CDU eröffnet heiße Wahlkampfphase – Rheumadeckenverkauf im leeren Tempodrom
von Dagmar Henn
100 leibhaftig Anwesende bevölkern an diesem Tag das Berliner Tempodrom, ganz Corona-gehorsam, und es wirkt, als hätte man die Berliner Junge Union zum vollständigen Erscheinen genötigt, damit das Publikum möglichst jung und dynamisch wirkt. Und auch sonst ist diese Eröffnungsveranstaltung der heißen Wahlkampfphase der CDU ein merkwürdiger Zwitter aus politischer Veranstaltung und einer stark US-amerikanisch geprägten Werbeshow; leider ohne Musik und Saalwette.
Alle wirken sie zwanghaft euphorisch, schon die Moderatorin, aber selbst Armin Laschet. Es ist viel die Rede von Kampf und Richtungsentscheidung, man versteigt sich selbst in Formulierungen wie der, man wolle "dem Land dienen". Mehrmals wird ganz pathetisch an die Bundeswehrsoldaten erinnert, die jetzt in Afghanistan "Menschen retten", insbesondere Frauen, wie der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak behauptete.
Laschet zieht eine besonders eigenartige Konsequenz aus den Ereignissen am Flughafen Kabul. Man müsse das aufarbeiten, was in den letzten Tagen geschehen sei, sagt er und bringt dann als Beispiel für eine gelungene Aufarbeitung die Gründung der GSG 9. Die, vielleicht weiß er das nicht, unter einem SPD-Kanzler geschah und die wegen ihres paramilitärischen Charakters eigentlich ein Bruch der Trennung zwischen Polizei und Militär war. Jedenfalls, mit der GSG 9 als Leitbild (in deren Schatten die KSK lauern), fordert er: "Wir müssen als Europäer in der Lage sein, einen Flughafen wie Kabul zu sichern."
Vielleicht sollte jemand dem Mann ganz langsam erklären, dass auch die US-Amerikaner diesen Flughafen nicht wirklich sichern, ihn nicht sichern können, sondern nur ein Militärspektakel aufführen, in Wirklichkeit aber geduldet sind, wie die Bundeswehr auch – dass dieser Fall also nur ein weiteres Mal belegt, dass Verhandlungen weiter führen als der Einsatz roher Gewalt. Dann ist es auch nicht mehr wirklich wichtig, ob ein Flugzeug in Landshut steht oder Landshut heißt.
Aber zurück zum Anfang. Ich war noch nie auf einer Kaffeefahrt mit Rheumadeckenverkauf, aber so in etwa stelle ich mir die Atmosphäre vor. Viele leere Sprüche mit ganz viel Gefühl, die überdecken sollen, dass die Ware den Preis nicht wert ist und der Käufer mit absoluter Sicherheit über den Tisch gezogen werden wird.
CDU-Generalsekretär Ziemiak sagte gleich zum Anfang, er sei stolz auf den Einsatz in Afghanistan, "auch auf das, was in den letzten 20 Jahren dort erreicht wurde. Da wurde gekämpft für Werte und Überzeugungen." Böse geopolitische Kommentatoren meinten, für die Mohnfelder der CIA und die Profite der US-Rüstungskonzerne, aber sei's drum. "Und genau darum geht es auch jetzt in Deutschland mit Blick auf die Bundestagswahl."
Das könnte jetzt glatt eine freudsche Fehlleistung sein. Vor meinem inneren Auge schwebte schon ein Hubschrauber über dem Kanzleramt.
Die CDU wolle "nicht nur Politik für den veganen Kunststudenten, sondern für alle Menschen in diesem Land" machen, so Ziemiak, und man müsse "kämpfen, damit Deutschland stabil bleibt".
Nun, die Punkte, an denen Stabilität wirklich gefährdet ist, bei der Stromversorgung beispielsweise oder bei den vielen baufälligen Autobahnbrücken, die kann er nicht gemeint haben; an deren Zustand war die CDU immer mit beteiligt. Nein, irgendwo muss er im Gebüsch stehen, der böse Russe, denn der Tonfall "keine Experimente", "klare Führung kann nur die Union", diese Renaissance der Losungen aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die muss ja irgendeinen konkreten Gegner haben.
"Die Ideologen", bieten die Redner an, und meinen damit alles irgendwie links von sich selbst.
Markus Söder verspricht: "Für uns ist klar, bei der hohen Impfquote, einen weiteren Lockdown wird es nicht geben." Aufgedruckte Haltbarkeit dieses Versprechens? Vielleicht einige Wochen.
Merkel und Laschet loben die Regierungspolitik der CDU. Logisch, das müssen sie ja. Und ebenso logisch müssen sie ganz im Ungefähren bleiben, wenn sie das tun können wollen. Merkel erwähnt, mehr oder weniger als einzige Zahl, die Arbeitslosigkeit habe sich seit 2005 halbiert. Das hat ein klein wenig damit zu tun, dass inzwischen viele jener, die 2005 arbeitslos waren, ins Rentenalter vorgerückt sind, aber wen kümmert das. Dass sie jetzt zu großen Teilen arm sein dürften, kümmert ja auch nicht.
Söder preist das Einstehen der CDU für Familien. "Sogar für Alleinerziehende" hätten sie etwas draufgepackt. Sogar. Kostet das immer noch Überwindung bei den Herren mit dem C, jene Familien, die am meisten unter Armut leiden müssen, nicht völlig auszublenden? Wer Familien in Deutschland fördern will, das sollte man ihnen mal erklären, muss zuerst dafür sorgen, dass es kein widriges Schicksal mehr ist, wenn eine Frau Kinder allein großziehen muss. Das dürfte nämlich einen gewaltigen Einfluss auf die Geburtenrate haben. Aber diese Tatsache hat ohnehin keinen Adressaten – wirkliche Sozialpolitik betreibt niemand mehr, und die Grünen halten inzwischen Kinderlosigkeit für die moralischste Entscheidung, wegen des CO₂.
Wo wir gerade beim weiblichen Teil der Gesellschaft sind – Merkel belebte das alte Märchen über den Afghanistan-Einsatz wieder: "Wir wollten möglichst vielen Menschen in Afghanistan ein freies, ein gutes, selbstbestimmtes Leben ermöglichen, vor allem Frauen und Mädchen." Nun, kaum etwas ist für ein freies Leben von Frauen hinderlicher als beständiger Krieg. Da helfen auch keine Schulen. Komisch, dass auf diese Idee keiner gekommen ist.
Aber die Märchenstunde geht weiter. Merkel preist ihre Regierung, sie habe "die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen gestärkt in Stadt und Land". Da werden sich all jene freuen, die an stillgelegten Bahnlinien hausen, in Regionen ohne öffentlichen Nahverkehr, in Dörfern ohne Treffpunkte oder Einkaufsmöglichkeiten, ohne Schulen und medizinische Versorgung. Dorothee Bär, die "Digitalisierungsbeauftragte" der Bundesregierung, die zwischendrin dazugeschaltet worden war, fantasierte gar von einer "Renaissance des ländlichen Raums". Dabei stand sie in Unterfranken, und ein kurzer Ausflug in die Hassberge hätte sie eines Besseren belehren können.
Dass Unionspolitiker Familienförderung und Ehegattensplitting nicht auseinanderhalten können – nun, das haben sie die letzten 30 Jahre nicht begriffen, das wird wohl nichts mehr. Aber wenn ihnen sonst weiter nichts einfällt, was die Familien betrifft, ist das schon sehr mau.
Keine Steuererhöhungen gebe es mit der Union, wird lauthals verkündet. Und überhaupt werde ja die Union nie und gar nimmer, nie nicht Steuern erhöhen. Nur die Mehrwertsteuer, und die CO₂-Steuer (ja, die habt ihr mit eingeführt, letztes Jahr erst!), also lauter indirekte Steuern, die vor allem schmale Geldbeutel treffen. Aber irgendwie ist es auch niedlich, wenn einer wie Söder erst von der Enteignungskampagne gegen die Deutsche Wohnen in Berlin spricht und dann etwas von "erarbeiteten Leistungen" erzählt. Als gäbe es keine internationalen Kapitalgesellschaften ... Ich nehme mal an, wenn er mit dem Vorstand der Munich Re (früher Münchener Rück) oder der Allianz redet, hat er sich wieder daran erinnert.
Eine Aussage hatte allerdings einen besonderen Charme; sie stammte vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus. Er erklärte die anstehende Bundestagswahl zur Entscheidung, "mit welchem Menschenbild wir in die nächsten zehn Jahre gehen". Das sollte man besonders genießen: "Gehen wir mit einem Menschenbild hinein, einem Gesellschaftsbild, wo der Staat alles regelt, wo der Staat alles vorschreibt, wo der Staat einschränkt, wo der Staat sagt, wie wir zu sprechen und zu leben haben ..."
Klar meinte er damit die Bösen, alias alle anderen. Und dennoch – wer hat denn die ganzen letzten Jahre alles Mögliche als Fake News, russische Propaganda, Desinformation usw. etikettiert? War da irgendwo die CDU versehentlich mit an der Regierung? Wer hat all die hübschen Verordnungen gemacht, die uns vorschreiben, mit wie vielen Freunden wir an einem Tisch sitzen dürfen? War darunter auch ein CDU-Minister?
Nein, das brauchte wirkliche Kühnheit, diesen Satz so auszusprechen, in diesem Moment, in einem Tempodrom mit ganzen 100 Zuschauern, die noch dazu alle so diszipliniert waren, dabei nicht vor Lachen vom Stuhl zu fallen. Vermutlich übt man das in der Berliner Jungen Union.
Diese Rheumadecke werde ich jedenfalls nicht kaufen. Ich fürchte allerdings, auch sonst keine.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - "Klimapolitischer Moralweltmeister" – Murswiek zerrupft Urteil des Verfassungsgerichts
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.