problem vor allem verantwortlich macht, die USA.
Und welchen besseren Weg gibt es dafür, als die USA in ihrem eigenen Hinterhof herauszufordern? Seit Präsident James Monroe im Jahr 1832 seine berühmte "Doktrin" erklärte – nach der jede ausländische Einmischung in die Politik beider Amerikas ein feindseliger Akt gegen Washington sei – haben die USA ihre Vorrangstellung in Nord- und Südamerika erbittert gesichert.
Nirgends war dies deutlicher als in den Bemühungen einer ganzen Abfolge von US-Regierungen, die kubanische Regierung zu stürzen, wie auch in der Verhängung von Sanktionen über mehr als 60 Jahre hinweg. In der Kubakrise 1962 machte Washington deutlich, dass es sogar bereit war, einen Atomkrieg zu riskieren, um die Stationierung möglicherweise feindlicher Waffen nahe seiner Grenzen zu verhindern. Es hat auch andere Methoden genutzt, um lateinamerikanische Regierungen zu untergraben oder zu stürzen, die ihm nicht freundlich genug erschienen. Das schließt die Unterstützung für Putsche und Aufstände mit ein, wie die Hilfe für die Contras in Nicaragua in den 1980er-Jahren.
Aber Washingtons Fähigkeit, Lateinamerika seinem Willen zu beugen, scheint geschwächt. Die Unterstützung für die Putsche in Bolivien und Honduras ging nach hinten los und Mitglieder der abgesetzten Regierung sind wieder an der Macht. China erweitert währenddessen seine Seidenstraßeninitiative nach Südamerika; sieben Länder haben bereits ihren Beitritt unterzeichnet und die Verhandlungen mit Nicaragua als achtem laufen. Die USA sind nicht mehr der einzige Spieler auf dem Platz.
Jetzt ist Russland noch hinzugetreten. In den vergangenen Wochen hat Präsident Wladimir Putin mit den Regierungschefs Kubas, Venezuelas und Nicaraguas Telefongespräche geführt. Allesamt Länder, mit denen Washington sehr schlechte Beziehungen hat. Gemäß Außenminister Sergei Lawrow kam man mit allen drei Ländern überein, "die strategische Partnerschaft zu vertiefen, ohne Ausnahmen, einschließlich der militärischen und der militärisch-technischen."
Ob dies bedeute, russische Truppen in diesen Ländern einzusetzen, bestätigte Lawrows Stellvertreter Sergei Rjabkow zwar nicht, aber er schloss es auch nicht aus. "Der russische Präsident hat viele Male darüber gesprochen, was solche Maßnahmen sein könnten, die beispielsweise die russische Marine einbeziehen, wenn der Kurs der Dinge weiter darauf hinausläuft, Russland zu provozieren und den militärischen Druck durch die USA auf uns weiter zu erhöhen," sagte er.
Eine viel diskutierte extreme Option würde zurück ins Jahr 1962 führen und hieße die Stationierung von Raketen auf Kuba oder in Venezuela. Angesichts dessen, dass Russland jetzt Hyperschallraketen besitzt, hätte es dann die Fähigkeit, die USA in Minuten zu treffen und damit jede Verteidigung unmöglich zu machen.
Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass die russische Regierung einen derart provokativen Schritt machen würde. Außer die USA täten zuvor Ähnliches in der Ukraine oder andernorts nahe der russischen Grenze. Selbst die Option, die Rjabkow erwähnte, die Entsendung russischer Schiffe in die Region, ist alles andere als gewiss. "Wir können gar nichts nach Kuba entsenden", sagte der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew diese Woche und wandte ein, es würde die Aussichten des Landes schmälern, die Beziehungen zu den USA zu verbessern, und "würde Spannungen in der Welt auslösen".
Dennoch, die Drohung solcher Handlungen liegt jetzt in der Luft. So wie die Möglichkeit kleinerer Schritte wie zusätzliche Waffenverkäufe und wirtschaftliche Unterstützung, um es den Kubanern und anderen zu ermöglichen, den US-Sanktionen zu widerstehen. Im Augenblick müssen wir abwarten und sehen, welche "militärischen und militärisch-technischen" Maßnahmen Moskau tatsächlich im Sinn hat. Aber was immer es sein wird, es wird den US-Amerikanern wahrscheinlich nicht gefallen. So wie ihnen auch die etwas allgemeinere Unterstützung für Kuba, Venezuela und Nicaragua nicht gefällt.
Als Antwort auf die Gedankenspiele mit russischen Militärstationierungen in Amerika versprach der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, die USA würden "entschieden" reagieren. Das ist durchaus ironisch, da Sullivan und seine Kollegen in der US-Regierung Russland das Recht abzusprechen scheinen, auf die Entsendung US-amerikanischer Truppen an seine Grenze zu reagieren. Aber das nur nebenbei. Tatsächlich fällt es schwer zu sehen, was Washington wirklich tun könnte, unterhalb der Entfesselung eines katastrophalen Krieges. Die Versuche, die kubanische und die venezolanische Regierung zu stürzen, sind gescheitert und die wirtschaftlichen Verbindungen sind so gut wie völlig gelöst. Die USA können gegen diese Länder nicht mehr viel bewirken.
Washington muss sich nun der Tatsache stellen, dass es zwar noch die erste Macht auf der Welt bleibt, aber selbst in seinem Umfeld nicht mehr auf seine beherrschende Stellung vertrauen kann. Sein Niedergang erfolgt in kleinen Schritten. Vermutlich werden die neuesten Ankündigungen aus Russland keine sehr dramatischen Folgen haben. Selbst ohne die gegenwärtigen Spannungen zwischen Ost und West hätte sich Moskau womöglich für eine engere Zusammenarbeit mit Kuba und anderen entschieden. Aber bei guten Beziehungen zu Washington dürfte der Kreml vermutlich bemüht sein, die USA nicht in ihrer eigenen Nachbarschaft herauszufordern.
So wie es ist, unterstreichen diese Meldungen die Tatsache, dass der Druck auf Russland für Washington nicht ohne Kosten bleibt und durchaus zu seinem Nachteil erwachsen kann. Die Regierenden im Weißen Haus sollten darüber gut nachdenken.
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Paul Robinson ist Professor an der Universität Ottawa. Er schreibt über russische und sowjetische Geschichte, Militärgeschichte und Militärethik und ist der Autor des Blogs Irrussionality. Er twittert unter @Irrusianality.
Übersetzt aus dem Englischen.
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