Pandemie-Rat aus externen Fachleuten und Bürgern? Linke-Gesetzentwurf stößt auf viel Ablehnung

Die Linke fordert einen Pandemie-Rat aus externen Fachleuten und Bürgern, der den Bundestag beraten soll. Doch ihr bereits im Dezember eingebrachter Gesetzentwurf stieß bei den meisten befragten Experten auf Ablehnung. Dabei sind die Kollateralschäden schon jetzt enorm.
Pandemie-Rat aus externen Fachleuten und Bürgern? Linke-Gesetzentwurf stößt auf viel AblehnungQuelle: www.globallookpress.com © Christoph Hardt via www.imago-im/www.imago-images.de

von Susan Bonath

Das saisonale Coronavirus geht in den Sommerurlaub. Trotz Millionen von Schnelltests jede Woche, zu denen Schüler, Lehrer, Pflegepersonal, Reisende und Nutzer diverser Freizeitangebote verpflichtet sind, sinken wie im letzten Sommer die Zahlen. Trotzdem hat der Bundestag vorige Woche die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" erneut um drei Monate verlängert. Und es sind seit über 15 Monaten immer dieselben wenigen Experten, auf die sich Regierung und Bundestag stützen. Dem will die Linksfraktion mit einem Pandemie-Rat abhelfen. Ihrem eingebrachten Gesetzentwurf zufolge soll dieser dem Bundestag wissenschaftliche Expertise aus allen relevanten Fachbereichen liefern. Zudem sollen sich Bürger daran beteiligen, um soziale Probleme zeitig zu erkennen. Doch eine Anhörung im Gesundheitsausschuss am Donnerstag lässt erahnen: So ein Gremium wird es wohl in nächster Zeit nicht geben.

Gegen Tunnelblick: Externe Experten und Bürger stärker beteiligen

Das Ringen ist zäh, der Gesetzentwurf der Linken stammt bereits vom Dezember 2020. Der Bundesregierung werde immer wieder vorgeworfen, sie beteilige Parlament und Bürger nicht ausreichend, heißt es darin. Außerdem fehle es an externer Expertise. Der Pandemie-Rat solle den Bundestag nicht nur in Sachen Virologie, sondern auch über die medizinische, wirtschaftliche und soziale Lage beraten, so die Fraktion. An diesen Fachleuten fehle es seit Beginn des Ausrufens der Pandemie.

Dieser multidisziplinäre Rat solle die Abgeordneten fortlaufend unterrichten und müsse vor jeder Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite angehört werden, heißt es weiter in dem Papier. Nur so könne man die Folgen der Maßnahmen vorab, aber auch nachträglich abschätzen. Für die nötige Transparenz seien alle Anhörungen und Berichte öffentlich einsehbar sein. Mehr noch: Bürgern solle es im Pandemie-Rat ermöglicht werden, "ihre Perspektive auf die Maßnahmen und ihre Folgen einzubringen und in Sondervoten zu seinen Berichten zum Ausdruck bringen". Nur so könne man das Vertrauen der Bevölkerung wieder erhöhen, heißt es.

"Vielleicht sitzen die falschen Wissenschaftler darin"

Vorab: Das Gros der angehörten Juristen, Soziologen und Mediziner kennt vermutlich die Lockdown-Probleme der "kleinen Leute" nicht aus eigenem Erleben. Und ganz frei von politischen Intentionen waren wohl auch die wenigsten.

Gregor Thüsing, Rechtswissenschaftler an der Universität Bonn, bezeichnete das von der Fraktion Die Linke anvisierte Gremium etwa als "ganz neues Phänomen, von dem ich nicht weiß, wie es sich ins Parlament einfügen sollte". Der Vorschlag sei "ein unglücklicher Weg". Wenn, wie von den Einbringern gewünscht, auch die Bundesländer die Expertise eines solchen Rats beherzigen müssten, sei dies zudem auch noch "übergriffig". "Dann könnte der Bundestag ja gar nicht tätig werden", sagte Thüsing.

Der Jurist sieht "alles in einen Topf geworfen". Bürgerbeteiligung gehöre da nicht rein. Thüsing wisse "gar nicht, wie das gehen soll". Das Parlament sei dazu gewählt, selbst Gesetze zu machen. Den Expertenrat hole er sich, wenn er ihn benötige. Das von den Linken gewünschte Gremium schaffe jedoch nur abweichende Mehrheiten außerhalb des Bundestages. Thüsing spekulierte: "Vielleicht sitzen gerade die falschen Wissenschaftler darin, die es gerade nicht beurteilen können." Denn sie seien vielleicht auch politisch motiviert.

Die Düsseldorfer Juristin Sophie Schönberger widersprach ihrem Fachkollegen dann doch heftig: Man könne nicht sagen, das Gremium sei zu politisch besetzt. Die Sachverständigen, die Abgeordnete oder Bundesregierung anhören, würden schließlich auch politisch ausgewählt. Sie ergänzte: Wolle man erreichen, dass Bürger Eingriffe des Staats akzeptierten, müsse man sie beteiligen. "Das ist klar", so Schönberger.

Juristin findet mehr Bürgerbeteiligung durch Pandemie-Rat "schräg"

Eine Fürsprecherin fand Thüsing in seiner Fachkollegin Anna-Lena Hollo von der Leibniz-Universität Hannover. Sie wittert die Gefahr, der von der Linksfraktion gewünschte Rat würde "das Parlament entmündigen". Er sei "auch nicht vom Volk gewählt" und "viel zu bürokratisch". Wörtlich sagte sie: "Ich finde es schräg, mehr Bürgerbeteiligung durch einen Pandemie-Rat einzufordern."

In diese Richtung ruderte auch Caroline Schmutte, die das Berliner Büro der britischen Stiftung Wellcome Trust leitet. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) hat sich das Ziel gesetzt, "Forschung zu fördern, um die Gesundheit von Mensch und Tier zu fördern". Laut Wikipedia ist sie "nach der Bill and Melinda Gates Foundation die weltweit zweitreichste Stiftung, die medizinische Forschung fördert, und hatte 2018 ein Vermögen von 26 Milliarden Euro". Bis 1992 habe sie an dem Pharmakonzern Glaxo Wellcome gehangen bzw. war demnach dessen Mehrheitsaktionärin. Glaxo Wellcome wurde im Jahr 2000 von dem Unternehmen Glaxo Smith Kline geschluckt. Schmutte schlug sinngemäß vor: Man könne doch außerhalb der virologischen Maßnahmen-Expertise Fachleute befragen, die etwa das Soziale beleuchteten.

Ärztin: "Brauchen eine Art gesunden Menschenverstand"

Eine Fürsprecherin für den vorgeschlagenen Pandemie-Rat fand sich aber doch im Kreis der Fachleute: Die Ärztin Petra Dickmann von der Uniklinik Jena, die sich sowohl in Intensivmedizin als auch in der Seuchenbekämpfung auf der Südhalbkugel auskennt. "Man darf nicht immer nur in die gleichen Ecken gucken", sagte sie. Man benötige dringend Sichtweisen "außerhalb des virologischen und epidemiologischen Tunnelblicks". Es sei, so Dickmann, "durchaus sinnvoll, eine Art gesunden Menschenverstand mit aufzunehmen". Einen Pandemie-Rat hält sie für ein gutes Mittel, dies zu vereinen. Er müsse "unabhängig und ständig arbeiten" und dürfe "kein Marionettentheater werden".

Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt hielt sich etwas bedeckter und wurde auch mehrfach von den Fragenden "falsch verstanden". Er habe "durchaus Verständnis" für so einen Rat, aber zur Beratung des Bundestages sei er nicht geeignet. Man solle ihn "in der Exekutive ansiedeln", erklärte er. Aber er stellte auch klar: Die Ärzteverbände würden hinreichend beteiligt. "Wir arbeiten mit dem RKI zusammen, da gibt es einen ärztlichen Beirat", berichtete er.

Auch der Epidemiologe Klaus Stöhr sieht "keinerlei Notwendigkeit für so ein Gremium". Zugleich aber plädierte er für "eine breitere Fachexpertise". "Ich sehe das ähnlich wie mein Kollege Herr Reinhardt", konstatierte Stöhr abschließend.

Sozialverbände: Politisch geduldete Pandemie-Schäden ohne Ende

Kurz zuvor, ebenfalls am Donnerstag, hatte der Gesundheitsausschuss im Bundestag Vertreter von Sozialverbänden zu den Folgeschäden des Lockdowns angehört. Demnach waren, wenig verwunderlich, Menschen in prekären Lebensverhältnissen vielfach stärker von Armut, Unsicherheit, aber auch Erkrankungen betroffen als Menschen mit sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen. In Hamburg etwa liege ganz unabhängig von Corona das durchschnittliche Sterbealter in armen Wohngegenden bis zu zehn Jahre unter dem Sterbealter in reichen Siedlungen.

Kinder aus armen Familien, Alleinerziehende, Behinderte, Pflegeheim- und Asylheimbewohner trugen demnach die meisten "Kollateralschäden" davon. Allein bei Kindern und Jugendlichen hätten behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen um etwa 80 Prozent zugenommen. Sie müssten vielerorts ein halbes oder Dreivierteljahr auf eine Behandlung warten, da es keine Kapazitäten gebe.

Die Experten prangerten durchweg an, dass Hilfen für Familien, psychisch und physisch Kranke stark zurückgefahren, teils komplett eingestellt wurden. Alleinerziehende und Eltern mit behinderten Kindern mussten teilweise ihre Arbeit ganz aufgeben, um den Alltag ohne die Institutionen noch bewältigen zu können. Behinderte und alte Menschen hätten kaum Hilfen erhalten. Und: Mütter hätten durchweg die Hauptlast der weggebrochenen Kinderbetreuung getragen. Ob diese Analysen jemals als Grundlage für entsprechende Gesetze dienen werden, bleibt allerdings fraglich.

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