Die Flut – das Eiapopeia vom Himmel oder irdisches Versagen?
von Dagmar Henn
Eigentlich müsste alles in Ordnung sein. Zumindest, wenn man die entsprechenden Dokumente des Bundestags und der Landtage liest, die sich mit Hochwasserrisikomanagement und entsprechenden Plänen und Schutzmaßnahmen befassen. 2012 hatte der Bundestag in Umsetzung einer EU-Richtlinie ein Szenario durchgespielt, das insbesondere im Bereich der Rheinzuflüsse aus der Eifel ein Hochwasserereignis von einer Stärke, die seltener als einmal in 200 Jahren auftritt, zugrunde legte. Und die Folgen schienen gut im Griff.
Allerdings hieß es in diesem Dokument auch: "Dem Szenario wird die Annahme zugrunde gelegt, dass die Information der Bevölkerung zeitnah, adäquat und konsequent erfolgt. Besondere Hinweise und Handlungsanweisungen werden über verschiedene Medien (Fernsehen, Rundfunk, Internet, Presse), bei Bedarf im Akutfall auch über Durchsagen der Einsatzkräfte kommuniziert. Auch die Anordnung von Evakuierungen wird, wo notwendig, rechtzeitig mitgeteilt, wobei der überwiegende Teil der Bevölkerung erreicht wird."
Bisher 163 Tote sind wohl kaum das Ergebnis rechtzeitiger, adäquater Information oder gar der Anordnung und Durchführung von Evakuierungen. Das Szenario von 2012 ging von einem wesentlich größeren betroffenen Gebiet aus, aber von wesentlich weniger Opfern.
Und der Landtag von Rheinland-Pfalz? Der sicherte den Kommunen immer 90 Prozent Landesunterstützung für die Erarbeitung von Hochwasservorsorgeplänen zu, 2016 ebenso wie 2019, und dennoch waren es 2016 erst 50 Gemeinden, die solche Pläne fertig hatten, und 2019 waren erst 500 in Bearbeitung. Ebenfalls 2019 erklärte die Landesregierung in einer Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten: "Damit diese Umsetzung zügig vorangehe, habe das Ministerium ab dem aktuellen Jahr ein Kompetenzzentrum für Hochwasservorsorge und Hochwasserrisikomanagement eingerichtet, das die Kommunen mit den vor Ort tätigen Mitarbeitern nicht nur bei der Konzepterstellung, sondern auch bei den Umsetzungsschritten und den fach- und fördertechnischen Fragen unterstützen werde."
Nun, Umsetzung heißt in diesem Fall, dass z. B. fertige Evakuierungspläne in der Schublade liegen, die geübt werden können und im Ernstfall nur noch umgesetzt werden müssen. Sieht das, was passiert ist, danach aus?
"Wir haben 150 Warnmeldungen über unsere Apps, über die Medien ausgesendet", sagte Armin Schuster, Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe der Presse. Ja, die Apps. Die von Haus zu Haus gehen und auch das gehbehinderte Mütterlein nebenan noch vor dem Hochwasser warnen und ihr helfen, das Nötigste für eine Evakuierung zu packen ...
Irgendwie hat man das Gefühl, es handele sich um zwei Welten. Die eine, die aus Feuer, Erde, Wasser, Luft, in der es Stein und Dreck gibt und Fluten, die sich gelegentlich in Bewegung setzen, und Menschen, die sich helfen, anfassen, stützen, das fleischliche, materielle Sein; und dann die andere, die virtuelle, in der sich längst große Teile der Politik abspielen, in der Frauen beispielsweise längst total gleichberechtigt sind, in der man die Menschen per App warnt und in der es reicht, einen hübschen Plan zu haben, auch wenn er nicht umgesetzt wird. Vielleicht ist das ja ein Langzeitschaden, weil inzwischen eine ganze Politikergeneration damit aufgewachsen ist, dass Protest darin besteht, sich fünf Minuten für ein hübsches Foto neben ein Transparent zu stellen, und Veränderung in einer bunten Broschüre mit ebenso bunten Bildchen über dieses oder jenes Projekt.
Was da durch die Pfalz und das Bergische walzte, war jedenfalls höchst materiell, grobstofflich und wenig kompromissbereit. Es hätte ebenso einer materiellen Antwort bedurft. Es wäre beispielsweise möglich gewesen, die vor dem Regen schon vollen Talsperren zumindest noch ein wenig abzulassen, hätte man die Warnungen zuvor ernst genug genommen. Aber vermutlich war das Geraune von der drohenden Dauerdürre noch in den Ohren, die der Klimawandel bringen soll, so wie jetzt eben den Starkregen, oder den Schneemangel, oder den Überfluss an Schnee ... Oder es wollte keiner die Verantwortung tragen, falls es doch nicht zu diesem Starkregen kommt, aber die Gemeinden weiter unten am Wasserlauf sich vor den abgelassenen Massen schützen mussten. Was immer der Grund war, das, was hätte passieren müssen, ist nicht passiert.
Das gilt für den Umgang mit den Talsperren wie für die Vorwarnung wie für nötige Evakuierungen. Womöglich gibt es ein Dutzend schöner Pläne entlang des Pfads der Verwüstung. Umgesetzt wurden sie nicht.
Nein, wenn man an das letzte Jahr denkt, wurde die Wahrscheinlichkeit des Nichtfunktionierens eher höher. Denn was bewirkt es denn, wenn ständig von "sozialer Distanz" die Rede ist, wenn Abstand gehalten werden muss, wenn Besuch und Nähe nicht erlaubt sind? Dann, wenn die primatenhafte Nähe wieder in ihre eigentliche Rolle als Garant unseres Überlebens eintritt, ist das Denken verwirrt, die unmittelbare Wahrnehmung des Nächsten gestört, sind alle Abläufe durch hundert verwirrende Corona-Vorschriften durcheinandergebracht, die Verwaltung ins Chaos gestürzt, die Feuerwehr aus der Übung usw. usf.
Soll sich jemand bei anrollendem Hochwasser noch daran erinnern, wer von den Zuständigen jetzt noch im Homeoffice ist und wer nicht? Wie sollen Verwaltungen, die ein Jahr lang auf Sparflamme liefen, plötzlich auf 150 Prozent schalten? Ganz abgesehen von den Folgen des Sparwahns auf allen Ebenen, von massiver Unterbesetzung in allen Bereichen, die nicht tagtäglich gebraucht werden (und Katastrophenschutz braucht man nun einmal in der Katastrophe, sonst nicht), von viel zu geringen Budgets auf kommunaler Ebene (die praktischerweise für den Hochwasserschutz zuständig ist). Das Innenministerium in NRW ist jedenfalls schon mal abgetaucht: "Grundsätzlich gelte im Katastrophenschutz aber ein Örtlichkeitsprinzip, sodass über Schutzmaßnahmen vor Ort zu entscheiden sei", so ein Ministeriumssprecher zur dpa. Schutzmaßnahmen wie Warnungen oder Evakuierungen. Die Landespolitik, so liest sich das, wäscht ihre Hände in Unschuld.
Wäre da nicht diese böse Meldung aus London gewesen, ausgerechnet in der Times, dass die Warnung schon Tage zuvor vorlag, dass sogar die Gebiete, die später betroffen waren, richtig berechnet waren, man also hätte reagieren können; wäre nicht diese Meldung aus dem Europäischen Flutwarnsystem, das um seinen Ruf fürchten muss, dazwischengegrätscht, wir redeten immer noch nicht von Verantwortung. Von Fehlern. Von Versagen.
Nein, uns dröhnten die Ohren vom Klimawandel, der daran schuld sei. Und wir müssten jetzt ganz schnell alle Kohlekraftwerke abschalten, alle Verbrennungsmotoren, sofort, weil uns sonst der Klimawandel holen kommt wie früher der Krampus. Und weg da mit so unkeuschen Gedanken wie dem, dass es Notstromaggregate braucht, wenn der Strom ausfällt, auch zum Trinkwasseraufbereiten, und die eben Brennstoff ... Dass Elektroautos in Hochwassergebieten schon gar nicht klarkommen, weil Wasser bekanntlich Strom leitet ...
Nachlieferung des Innenministeriums (@bmi) zur gestrigen #BPK und den Fragen bzgl. der Verantwortung der #Bundesregierung beim Umgang mit der #Flutkatastrophe. Kurzfassung: Laut #BMI sind die Länder, Landkreise und Kommunen schuld ... auf Bundesebene sei alles super gelaufen... pic.twitter.com/FyTB8zJg3G
— Florian Warweg (@FWarweg) July 20, 2021
Klimawandel, das ist die Strafe des Herrn ohne Herr, eine Art säkularisiertes Sodom und Gomorrha, aus dem wir uns nur retten können, wenn wir zu den Klimagerechten zählen, sonst erwischen uns Pech und Schwefel. Damit werden alle Fragen nach Verantwortung und Versagen zu irdischen Banalitäten gegenüber dem himmlischen Verhängnis, das über uns schwebt. So grobstofflich, materiell und weltlich wie die Flut selbst.
Aus der Sicht der Politiker ist es sicher praktisch, gen Himmel zu weisen; das machten schon die kirchlichen Herrscher früherer Jahrhunderte ganz gern, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Die Frage ist nur, ob sich das die Bürger gefallen lassen, dieses Eiapopeia vom erzürnten Himmel, statt diejenigen ausfindig zu machen, die ihnen die Suppe eingebrockt haben.
Übrigens: Ja, die größte Flut in der deutschen Geschichte hatte etwas mit Klimawandel zu tun. Das war die Magdalenenflut 1342, und sie fand statt, als eine Warmzeit sich dem Ende näherte.
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