Meinung

Merkel und die Medien – eine krisensichere Freundschaft

Seit Anbeginn ihrer Kanzlerschaft verstehen es die bundesdeutschen Medien – von Springer bis zu den Öffentlich-Rechtlichen –, die von Merkel geschaffene politische Alternativlosigkeit entsprechend zu vermarkten. Besonders zeigte sich das in stürmischen Zeiten: von der Finanz- bis zur Corona-Krise.
Merkel und die Medien – eine krisensichere FreundschaftQuelle: www.globallookpress.com © Britta Pedersen

von Kaspar Sachse

Rückblickend betrachtet wäre eine Kanzlerin Merkel und die Umsetzung ihrer Politik ohne die deutsche Medienlandschaft undenkbar. Das zeigt sich besonders in der unterwürfigen Hofberichterstattung über das "Reagieren" Merkels während der zahlreichen immer durch die Globalisierung ausgelösten Krisen in der Zeit ihrer Kanzlerschaft.

Merkels visionslose Politik des Aussitzens, stets vor dem Hintergrund einer "marktkonformen Demokratie" mutierte über die Jahre zu einer immer autoritären Politik der "Alternativlosigkeit" – wenn es darauf ankam. Den Auftakt bildete dabei zweifellos die Finanzkrise im Jahr 2008.

Die Finanzkrise ab 2008

Am 4. Oktober 2008 treten Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück im Kanzleramt vor die Presse. Merkel verkündet mit unsicherer Miene: 

"Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein." 

Steinbrück sagt das Gleiche noch mal ziemlich verklausuliert – in wenigen Minuten ist die Sache durch – und die Deutschen sind erst mal beruhigt. Das war auf dem Höhepunkt der durch unfassbare Gier ausgelösten Finanzkrise – die bis heute verheerend nachwirkt. 

Wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung berichtete, gab es nur wenige Tage später am 8. Oktober 2008 ein Treffen zwischen der Kanzlerin und den wichtigsten Chefredakteuren des Landes. Man findet zu den Details oder einem etwaigen Protokoll so gut wie gar nichts. Doch klar ist: Merkel bat bzw. – je nach Lesart – rief die Presseleute dazu auf, keine Panik bezüglich der Finanzkrise und insbesondere der Spareinlagen der Bundesbürger zu schüren. Freitag-Verleger Jakob Augstein mahnte schon im Jahr 2010 den fehlenden Abstand zwischen den Journalisten und Merkel an:

"Man sollte sehr hellhörig werden, wenn Journalisten anfangen, sich auf ihre Verantwortung zu berufen. Sie haben nur eine einzige: der Wahrheit gegenüber."

Im Februar 2009 schrieb die damals noch linke taz über die Medien und mit Bezug auf das ominöse Treffen hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt:

"Sie berichten, was Bundeskanzlerin Merkel den Chefredakteuren und Verlagsdirektoren schon bei einem eigens einberufenen Treffen im vergangenen Oktober vorgesagt hat. Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. Wie viel Geld bereits in die Banken gepumpt wurde, wie viele Milliarden Bürgschaftszusagen vergeben wurden (und wie viele Hartz-IV-Monats'löhne' das sind), das steht auch nicht in der Zeitung."

Doch Merkel hat die kritische Situation gemeistert - und wie so oft der alte Fritz - alles auf eine Karte gesetzt, denn: Weder sie noch Steinbrück hatten damals eine Vorstellung vom wahren Ausmaß der Krise und der tatsächlichen Situation der deutschen Spareinlagen. Letztendlich sollte aus der Finanzkrise eine Banken- bzw. Schuldenkrise werden - die sich bis heute immer stärker zuspitzt.

Der Atomausstieg 2011

Das nächste Jahrzehnt begann mit der Katastrophe von Fukushima. Eigentlich wollte die schwarz-gelbe Koalition den noch unter Rot-Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg wieder rückgängig machen. Doch drei Tage nach dem Reaktorunglück verkünden Kanzlerin Merkel (CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) am 14. März 2011 den Atomausstieg - eine politische Kehrtwende um 180 Grad:

"Die Ereignisse in Japan lehrten uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich sind. [...] Sie sind auch ein Einschnitt für die ganze Welt. [...] Denn wir sind eine Welt"

Wohlwollend betitelte die Bild Merkels energiepolitischen Umschwung mit den Worten: 

"'Auch ich habe dazugelernt.' Die Kanzlerin will Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Umweltgruppen für Energiewende gewinnen".

Und süffisant stellte Roland Nelles, Alumni des "Young-Leader"-Programms der Atlantik-Brücke, im Spiegel heraus:

"Auch der Merkelismus kann Fortschritt bringen." Mit dem Beginn eines sich unter Merkel konstruierenden, weltweiten Vorbildcharakters einer besonders ethisch "guten" deutschen Politik konnte er sich bereits damals anfreunden: 

"Das Land der gelben Tonnen und Bioläden will den anderen Nationen nun vormachen, wie das geht, saubere, politisch-korrekte Energie. Das ist weniger naiv als es sich anhört. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich mit Wind bald auch Wohlstand sichern lässt."

Merkels radikaler Schwenk zur Umwelt- und Klimapolitik entsprach also genau dem Zeitgeist - damals ging in erster Linie die medial geschürte Angst vor einer Atomkatastrophe um. Diese "German Angst" verstand Merkel ideal zu instrumentalisieren.

Die Ukraine-Krise 2014

Das Jahr 2014 verschob für Merkel den Schwerpunkt ihrer Außenpolitik auf die Ukraine-Krise und die Beziehungen zu Russland. Selten tönte die deutsche Presse so einseitig wie damals, das Spiel hieß "Gute Merkel, böser Putin" – und es war die Zeit, in der erstmals große Teile der Bevölkerung Zweifel an der Berichterstattung der SZ, Zeit, Bild und Co. bekamen.

Ganz vorne mit dabei war die Bild, die bereits im März nach einem durchgesickerten Telefonat zwischen Obama und Merkel titelte:

"Merkel schimpft: Putin lebt in einer anderen Welt"

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des D-Day goss die Süddeutsche Zeitung noch mehr Öl ins Feuer:

"Treffen zwischen Merkel und Putin: Der böse Blick. [...] kaum jemals war Angela Merkel stärker anzusehen, wie schwierig es sein kann, diplomatisch aufzutreten."

Und die Deutsche Welle schrieb einige Monate später am 17. November 2014:

"Merkel rechnet mit Putin ab. Die Kanzlerin hat eine Rede in Sydney für massive Kritik an der Außenpolitik des russischen Staatschefs genutzt. Putin setze allein auf das Recht des Stärkeren, die europäische Friedensordnung sei in Gefahr." 

Bezeichnenderweise wurde 2014 eine Ausgabe der Anstalt des ZDF – in der die beiden Protagonisten die netzwerkartigen Beziehungen zwischen FAZ, Zeit, SZ und Co. zu transatlantischen Thinktanks wie dem Aspen Institute, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft e. V. oder dem American Coucil on Germany beleuchten, heftig kritisiert. So schrieb Reinhard Mohr in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

"Jeder Hauch von Kritik an Putin und Russland werde vermieden, mit traumwandlerischer Sicherheit landet alles Elend der Welt bei Angela Merkel und ihren alliierten Kriegstreibern von Hochfinanz und Atlantikbrücke."

Katja Thorwarth von der Frankfurter Rundschau sah den Satiriker Max Uthoff gar als Anhänger Putins, welcher "ganz versessen auf das Märchen von der ferngesteuerten Ukraine" sei und rückte ihn in die Nähe der "Verschwörungstheorien Ken Jebsens". Rückblickend auf das Jahr 2014 setzte die FAZ zum Kriegsende vor 70 Jahren am 10. Mai 2015 völlig unpassend zum Anlass noch einen drauf: "Merkel nennt Annexion der Krim 'verbrecherisch'" und zog am Ende einen völlig schiefen Vergleich, indem die Ereignisse auf der Krim mit denen der NS-Tyrannei in Verbindung gebracht wurden:

"Delegationskreise brachten diese erstmalige Einstufung der Annexion der Krim durch Merkel als 'verbrecherisch' in Zusammenhang mit vorangehenden Äußerungen des Bedauerns über die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands."

Dass dieser Vergleich nicht nur aus historischer Perspektive an Absurdität kaum zu überbieten ist, stellte für die FAZ offenbar kein Problem da. 

Die Flüchtlingskrise 2015: "Wir schaffen das"

Das Jahr der einsetzenden sogenannten "Flüchtlingkrise", die freilich eine von den USA ausgelöste geopolitische Krise war und ist, haben viele Menschen noch bildlich vor Augen - zum Beispiel die Szenen in Ungarn am Bahnhof von Budapest und teddybärenwerfende Weltretter in München. Die polarisierende Situation hat Deutschland seitdem nachhaltig verändert und gespalten. Es war daher auch das Thema der Sommerpressekonferenz von 2015. Damals sagte Merkel den berühmten Satz:

"Ich sage ganz einfach: Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das ! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden."

Das musste dann auch entsprechend medial orchestriert werden. So titelte der Journalist Georg Diez in seiner Kolumne im Spiegel die Überschrift "Ja, wir schaffen das". Darin reihten sich zahlreiche Absurditäten aneinander: "Der Satz war eine Brücke: Merkel hat die Politik in gewisser Weise denen zurückgegeben, aus deren Stimme sie erst erwächst, der Bevölkerung", denn "Das Gute schafft das Gute" – und wer freilich gegen das von oben aufoktroyierte 'Gute' ist – der kann nur ein ostdeutscher Hinterwäldler aus Dresden, Heidenau, Claußnitz, Bautzen oder Chemnitz sein, also aus Dunkeldeutschland. Deutlich heller war dagegen der Zuspruch vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck im ZDF-Sommerinterview für Merkel:

"Ich mag mir eine Regierungschefin nicht vorstellen, die vor das Volk tritt und sagt, wir schaffen das nicht. Also, warum sollte man eine solche Person wählen? 

Das Land ist nicht in einem Zustand wie ein sinkendes Schiff, es ist noch nicht mal in einem Zustand eines schweren Orkans, sondern es sind Böen, die uns schütteln, und es sind Böen, die die Gesellschaft auch ein wenig durcheinanderbringen."

Zum fünfjährigen Jubiläum 2020 sparte auch die taz nicht mit Lobhudeleien auf Merkel und zitierte sie mit den Worten:

"Als Kind der deutschen Einheit war mir klar, dass wir wieder viele neue Wege gehen, bürokratische Hürden abbauen mussten und Ängste auch. 'Wir schaffen das' ist das richtige Motiv für diese Aufgabe – Ziel und Haltung." Und auch in der Berliner Redaktionsstube der Ta(t)zen weiß man, dass permanente Wiederholung das beste Mittel jeglicher Propaganda ist. Man fügte an das Ende des Merkel-Zitats, den Artikel abschließend die Formulierung "Ziel und Haltung. Wir schaffen das." an. So geht Haltungsjournalismus. 

Die Corona-Krise seit 2020

"Es ist ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt."

(Angela Merkel am 18. März 2020)

Doch dann kam Corona – und alle voran geschilderten Krisen und ihre mediale Rezeption wirkten wie eine Oase der Meinungsfreiheit gegen die nie dagewesene "Propaganda-Matrix" aus öffentlichen-rechtlichen und privaten Medien. Von Anfang an waren die Medien auf Merkels Seite. So stellte für die TAZ ihre obige Ansprache "Die letzte Warnung" und für die Zeit "Die letzte Mahnung aus dem Kanzleramt" an die bald aus dem Reiche der "Verschwörungsmythen" entsteigenden "Corona-Leugnern" und "COVIDioten" dar. Oder anders ausgedrückt: "Ich kenne keine unabhängigen Journalisten mehr, ich kenne nur nur Zeugen Coronas". Denn klar ist auch: War im Frühjahr eine gewissen Panik vielleicht begründbar, hat sich eine seitdem etablierte "Corona-Dauerbeschallung" immer weiter ins Absurde zugespitzt. 

Nie waren die Widersprüche zwischen Realität und Meldung größer als seit dem Frühjahr 2020, nie wurde soviel unter den Tisch gekehrt während gleichzeitig aus Mücken Elefanten gemacht wurden und der Intellekt jeden Tag aufs Neue beleidigt wird. Neben den täglichen Fallzahlen des Jahres 2020 grüßt im Folgejahr die tägliche "Werbung" bzw. psychische Zumutung für "Impfangebote" (wer besonders clever ist, bekommt noch eine Bratwurst oder einen Döner dazu) – wie im Jahr 1993 den Schauspieler Bill Murray alltäglich das Murmeltier. 

Selten war Merkels "Alternativlosigkeit" so ausgeprägt wie in den letzten eineinhalb Jahren. Lockdown, permanenter Ausnahmezustand und Impfen, Impfen, Impfen werden ohne Rücksicht auf Verluste am Bundestag und 16 Länderchefs durchgepeitscht, wehe dem, der "Öffnungsdiskussionsorgien" anstimmt. Doch hin und wieder gab es Kritik an der Kanzlerin, besonders aus der Ecke der noch härte Maßnahmen fordernden "NoCOVID" und "ZeroCOVID"-Fetischisten, die zum Teil Gehör fanden. Für selbige auch ein Kritikpunkt: Masken und Impfstoff wurden viel zu spät und in viel zu geringer Menge bestellt.

Nur die Springer-Presse haut bis heute hin und wieder einen kritischen Artikel gegen die bundesdeutsche Coronapolitik von Merkel und Co heraus – auch wenn man auf der selben Seite des Öfteren bei Bild oder Welt eine völlig andere Position finden kann – so generiert man Clicks. Für die Frankfurter Rundschau allerdings zu viel des Guten, denn wer das Corona-Narrativ der Regierung hinterfragt, bekommt die Nazikeule ab, davor ist sogar der Bild-Chef nicht gefeit: "Julian Reichelt und die 'Bild'-Zeitung: Geistige Unruhestiftung der Rechtspopulisten".

Doch zurück zur Kanzlerin: Ihre offensichtlichen Fehleinschätzungen in der Corona-Krise ("Wir haben jetzt im Grunde genommen eine neue Pandemie"; "Ich habe eben schon über die größere Gefahr der Mutation gesprochen, und deshalb müssen wir mit unseren Beschlüssen heute sagen, weil wir wieder in einem exponentiellen Wachstum sind") werden vom Mainstream unter den Tisch gekehrt. Und außerdem ist das Motto Adenauers: "Was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern?" im Kanzleramt weiterhin beliebt. 

Flutkatastrophe im Westen

So unerwartet wie die fehlenden staatlichen Warnmeldungen für die Anwohner bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021 war der Auftritt Merkels im Hochwassergebiet:

Die Bilder, auf denen sie beherzt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer im verschlammten Niemandsland an die Hand nimmt, gingen um die Welt – fehlende Masken und Abstand waren für die Medien damals kein Thema – denn in jeder Krise hält man schließlich solidarisch zusammen – das ist einfach "alternativlos". 

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