Meinung

Neues aus dem Sumpf der "Russiagate"-Fanatiker

Glaubt man dem britischen Guardian, beweisen angeblich durchgesickerte Unterlagen aus dem Kreml, dass der russische Staat eine geheime Verschwörung ausgeheckt hatte, um Donald Trump zum US-Präsidenten zu wählen. Aufgrund der vorliegenden "Beweise" scheint es jedoch angebracht, mehr als nur ein wenig skeptisch zu sein.
Neues aus dem Sumpf der "Russiagate"-FanatikerQuelle: www.globallookpress.com © Zamir Usmanov/Global Look Press

von Paul Robinson

Von 2016 bis 2020 dominierte eine einzige Story mit zwei Elementen die amerikanischen Schlagzeilen: Russiagate. Der erste Teil der Erzählung war die Behauptung, die russische Regierung habe eine Reihe von Maßnahmen einschließlich Desinformation eingesetzt, um sicherzustellen, dass Trump das höchste Amt seines Landes antreten kann. Der zweite Teil war, dass Trump sich mit Moskau abgesprochen hätte, um dieses Ziel zu erreichen. Nach endloser Wiederholung wurde dieses Mantra für gewisse Leute fast zur heiligen "Wahrheit".

Und doch begann das Ganze, wie wir heute wissen, mit einer Unwahrheit, genauer gesagt mit einem einzigen Dokument, das eine ganze Reihe von Unwahrheiten enthielt. Dies war das berüchtigte "Steele-Dossier", das vom ehemaligen britischen Geheimdienstler Christopher Steele als Teil einer Strategie der Demokratischen Partei zusammengestellt wurde, um Schmutz auszugraben, mit dem man Trumps Ruf schädigen wollte. Das Dossier enthielt eine Reihe abenteuerlicher Geschichten über Trumps Verhältnis zu Russland. Zudem wurde behauptet, dass die Informationen von Quellen aus dem Dunstkreis der oberen Ränge des Kremls stammten. Das war und bleibt unwahr.

Wie wir heute wissen, handelte es sich bei den Informationen um reine Gerüchte, die aus zweiter oder dritter Hand von jemandem verbreitet wurden, der nicht einmal in Russland lebte. Kurz gesagt, es war eine komplette Fabrikation. Leider hat Russiagate viele Journalisten dazu gebracht, kritisches Denken aufzugeben und alle antirussischen Vorwürfe mit einer ausgeprägten Leichtgläubigkeit zu behandeln. Besonders prominent ist der britische Journalist Luke Harding vom Guardian, der sogar ein Buch zu Russiagate mit dem Titel "Collusion" (Kollusion) veröffentlichte, in dem er den Fall "aufarbeitete". Seine Schlussfolgerungen waren jedoch oft ziemlich bizarr. Einer von Hardings "Beweisen", dass ein Mitarbeiter eines Mitarbeiters von Trump ein russischer Spion sei, war beispielsweise, dass dieser in einer E-Mail Emojis verwendet hat. Das ist kein Scherz. Jemand verwendet Emojis, also muss er ein russischer Spion sein. Aber dies gibt zumindest einen Eindruck von der Qualität von Hardings Arbeit.

In einem anderen Fall behauptete er, Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort habe zusammen mit namenlosen "Russen" den WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der Botschaft Ecuadors in London getroffen. Auch diese Geschichte stellte sich als unwahr heraus. Sie wurde aber nie richtiggestellt. Kurz gesagt: Es gibt Gründe, warum manche das, was Harding verbreitete, mit einer großzügigen Prise Skepsis betrachten. All dies ist notwendige Hintergrundinformation, um seinen neuesten Artikel im Guardian zu beurteilen, in dem er aus "vertraulichen Dokumenten" zitiert, die er angeblich gesehen haben will und die angeblich aufzeigen, "dass Wladimir Putin persönlich eine geheime Operation autorisiert hat, um einen 'geistig instabilen' Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 zu unterstützen".

Der Artikel wurde von zwei anderen, zuverlässig antirussischen Schreibern beim Guardian, Dan Sabbagh und Julian Borger, mitverfasst. Bei den fraglichen "vertraulichen Dokumenten" handelt es sich angeblich um Aufzeichnungen einer Sitzung des russischen Nationalen Sicherheitsrates, in der "man" zum Schluss gekommen sein soll, dass Trumps Wahl wünschenswert sei, da sie "zu einer Destabilisierung des gesellschaftspolitischen Systems der USA führen würde". Zu diesem Zweck beschloss man auf dem Treffen angeblich, "alle erdenklichen Mittel einzusetzen, um seine Wahl zu erleichtern", einschließlich der "Einführung von Medienviren in das öffentliche Leben der USA, die das Massenbewusstsein verändern würden".

Leider stellt Harding keine vollständigen Kopien der fraglichen Dokumente zur Verfügung und beschränkt sich auf einen einzigen Auszug. Er sagt auch nicht, woher er die Papiere hat. Die einzige Bestätigung als Beweis soll sein, dass "der Guardian die Dokumente unabhängigen Experten gezeigt hat, die sagen, dass sie echt zu sein scheinen." Natürlich glaubten auch viele "unabhängige Experten" an das Steele-Dossier, an die Hitler-Tagebücher, den Sinowjew-Brief und viele andere dubiose oder völlig erfundene Dokumente. Zudem ist es wenig sinnvoll, sich dann auch noch auf anonyme "Experten" zu beziehen.

Tatsächlich gibt es einige Gründe, auch diese Geschichte mit einer gewissen Skepsis zu behandeln. Erstens sind diese Dokumente dasselbe wie der perfekte, in Gold gerahmte Beweis, den die Russiagate-Anhänger seit Jahren suchen. Die Geschichte ist ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Zweitens, wenn diese Papiere tatsächlich echt sind, hat entweder jemand im Kreml beschlossen, das streng geheimste aller streng geheimen Dokumente durchsickern zu lassen oder der britische Geheimdienst hat dort einen Spion und hat die Informationen dann an Harding weitergegeben und damit riskiert, ebendiesen Spion bloßzustellen. Beide Optionen entsprechen nicht den Erfahrungen aus der Vergangenheit.

Lecks aus Putins Umfeld sind sehr selten, so gut wie nicht bekannt und gemäß unserem Wissensstand hatten weder die Briten noch irgendein westlicher Geheimdienst jemals einen Spion im Herzen des Kremls. Ausschließen kann man es nicht, aber man muss seine Zweifel haben. Drittens, die angebliche Motivation für die Unterstützung von Trump durch den Kreml riecht eher nach dem, was die Leute im Westen jetzt rückwirkend denken, als das, was zu dieser Zeit wahrscheinlich in den Köpfen russischer Geheimdienstler vorgegangen wäre. Der Hauptgrund, warum sich der Kreml 2016 Trumps Wahl gewünscht haben könnte, war die Wahrnehmung, dass er Russland gegenüber nicht ganz so feindselig wäre wie seine Rivalin Hillary Clinton. Tatsächlich hatte er in Reden erklärt, dass er bessere Beziehungen zu Moskau befürworte.

Aber das wird in Hardings Dokumenten nicht erwähnt. Stattdessen legt er den Fokus darauf, dass die Vereinigten Staaten durch die Wahl eines psychisch instabilen Präsidenten "destabilisiert" werden sollten. Dies sind keine Ideen, die jemals jemand mit Autorität im Kreml öffentlich geäußert hat. Stattdessen sind es Ideen, die zwischen 2016 und 2020 unter Verschwörungstheoretikern allmählich zum Dogma wurden. Mit anderen Worten, die Dokumente lesen sich so, als ob die westlichen Russiagate-Theoretiker sich das vorstellen, was die Russen dachten, und nicht das, was sie wirklich denken.

Und viertens stellt sich heraus, dass der mit Hardings Artikel veröffentlichte kurze Auszug aus den "geheimen Dokumenten" eine Reihe von sprachlichen und grammatikalischen Fehlern aufweist, die zu Spekulationen Anlass geben, dass er von einem Nicht-Muttersprachler des Russischen verfasst und dann übersetzt wurde. Natürlich ist das alles andere als ein sicherer Fälschungsbeweis – es könnte sein, dass man im Kreml einfach nicht sehr gut schreiben kann. Aber auch das ist eher unwahrscheinlich.

Eine gängige Methode, nachrichtendienstliche Informationen zu bewerten, ist ein alphanumerisches System, bei dem die Buchstaben der Quelle ihre Zuverlässigkeit  beimessen (von A: "Zuverlässig" bis E: "Unzuverlässig" und F: "Zuverlässigkeit unbekannt") und Zahlen mit der die Verlässlichkeit der Informationen selbst bemessen werden (von 1: "aus anderen Quellen bestätigt" bis 5: "unwahrscheinlich" und 6: "Gültigkeit der Informationen nicht bestimmbar"). In diesem Fall müsste man Hardings Geschichte wahrscheinlich als D6 einstufen.

Die Verlässlichkeit der Quelle – Harding – ist zweifelhaft, und die Gültigkeit der Informationen kann nicht bestätigt werden. Dies bedeutet nicht, dass die Dokumente gefälscht sind. D6 bedeutet nicht falsch. Gleichzeitig ist es aber auch nicht gerade A1 – also muss man die betreffenden Informationen mit äußerster Vorsicht behandeln. Vielleicht hat der russische Nationale Sicherheitsrat tatsächlich geplant, Trump ins Weiße Haus zu bringen. Oder vielleicht auch nicht. Wir sind nicht in der Lage, das abschließend zu beurteilen. So oder so, sollte man die Geschichte im The Guardian nicht für bare Münze nehmen.

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Übersetzt aus dem Englischen. Paul Robinson ist Professor an der Universität von Ottawa. Er schreibt über russische und sowjetische Geschichte, Militärgeschichte und Militärethik und ist Autor des Blogs Irrussianality.

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