Hans-Böckler-Stiftung: Corona-Zweifel führen zu Verschwörungsmythen
Von Dagmar Henn
Gewerkschaften, so habe ich es einmal gelernt, sind Organisationen, die es durch Bündelung der Kräfte den abhängig Beschäftigten ermöglichen, das Machtgefälle zwischen Unternehmern und Arbeitern auszugleichen, um eine Durchsetzung eigener wirtschaftlicher und politischer Interessen zu ermöglichen. Dass große Gewerkschaften dafür auch eigene Forschungseinrichtungen halten, gehört dazu.
Die Hans-Böckler-Stiftung, die Stiftung (oder die Denkfabrik) des DGB, bewegt sich aber auf eigenartigen Pfaden, wenn man die jüngst veröffentlichte 5. Befragungsrunde der "Erwerbspersonenbefragung" und die Bewertung ihrer Ergebnisse durch die Stiftung betrachtet.
Denn der Blickwinkel, unter dem die Ergebnisse durch den Sozialpsychologen Andreas Hövermann betrachtet werden, ist kein gewerkschaftlicher, also ein auf Interessenvertretung der Beschäftigten gerichteter, sondern einer der Regierung. Es wird nicht gefragt, wie die von den Beschäftigten geäußerte Sicht von der Gewerkschaft umgesetzt werden könnte, sondern, wie die festgestellte Sicht im Sinne der Regierung geändert werden kann. Es wird nicht überraschen, dass es hierbei um Corona geht.
Die über 5.000 Teilnehmer wurden zwischen 29. Juni und 13. Juli zu sechs Thesen befragt (die Zustimmungswerte insgesamt jeweils in Klammern dahinter):
Die derzeitigen Einschränkungen der Freiheitsrechte stellen eine Bedrohung der Demokratie dar. (36 Prozent)
Ich bin in Sorge, dass die Einschränkungen der Grundrechte nach der Krise nicht vollständig zurückgenommen werden. (43 Prozent)
Ich glaube nicht, dass das Coronavirus so gefährlich ist, wie es häufig behauptet wird. (27 Prozent)
Ich habe Zweifel an den offiziellen Corona-Zahlen. (43 Prozent)
Ich kann mir vorstellen, dass hinter der Pandemie eine Elite steht, die eine neue Weltordnung schaffen will. (20 Prozent)
Ich kann mir vorstellen, dass die Pandemie von Eliten benutzt wird, um die Interessen der Reichen und Mächtigen durchzusetzen. (32 Prozent)
Bei allen Antworten ist die Zustimmung seit der letzten Befragungswelle im November 2020 gestiegen, außer bei der Frage nach der Gefährlichkeit des Virus.
Man könnte jetzt daraus folgern, dass auch große Teile der Gewerkschaftsmitglieder die Grundrechtseinschränkungen kritisch sehen, sich Sorgen um die Demokratie machen und das entsprechend vermitteln. Man könnte die 43 Prozent, die an den Zahlen zweifeln, ernst nehmen und daraus die Forderung ableiten, endlich saubere und verlässliche Zahlen zu liefern. Selbst für die Meinung der 32 Prozent, dass die Interessen der Reichen und Mächtigen mit der Pandemie durchgesetzt werden, gibt es einen faktischen Hintergrund – dass die extrem Reichen tatsächlich große Vermögenszuwächse verzeichnen konnten, aber viele Menschen aus der Normalbevölkerung selbst in Deutschland wirtschaftliche Einbußen erleiden mussten, von den ärmeren Ländern ganz zu schweigen. Auch daraus ließen sich Forderungen an und für die gewerkschaftliche Politik ableiten.
Das macht der Autor der Studie aber nicht. Im Gegenteil. Er setzt schon im Vorwort Zweifel an den Zahlen und an der demokratischen Qualität der Maßnahmen mit dem gleich, was auch er "Querdenker-Bewegung" nennt, die dann so klassifiziert wird: "Schnell vermischten sich hier Zweifel an der Existenz des Virus mit weiteren obskuren Verschwörungsmythen und antisemitischen Motiven – nicht zuletzt auch durch die Unterwanderung und Vereinnahmung der Bewegung durch rechtsextreme Gruppierungen." Beleg für Letzteres ist, welche Überraschung, wieder einmal der "Sturm auf den Reichstag", und selbst der Mord von Idar-Oberstein muss wieder zur Bewertung herhalten.
Nicht nur die Gleichsetzung Zweifel gleich Querdenker gleich rechtsradikal entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage; auch die Zweifel ohne weiteres Nachdenken als unbegründete zu behandeln, ist unwissenschaftlich. Denn, wie bereits erwähnt, selbst das Handeln im Interesse der Reichen und Mächtigen ist keine reine Einbildung, sondern eine nicht ganz fernliegende Deutung harter, materieller Tatsachen, obwohl der Autor der Hans-Böckler-Studie sie zusammen mit der Aussage über eine geplante neue Weltordnung zum "Verschwörungsmythos" erklärt.
Wir reden hier schließlich über Vermögenszuwächse, die bis hin zu einer Verdopplung reichen; in diesen Größenordnungen wird es schwierig, das zum unbeabsichtigten Ergebnis eines nicht durch diese Interessen beeinflussten Handelns zu erklären. Das heißt nicht, dass es völlig ausgeschlossen ist, da das wirtschaftliche System, in dem wir leben, grundsätzlich und immer zugunsten der Reichen und zum Nachteil der Armen funktioniert; aber die Schwelle, bis zu der Zufall wahrscheinlicher ist als Absicht, ist doch deutlich überschritten.
Zweifel an den Zahlen, mit denen bei diesem Thema politisch operiert wird, sind mehr als angebracht, spätestens seit der Bundesrechnungshof rügte, dass die Angaben zur vermeintlichen Überlastung der Intensivstationen falsch waren, und seit mehrmals die Datengrundlage für die immer gleichen, sich auch noch verschärfenden Maßnahmen gewechselt wurde. Bis heute werden nach wie vor keine Vermehrungszyklen bei den PCR-Tests aufgenommen, obwohl es ein einfach zu realisierendes Zugeständnis wäre, diese Information mit aufzunehmen, und sei es mit der Absicht, eine wissenschaftlich belegte Schwelle festzulegen, bis zu der von einer Ansteckungsmöglichkeit auszugehen ist.
Sorge um die Demokratie ist eigentlich etwas, das begrüßt werden sollte, auch aus den Reihen der Gewerkschaft und ihrer Stiftung. Langfristige Einschränkungen der Versammlungsfreiheit machen schließlich auf Dauer die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit, also des Rechts, sich zusammenzuschließen, ebenfalls unmöglich und bedrohen damit auch das Grundrecht, das die Existenz von Gewerkschaften ermöglicht. Die Aussagen, die aus anderen Bereichen ehrenamtlicher Tätigkeit vorliegen, wie aus Sportvereinen oder von der Freiwilligen Feuerwehr, stützen diese Annahme.
Doch nicht einmal das organisatorische Eigeninteresse kann sich in dieser Studie noch Bahn brechen. Autor Hövermann schreibt lieber von "hohen Korrelationen zwischen drastischen Verschwörungsmythen und harmloserer Corona-Skepsis (…), die dadurch lediglich vermeintlich harmlos wurde". Die Kritiker seien zudem gefährlich, da sie sich "seltener an die AHA-Regeln halten" und "eher antidemokratische Formen des Protestes nutzen". (Was "eher antidemokratische Formen" sind, führt er leider nicht aus; mir zumindest sind bisher keine bewaffneten Aufstände zu Ohren gekommen.) Auf jeden Fall habe der Verfassungsschutz Recht damit, sie in die neu geschaffene Kategorie der "demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Delegitimierung des Staates" einzuordnen.
Hövermann gibt sich ordentlich Mühe herauszufinden, wer Zweifel hat, und entdeckt, dass Personen, die selbst wirtschaftliche Nachteile davontrugen, deutlich kritischer eingestellt sind, ebenso wie die Erwerbspersonen mit niedrigem Einkommen, die, so viel Wirklichkeit lässt der Autor noch zu, tatsächlich ausgeprägter unter den Folgen der Maßnahmen litten oder Angst um ihren Arbeitsplatz haben mussten. Wenn aber der Anteil der kritisch Gesonnenen unter den Nichtwählern besonders hoch ist, dann schließt er daraus, die Befragten hätten "keine Bindung zu demokratischen Parteien", statt sich die Frage auch nur zu stellen, ob nicht die Corona-Maßnahmen und ihre herzlich ungleichen Auswirkungen auf Arm und Reich der Grund für das Entschwinden dieser Bindung sind.
Der männliche Berliner Grünen-Wähler mit Hochschulstudium und einem Einkommen von über 4.500 Euro im Monat ist demnach am wenigsten anfällig für jene Gedanken, die Hövermann nur als Verschwörungsmythen oder Vorformen von Verschwörungsmythen wahrnehmen kann. Die prekär beschäftigte Pflegehilfe aus Ostdeutschland unter 30, die AfD wählt, ist hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Fan der Corona-Politik.
Einen besonderen Beigeschmack bekommt diese Sicht auf die Befragten dadurch, dass diese "wissenschaftliche" Arbeit mit den Beitragsgeldern ebenjener Menschen finanziert wurde, die durch die Blickrichtung der Studie zu gefährlichen Demokratiefeinden stilisiert werden.
Wie weit sich der Autor von selbst minimalem Respekt für die arbeitende Bevölkerung entfernt hat, zeigt sich am deutlichsten an der Stelle, an der er eine Aussage versucht, die er vermutlich noch für sozial hält: "Um eine langfristige Abkehr vom demokratischen Diskurs bei vielen zu verhindern, gilt es Vertrauen zurückzugewinnen. Ein erster direkter, erfolgversprechender Weg könnte hier die bessere finanzielle Abfederung der durch die Krise entstandenen finanziellen Folgen und damit der Kontrollverluste darstellen. Dies könnte das äußerst wichtige Vertrauen vermittelnde Gefühl zurückbringen, politisch mit seinen finanziellen Nöten und Sorgen gesehen und vertreten werden."
Das ist in etwa der Tonfall Bismarcks während der Sozialistengesetze. Auch er führte die Sozialversicherung nicht ein, weil sie eine Lebensnotwendigkeit für die arbeitenden Menschen war, sondern um sie damit von weiterer Unterstützung der damaligen SPD und – man höre – der Gewerkschaften abzuhalten.
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Information:
Das Virus SARS-CoV-2 löst laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Atemwegserkrankung COVID-19 aus. Am 11. März 2020 hat die WHO eine Pandemie ausgerufen. Grundlage dafür ist die weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und in der Regel auch mit schweren Krankheitsverläufen. Nach offizieller Einschätzung handelt es sich um ein gefährliches Virus sowie um eine Krankheit, die vor allem für sogenannte Risikogruppen tödlich ausgehen kann. Generell gilt, dass neben Impfungen Corona-Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen und die AHA+A+L-Regeln – Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltag mit Maske, die Nutzung der Corona-Warn-App und regelmäßiges Lüften – essentiell sind. Auch die regelmäßige Verwendung von PCR-Tests, um potenziell infizierte Personen zu identifizieren, damit diese sich in Quarantäne begeben können, wird von den Behörden als sinnvoll erachtet, um die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Erregers zu identifizieren. Die Erklärungen der WHO und des für Deutschland zuständigen Robert Koch-Institutes zum Virus und zur Pandemie finden Sie hier und hier.
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