Meinung

Spionage-Skandal: Das Maß ist voll – aber nichts wird sich ändern

Ein neu veröffentlichter Bericht, in dem festgehalten wird, die USA hätten europäische Staats- und Regierungschefs mithilfe dänischer Geheimdienste ausspioniert, ist nicht der erste dieser Art. Washington wurde schon einmal dabei erwischt – trotzdem will die EU ihre Souveränität nicht verteidigen.
Spionage-Skandal: Das Maß ist voll – aber nichts wird sich ändernQuelle: www.globallookpress.com © Christian Ohde / face to face

Von Tom Fowdy

Laut einem Bericht der dänischen Medien haben dänische Geheimdienste, im Auftrag der berüchtigten US-amerikanischen National Security Agency (NSA), Staatsführer in ganz Europa ausspioniert – darunter auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Es ist nicht das erste Mal, dass solche Machenschaften ans Tageslicht kommen, seit die USA 2014 beschuldigt wurden, Berlin auszuspionieren. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die USA dänische Geheimdienste als "Mittelsmann" nutzen. Letztes Jahr wurde ein Artikel publiziert, in dem behauptet wurde, Washington habe sich mit dem dänischen Geheimdienst abgesprochen, um deren eigene Regierung auszuspionieren. Hintergrund war die Absicht der USA, die dänische Regierung dazu zu bringen, amerikanische F-35-Kampfflugzeuge zu kaufen, anstatt ihre F-16-Flotte mit Eurofighter zu ersetzen. Angesichts all dieser Enthüllungen muss man sich fragen, ob Dänemark wirklich souverän ist, wenn selbst seine Geheimdienste de facto den USA gegenüber loyal sind.

Das Überraschende daran ist, dass keine dieser Enthüllungen wirklich neu oder beispiellos sind. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass die Vereinigten Staaten offen Spionage zum Nachteil der EU betreiben. Deren Staatsführer behandeln sie mit politischem Misstrauen, obwohl sie offiziell, unter dem Schirm des "Transatlantismus", als "Verbündete" gelten.

Es ist, als ob die USA paranoid wären, dass die Europäische Union Entscheidungen gegen die Interessen der USA treffen könnte. Dies ist zutiefst ironisch für eine USA, die Europa dazu gebracht hat, Huawei, China und – natürlich – Russland als die echte "Spionage"-Bedrohung wahrzunehmen. Jetzt, da Washington erneut auf frischer Tat ertappt wurde, stellt sich die eigentliche Frage: Was wird Europa dagegen tun? Wird sich etwas ändern?

Während die Europäische Union von Themen wie "strategische Autonomie" spricht und sich als vereinte, unabhängige Kraft des Guten in der Welt idealisiert, könnte die Realität nicht weiter entfernt sein. Diese Spionage-Enthüllungen sind nur die Spitze eines Eisberges der unterschiedlichsten Taktiken. Mit ihnen setzen die Vereinigten Staaten durch ihre Integration in Europas Militär- und Sicherheitsdynamik eine Vielzahl politischer Winkelzüge ein. Sie wollen den europäischen Block dazu zwingen, sich dem politischen Willen und der politischen Agenda der USA zu unterwerfen. Und das sogar dann, wenn die EU apathisch bleibt oder offen dagegen protestiert. Die EU ist letztendlich nur eine Institution unter vielen auf dem Kontinent, die in 27 Ländern mit außenpolitischen Agenden konkurrieren, die von den USA durch Verträge, Denkfabriken und Diskurse in den globalen Medien monopolisiert werden.

Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist, wie die Vereinigten Staaten schnell einen Keil zwischen EU und China trieben. Die beide Seiten versuchten, einen eigenen Handelsvertrag zu schließen, das "Umfassende Investitionsabkommen zwischen der EU und China" (CAI), gegen das Washington offen opponierte. Während die amerikanische Opposition gegen dieses Abkommen für die EU irrelevant war oder lediglich als ein Bellen von der Seitenlinie aus betrachtet wurde, gelang es der Biden-Regierung, die Frage rund um die Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang in die Waagschale zu legen. Die EU sah sich nun gezwungen, in einer Menschenrechtsangelegenheit "eine klare Haltung einzunehmen" und sich anschließend an koordinierten Sanktionen gegen China zu beteiligen. Das belastete naturgemäß die Beziehungen zwischen der EU und China nachhaltig. Peking legte das Abkommen auf Eis. Mission erfüllt, Europa ist in die Falle getappt.

Letztlich kann man die Herangehensweise der USA an europäische Länder nicht als eine von Treu und Glauben oder Solidarität geleitet beschreiben, sondern als "eine an der Leine geführte". Der Hund zieht möglicherweise zunehmend in eine andere Richtung, bleibt aber auf derselben Marschrichtung wie sein Besitzer. Die eingangs beschriebene Spionageaffäre knüpft letztlich an dieselbe Dynamik an: Die Vereinigten Staaten betrachten die Europäische Union eher als einen wirtschaftlichen Konkurrenten denn als Freund und wollen in keiner Weise von ihr überholt werden oder zulassen, dass diese sich in einem bestimmten Bereich "Vorteile" verschafft.

Der erwähnte Vorfall rund um die F-35 zeigt, wie der US-Geheimdienst in Wahrheit den Interessen des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes dient. Nämlich indem er die Geheimnisse der europäischen Verteidigungsindustrie in Europa ausspäht, um sicherzustellen, dass die USA immer einen Wettbewerbsvorteil haben – sogar bis zu dem Punkt, an dem nationale Geheimdienste ihre eigenen Regierungen verraten.

Wie Edward Snowden in einem Interview im Jahr 2014 feststellte, betreiben die USA konstant Industriespionage gegen große deutsche Unternehmen wie Siemens und sagte: "Wenn es bei Siemens Informationen gibt, die den nationalen Interessen der USA zugutekommen – auch wenn sie nichts zu tun haben mit nationaler Sicherheit – dann wollen sie diese Informationen trotzdem haben."

Wenig überraschend ist Angela Merkel als sehr eurozentrische Führungspersönlichkeit mit einem eigenwilligen Ansatz in Bezug auf die Außenpolitik und Deutschlands Platz in der Welt ein häufiges Ziel amerikanischer Geheimdienstaktivitäten. Washington fragt sich ständig, was Merkel denkt, beabsichtigt und tut, nicht zuletzt bezüglich China und Russland, wo man nicht einer Meinung ist. Sie ist vielleicht ein "FreundFeind" der USA: de facto Verbündete und Feindin zugleich.

Aber wie oben schon erwähnt, läuft dies alles auf die große Frage hinaus: Was wird die EU dagegen tun? Oder: Kann sie etwas dagegen tun? Die Antwort der EU auf solche endlosen Kontroversen scheint darin zu bestehen, sich in der Hitze des Augenblickes zu einem kleinen Protest zu erheben, den Vorfall aber schnell zu vergessen, nichts zu tun und die amerikanische Infiltration passiv zu tolerieren, mit der die Interessen der EU und ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf breiter Front untergraben wird.

Wenn Europa es ernst meint, seine eigene "strategische Schlagkraft" aufrechtzuerhalten, muss es bereit sein, größere Risiken einzugehen, sich nicht mehr in die transatlantische Verpflichtung drängen zu lassen und das "amerikanische Problem" härter angehen. Die EU sollte die Seite im Buch seiner Rhetorik gegenüber China aufschlagen und "Gegenseitigkeit" in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten fordern. Sie sollte fordern, dass die Spionage gegen sie eingestellt wird und übermäßige amerikanische Einflussnahme unterbinden, die ihre Außenpolitik und strategische Unabhängigkeit untergraben. Die EU und der Kontinent sollen als gleichberechtigter und fairer Partner behandelt werden.

Nach den neusten Enthüllungen würde man sicherlich zum Schluss kommen wollen, dass "das Maß voll ist". Aber natürlich gibt es wenig Grund zu der Annahme, dass sich etwas ändern wird. In einer Welt, in der die US-Überwachung aufdringlich und durchdringend ist, lässt man es den USA überraschenderweise immer noch durchgehen, alle anderen der "Spionage" zu beschuldigen.

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Übersetzt aus dem Englischen. Tom Fowdy ist Politanalytiker und Analytiker zu internationalen Beziehungen mit einem Schwerpunkt auf Ostasien.

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