Meinung

Berlin: Die guten und die bösen Demos

Am Samstag sind 2.000 tanzende Demonstranten friedlich, fröhlich und laut durch Berlin gezogen. Die Hygieneauflagen wurden dabei massenhaft ignoriert. Doch die Staatsmacht hat sich dieses Mal von ihrer großzügigen Seite gezeigt.
Berlin: Die guten und die bösen DemosQuelle: www.globallookpress.com © Annette Riedl / dpa

von Jens Zimmer

Die jährlich in Berlin stattfindende "Hanfparade" kämpft seit 1997 für die Freigabe der leichten Droge Cannabis. Zwar ist das ehemalige "Teufelszeug" aus der Schmuddelecke längst heraus. Rein juristisch jedoch sind der Besitz, der Verkauf und auch die Weitergabe nach wie vor untersagt.

Jedes Jahr im August versuchen einige tausend Menschen, genau das zu ändern. Mit einem farbenfrohen Umzug, lauter Musik und jeder Menge schwerem Rauch. Die Hanfparade gehört zu den großen Happenings und Markenzeichen Berlins. Auch im Sommer 2021, der ansonsten – ganz im Zeichen der Corona-Krise – nach gänzlich anderen Regeln abläuft.

Theoretisch gelten in einem Rechtsstaat natürlich alle Regeln für alle gleichermaßen. Genau das zeichnet einen Rechtsstaat unter anderem aus. Seit geraumer Zeit jedoch wird zunehmend gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, ganz besonders und ausgerechnet in der Hauptstadt. Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" dient einigen politischen Akteuren offenbar als Rechtfertigung zur Unterbindung unliebsamer Demonstrationen. Das medial unter dem Begriff "Querdenker" zusammengefasste Spektrum wurde in diesem Zuge gleich mehrfach mit gewaltigen Polizeiaufgeboten bekämpft. Das Auftreten der Staatsmacht war dabei erschreckend martialisch. Die eingesetzte Gewalt brachte unlängst sogar den UN-Sonderberichterstatter für Folter auf den Plan.

Erfrischend anders verhält es sich hingegen bei politisch genehmen Demonstrationen. Hier sehen die gleichen Berliner Akteure nonchalant über so manches Fehlverhalten der Teilnehmer hinweg. Hätte es sich gestern nicht um die Hanfparade, sondern um einen Protest der Querdenker gehandelt, der Zug hätte sich vermutlich gar nicht erst in Bewegung setzen dürfen. Zwar gab sich die Polizei große Mühe, die Teilnehmer zum Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu bewegen. Wirklich erfolgreich war sie dabei allerdings nicht.

Kurz vor dem Brandenburger Tor entschied die Polizei dann notgedrungen, den Demonstrationszug wieder zu stoppen. Bis dahin waren die etwa 2.000 Teilnehmer ohne Abstand und zu einem erheblichen Teil auch ohne Maske fröhlich über Berlins zentrale Prachtstraße getanzt – bestaunt von unzähligen Touristen. Und als sei das nicht genug, haben sie dabei kollektiv gekifft.

Seit Corona wird in Berlin auch bei kleineren Verstößen gnadenlos aufgelöst und weg geprügelt. Die gestrige Hanfparade jedoch nicht. Weder gab es ein Ultimatum noch Lautsprecherdurchsagen der Polizei. Keine behelmten Hundertschaften, die sich bedrohlich in Stellung brachten. Kein Hubschrauber und keine Wasserwerfer. Und nirgendwo sah man alles umrennende Beweis- und Festnahmeeinheiten.

Was ich gestern sah, das waren ein paar freundliche Beamte ohne Helm und Panzerung, die wiederholt und mit Engelsgeduld durch die Menge gingen und zum Maskentragen aufforderten. Diesmal übrigens mit größerem Erfolg als noch zu Beginn des Umzuges. Schon bald musste man Menschen ohne Maske eher suchen. Der jetzt auch deutlich entzerrte Zug durfte weiter in Richtung Kanzleramt tanzen und von dort wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt am Neptunbrunnen.

Dabei kam es, wie es kommen musste: Schon bald vergaß der ein oder andere die vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung wieder. Die allgemeine Disziplin war nun zwar deutlich größer, doch wirklich eingehalten wurden die Auflagen auch jetzt nicht. Zumal viele, die eine Flasche in der Hand hielten, die Maske einfach dauerhaft unter das Kinn schoben – ganz legal. Denn wer trinkt, braucht natürlich keine Maske zu tragen. Wer raucht übrigens auch nicht. Was zu der absurden Situation führte, dass Leute ohne Maske am Kanzleramt vorbeitanzen durften, weil sie dabei einen Joint rauchten. Es sind wirklich verrückte Zeiten.

Mit kleinen Exempeln versuchte die Polizei dann doch noch, die Auflagen durchzusetzen. Wer nicht trank, nicht rauchte und auch keine Maske trug, wurde zwecks Ansprache aus der Menge herausgeführt. Offenbar wurden dabei aber keine Personalien aufgenommen. Zumindest habe ich nichts dergleichen beobachtet. Was sich mir darbot, war ein echtes Musterbeispiel polizeilicher Deeskalationstaktik.

Ein Vorgehen, das ich für absolut richtig halte, auch gestern. Es ist nicht die Aufgabe der Polizei, friedliche Demonstrationen zu verhindern. Sie hat solche Demonstrationen vielmehr zu ermöglichen und abzusichern. Und was das Thema der Hanfparade betrifft: Den Leuten sei ihr Cannabis von Herzen gegönnt!

Ganz ähnlich verhält es sich mit den leidigen Masken. Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unter freiem Himmel ist vollkommen unsinnig, und vielen ist das auch bewusst. Doch anders als beim Kiffen, setzt der Staat in diesem Fall seine Vorschrift gnadenlos durch. Wir werden ja sehen, wie lange noch. Die Zeiten ändern sich manchmal schneller, als man denkt.

Ich kannte Leute, die wurden in den 1980ern mit ein paar Gramm Haschisch an der deutsch-holländischen Grenze erwischt. Bei der umgehend durchgeführten Hausdurchsuchung war die Polizei mit Maschinenpistolen bewaffnet! Die Delinquenten wohnten damals noch bei ihren Eltern.

Was heute grotesk überzogen klingt, war damals normal. Zu allen Zeiten setzt der Staat seinen aktuellen Unsinn mit allen Mitteln gegen die Bürger durch. Schon in wenigen Jahren wird auch der Blick auf das Heute ziemlich absurd erscheinen. Wasserwerfer gegen Menschen, die unter freiem Himmel das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verweigern? Das ist ebenso grotesk wie Maschinenpistolen gegen kiffende Teenager.

Immer gleichbleibend gefährlich bleibt jedoch die eklatante Ungleichbehandlung verschiedener Demonstrationen in Berlin. Wer sich aus politischem Eigennutz in dieser Weise an den Grundrechten der Bürger vergeht, legt eine gesellschaftliche Zeitbombe, die nur sehr schwer wieder zu entschärfen sein wird. Misstrauen und Zwietracht sind aktuell bereits die gefährlichsten Viren im Land. Gegen sie helfen weder Impfstoff noch Maske. Die Langzeitwirkung ist dafür bestens bekannt.

Die Medien spielen dieses destruktive Spiel mit. In den Artikeln über die gestrige Hanfparade steht kein Wort über hunderte Verstöße gegen die Hygieneauflagen. Niemand wird für durchgeknallt, verblendet oder nicht zurechnungsfähig erklärt. Auch keine Zeile darüber, dass sich der Zug trotz breiter Nichteinhaltung der Auflagen in Bewegung setzen durfte oder darüber, dass er vor dem Brandenburger Tor gestoppt wurde, weil er (wie beim CSD) vollkommen aus dem Ruder lief.

Was man aus der Presse erfährt, ist, dass Kultursenator Klaus Lederer zum Auftakt eine kleine Rede hielt. Wirklich herzallerliebst! Es gibt sie nämlich doch: die guten und die bösen Demonstrationen.

Mehr zum Thema - "Spalte und herrsche": Ein Erlebnisbericht aus dem bunten Deutschland

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.