Meinung

Konflikt in der Ostukraine: Russland-Bashing durch Verschleierung von Fakten

Im Westen macht sich Empörung breit, weil Russland militärische Einheiten an der ukrainischen Grenze konzentriert hat. Die Möglichkeit eines Angriffs auf das Nachbarland wird beschworen. Wer sich mit der Vorgeschichte befasst, dem eröffnet sich ein völlig anderes Bild.
Konflikt in der Ostukraine: Russland-Bashing durch Verschleierung von FaktenQuelle: AFP © Dimitar Dilkoff

von Bernd Murawski

Mancher Fußballspieler erhält eine gelbe Karte, weil er ein unbemerktes Foul der Gegenseite mit einem reflexartigen Schupsen beantwortet und der Schiedsrichter sich gerade in diesem Moment hinwendet. Mangelnde Faktenkenntnisse sind ebenso bei politischen Betrachtungen ein häufiger Grund für falsche Beschuldigungen. Sind Informationen derart gefiltert, dass sich zwangsläufig fehlerhafte Schlussfolgerungen ergeben, dann dürften eher manipulative Absichten als ein Versehen dahinterstecken. 

Wer den Blick auf die russisch-ukrainische Grenzregion richtet und einen militärischen Aufmarsch auf der russischen Seite beobachtet, ohne über die Hintergründe informiert zu sein, wird sich verständlicherweise in Spekulationen über die Absichten des Kreml begeben. An dessen aggressiver Grundhaltung scheint ja kein Zweifel zu bestehen. Eine Klärung möglicher Motive unterbleibt, weil der russische Expansionsdrang als durch frühere Ereignisse bewiesen gilt.

Als "Mutter aller Übeltaten" wird im Westen die "Annexion" der Krim angesehen. Die Verhängung von Sanktionen suggerierte, dass es sich um einen gravierenden Aggressionsakt handelte. Ob für die russischen Handlungen ein plausibler Grund existierte, wird nicht thematisiert. Bleiben die vorausgegangenen Ereignisse im Dunkeln, dann liegt nahe, dass jeder weitere außenpolitische Schritt Moskaus als Bedrohung für andere Länder zu interpretieren ist. Deshalb erscheint angebracht, die Informationslücken zur Krimfrage durch einen kurzen Rückblick zu schließen, bevor die aktuellen Vorwürfe des Westens einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

Die Krim-Übernahme als "Sündenfall" Russlands 

Rekurse der Medien auf den Ursprung des russisch-ukrainischen Konflikts beginnen allgemein mit der "Annexion" der Krim. Die Ukraine erscheint als Opfer russischer Aggression, das Solidarität und Unterstützung durch den Westen verdient. Die politischen Führungen in Berlin, Brüssel und Washington betrachten sich selbst als Unbeteiligte, die für eine gerechte Sache Partei ergreifen. Hierbei wird unterschlagen, dass die Konfliktlage erst durch die massive Einmischung des Westens heraufbeschworen wurde. Der wohl deutlichste Beleg ist das geleakte Telefongespräch Victoria Nulands. Dass die Krim ohne den "Regime-Change" noch heute zur Ukraine gehören würde, ist unter Historikern allgemeiner Konsens.

Die durch den Westen initiierten "Farbrevolutionen" werden in Russland verständlicherweise mit Argwohn bedacht. Dennoch differenziert Moskau zwischen einer konfliktschürenden und einer kooperationsbereiten Variante westlicher Politik. Insbesondere zu Berlin und Paris hat sich nach der Wende ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das die russische Führung als Garant für die Einhaltung von Abmachungen und Zusagen ansah. Nachdem die Maidan-Unruhen im Februar 2014 an Heftigkeit zunahmen, gab es ein schnelles Einvernehmen zwischen Russland und seinen westeuropäischen Partnern über die Beilegung des Konflikts. Deutschland, Frankreich und Polen fungierten als Garantiemächte für ein Abkommen, das eine Übergangsregierung unter Einschluss der Opposition und baldige Präsidentschaftswahlen vorsah. Der vereinbarte Abzug der  Polizeieinheiten sollte mit dem Verzicht der Maidan-Anhänger auf Gewaltanwendung einhergehen.  

Die paramilitärischen Kräfte des Maidan, die sich zu einem großen Teil aus dem faschistischen "Rechten Sektor" rekrutierten, hielten sich jedoch nicht an die Übereinkunft. Sie belagerten das Parlament und stürmten den Wohnsitz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, der gerade noch fliehen konnte. Dessen Absetzung durch die Werchowna Rada am folgenden Tag war eindeutig verfassungswidrig und erfolgte bei dezimierter Anwesenheit der Abgeordneten der Regierungspartei, da viele nicht wagten, durch die Reihen der Protestierenden ins Parlamentsgebäude zu gelangen.

Die russische Regierung war nicht nur angesichts der Ereignisse schockiert, sondern auch durch die Reaktion der Garantiemächte. Anstelle harscher Kritik an den Putschisten hielten diese sich mit Äußerungen zurück, während westliche Medien den Machtwechsel in Kiew mit Lobeshymnen begleiteten. In den ersten Stellungnahmen votierten die neuen Herrscher der Ukraine für eine Mitgliedschaft in der EU und der NATO. Der positive Widerhall im Westen verbunden mit dem Bruch der gerade einen Tag zuvor gemachten Zusagen zerstörte das Vertrauensverhältnis zu Russland nachhaltig. Befürchtungen eines Verlusts des Flottenstützpunkts in Sewastopol oder einer NATO-Präsenz in unmittelbarer Nachbarschaft erschienen begründet. Die drei vorherigen deutschen Bundeskanzler warnten vor einer Zuspitzung der Konfrontation durch den Westen, und nachdem die russischen Absichten einer Übernahme der Krim durchsickerten, schloss sich ihnen der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger an.

Damit die Überführung der Krim in den russischen Staatsverband auf einer legitimen Basis erfolgt, hatte dessen Regionalparlament die Abhaltung eines Plebiszits beschlossen, sollte es in Kiew zu einem verfassungswidrigen Machtwechsel kommen, was mit dem Sturz von Janukowytsch dann auch eintrat. Die Zustimmung einer großen Bevölkerungsmehrheit galt als sicher, was Umfragen westlicher  Meinungsforschungsinstitute später mehrfach bestätigten. Bereits zu Beginn der 90er Jahre gab es Bestrebungen, die Krim aus dem ukrainischen Staatsverband zu lösen, woraufhin ihr ein Sonderstatus mit gewissen Hoheitsrechten gewährt wurde. Dass die Halbinsel überhaupt zur Ukraine gehörte, obwohl sie historisch immer ein Teil Russlands war, beruhte auf einem Beschluss der sowjetischen Führung unter Nikita Cruschtschow im Jahr 1954, der im heutigen Russland für illegal gehalten wird.

Um die Durchführung des Referendums zu sichern, setzte Russland in Sewastopol stationierte Militäreinheiten ein, die als eine Art Bürgerwehr agierten. Der Aufenthalt jener "grünen Männchen" außerhalb des Pachtgebiets war völkerrechtswidrig, wenn auch ihre Präsenz eher symbolischer Art war, da sie im Fall eines bewaffneten Konflikts gegen die rund 18.000 ukrainischen Soldaten in den dortigen Kasernen chancenlos gewesen wären. Zwar wechselte die auf der Krim stationierte ukrainische Marine bald die Seiten. Hinsichtlich der übrigen Armeeeinheiten bestand jedoch Ungewissheit, wie sie auf einen Angriffsbefehl aus Kiew reagieren würden. Schließlich nutzte nur ein Viertel der Militärangehörigen das Angebot, in die Ukraine zurückzukehren, der Rest trat in die russische Armee über. Die von Wladimir Putin in einem späteren Interview thematisierten Risiken, wegen der die Volksabstimmung zweimal vorverlegt wurde, erschienen kalkulierbar.

Vergleich mit anderen Sezessionen und das Völkerrecht

Formell handelte es sich, worauf der Staatsrechtler Reinhard Merkel verweist, um eine Sezession und eine anschließende Vereinigung zweier souveräner Staaten. Dass Letztere nach nur zwei Tagen erfolgte, klassifiziert er neben dem Einsatz der "grünen Männchen" als Völkerrechtsbruch. Denselben Vorwurf richtet er allerdings auch an westliche Staaten, die den Kosovo nach dessen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 2008 innerhalb kürzester Zeit anerkannten. Auf Parallelen beider Sezessionen hat ebenso die russische Seite mehrfach hingewiesen. Hervorgehoben wurde die Feststellung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, dass die Lösung des Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsverband nicht dem Völkerrecht widersprach.

Bei westlicher Bezugnahme auf den Vergleich wird die Taktik der Verschleierung von Hintergründen ein weiteres Mal angewendet, um das Narrativ einer aggressiven Außenpolitik Russlands aufrechtzuerhalten. Die fragwürdige Kosovopolitik des Westens wird entweder verschwiegen oder derart verklärt, dass die eigenen Handlungen als legitim erscheinen. Dabei wurde nicht nur durch die frühzeitige Anerkennung gegen internationales Recht verstoßen. In der Resolution 1222 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 1999, die den Abzug des jugoslawischen Militärs aus dem Kosovo und die Stationierung der KFOR-Truppen unter NATO-Führung betraf, wurde die territoriale Unversehrtheit Jugoslawiens explizit bestätigt. Da die Belgrader Regierung nicht in der Lage war, kosovarische Unabhängigkeitsbestrebungen zu vereiteln, wären die KFOR-Einheiten dazu im Ernstfall verpflichtet gewesen.

Ein besseres Vergleichsobjekt als der Kosovo ist die im Indischen Ozean gelegene Inselgruppe der Komoren. Während sich die Mehrheit der Bewohner im Jahr 1974 für die Unabhängigkeit von Frankreich aussprach, votierten auf der Insel Mayotte 63 Prozent für einen Verbleib. Entgegen dem Rechtsstandpunkt der komorischen Führung wie auch der Organisation Afrikanischer Staaten OAU trennte Frankreich die Insel ab und erklärte sie später zum Übersee-Departement, wobei es sich auf die demokratische Entscheidung der Bewohner berief. Im Januar 2014 wurde Mayotte offiziell Teil der EU, und es störte offenbar niemanden, dass hier andere Prinzipien angewendet wurden als auf die Krim. Dabei erscheinen die ethnischen und sprachlichen Gründe der Krim-Bürger überzeugender als das von Versprechungen und Drohungen französisch-stämmiger Plantagenbesitzer beeinflusste Votum auf Mayotte.

Der Kiewer Boykott von Minsk II

Kehren wir zum aktuellen Fall zurück, dem russischen Truppenaufmarsch entlang der ukrainischen Grenze. Wie Verteidigungsminister Sergei Schoigu versichert, handelt es sich um ein zeitlich begrenztes Manöver, das bis zum 1. Mai beendet sein wird. Dennoch ist eine verstärkte militärische Präsenz im Grenzgebiet für die weitere Zeit nicht auszuschließen. Falls die russische Regierung sich veranlasst sieht, auf ukrainisches Säbelrasseln mit Abschreckung zu reagieren, wird sie sich nicht durch westliche Kritik abhalten lassen. Während diese auf der Annahme einer notorischen Aggressivität Russlands basiert, lässt sich Moskau von Fakten und Interessen leiten.

Um die aktuelle Konfliktlage beurteilen zu können, ist ein Blick auf das Minsker Abkommen unverzichtbar. Dieses im Februar 2015 unterzeichnete Dokument beinhaltet die folgenden Kernpunkte:  

  1. Waffenstillstand, Abzug schwerer Waffen, Austausch von Gefangenen, Straffreiheit der an Kriegshandlungen Beteiligten
  2. Sonderstatus für die abtrünnigen Gebiete, über dessen Einzelheiten die Konfliktparteien Kiews und des Donbass Verhandlungen aufnehmen, und Durchführung von Wahlen nach ukrainischem Gesetz   
  3. Vollständige Kontrolle der Staatsgrenzen durch die ukrainische Regierung.

Die Bestimmungen des ersten Teils wurden partiell umgesetzt. Eine Beschlussvorlage zum Sonderstatus der Gebiete um Donezk und Lugansk wurde nie in die Werchowna Rada eingebracht, da sie an den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen gescheitert wäre. Offiziell zog sich Kiew auf die Position zurück, nicht mit "Terroristen" verhandeln zu wollen, als welche die Herrscher in der Ostukraine betrachtet wurden.

Im Jahr 2016 unterbreitete der damalige deutsche Außenminister Walter Steinmeier einen Kompromissvorschlag. Danach würde das ukrainische Parlament einen Sonderstatus für die abtrünnigen Gebiete beschließen, der aber erst in Kraft treten sollte, nachdem dort freie Wahlen durchgeführt und von der OSZE anerkannt wurden. Die ukrainische Führung äußerste sich anfangs zurückhaltend, schließlich aber wegen des massiven Drucks aus den eigenen Reihen ablehnend. Dagegen unterstützte Russland die "Steinmeier-Formel" und erzwang die Zustimmung der politischen Führungen des Donbass nach deren anfänglichem Widerstand.

Mehrere Jahre geschah nichts, und obwohl Kiew bremste, wurde der Kreml im Westen dafür verantwortlich gemacht, dass Minsk II nicht umgesetzt wurde. Auf Grundlage des Vorwurfs, Russland würde sich destruktiv verhalten, wurden die EU-Sanktionen gegen das Land im halbjährlichen Turnus verlängert. Die russische Führung hat das westliche Verhalten nicht nur als Brüskierung empfunden, sondern auch als Hinweis darauf, dass eine Lösung des Ostukraine-Konflikts in naher Zukunft nicht ansteht. Deshalb wurden einige Maßnahmen zur Erleichterung der Lage der Menschen vor Ort ergriffen, zumal Kiew jede Kooperation mit den Behörden der ostukrainischen Volksrepubliken verweigerte. Seit dem Frühjahr 2019 werden russische Pässe ausgestellt, über die aktuell rund 400.000 Bürger im Donbass verfügen.  

Die Wahl Wladimir Selenskijs zum neuen ukrainischen Präsidenten weckte Hoffnungen auf Fortschritte bei der Realisierung von Minsk II. Im Dezember 2019 kam es schließlich zu einem Treffen im "Normandie-Format", das mehr durch Absichtsbekundungen als durch konkrete Vereinbarungen geprägt war. Der heftige Widerstand innerhalb der politischen Kreise Kiews ließ jedoch auch diese Initiative versanden. Um dennoch sein Versprechen einer Rückführung des Donbass in den ukrainischen Staatsverband einzulösen, brachte Selenskij in letzter Zeit mehrfach einen "Plan B" ins Spiel. Konkrete Angaben zu dessen Inhalt wurden nicht gemacht, aber es wird geunkt, dass eine militärische Lösung gemeint ist.

Hinweise auf militärische Ambitionen der Ukraine

Nach der US-Wahl setzte Kiew hohe Erwartungen auf eine Unterstützung durch den neuen Präsidenten Joe Biden, der unter Barack Obama für die Kontakte zur Ukraine zuständig war. Wie weit er in deren Geschicke involviert war, zeigt das Angebot eines hoch dotierten Vorstandspostens beim ukrainischen Erdgas-Riesen Burisma an seinen Sohn Hunter. Da dieser weder über die fachlichen noch über psychische Voraussetzungen für den Job verfügte, handelte es sich offenbar um einen Gefälligkeitsakt. Als die Firma später ins Fadenkreuz ukrainischer Ermittler geriet und bereits Gelder eingefroren wurden, nutzte Papa Biden seinen Einfluss und setzte die Entlassung des Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin durch.

Der Fall ist deshalb aktenkundig, weil Biden sich in einem späteren Interview brüstete, mit der Annullierung einer Kreditgarantie der USA über eine Milliarde Dollar gedroht zu haben. Er bestritt allerdings eine Verbindung zum Burisma-Fall. Er habe vielmehr auf die Entlassung des Generalstaatsanwalts gedrängt, weil dieser gegen die Korruption in der Ukraine nichts unternommen hätte. Kurioserweise wurde Schokin von der im Westen als Kronzeugin betrachteten Aktivistin Daria Kaleniuk beschuldigt, die Ermittlungen gegen Burisma blockiert zu haben. Bald nach der Neubesetzung seines Amts, das nach geleakten Telefongesprächen in Absprache mit Biden erfolgte, wurde das Verfahren gegen den Erdgas-Konzern eingestellt.    

Die Ernennung Victoria Nulands zur Vize-Außenministerin lässt sich als Signal deuten, dass Washington einer härteren Gangart der ukrainischen Regierung wohlwollend gegenübersteht. Gleichwohl wurde parteiübergreifend eine Aufnahme der Lieferung letaler Waffen beschlossen. Als im Februar dieses Jahres mehrere regierungskritische TV-Sender in der Ukraine geschlossen wurden, gab die US-Botschaft mit der folgenden Erklärung Rückendeckung:

"Die USA unterstützen die Bemühungen, ... Russlands böswilligem Einfluss entgegenzuwirken. Wir alle müssen zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass Falschinformationen als Waffe im Informationskrieg gegen souveräne Staaten eingesetzt werden."

Ein EU-Sprecher äußerte sich dagegen zurückhaltender, indem er eine Überprüfung ankündigte und auf die Verpflichtung der ukrainischen Regierung hinwies, die Unabhängigkeit und Freiheit der Medien zu gewährleisten.

Im März berichtete der Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung Andrej Ermak von einem neuen Plan Kiews zur Beilegung des Donbass-Konflikts. Der Vorschlag sei kompatibel mit Minsk II und bereits mit Deutschland und Frankreich abgestimmt. Bislang gab es allerdings weder aus Berlin noch aus Paris eine Stellungnahme dazu. Die Bekanntmachung des ukrainischen Plans erfolgte mit einer Warnung an Russland, dass dessen Ablehnung als fehlende Bereitschaft zur Lösung der Ostukrainefrage interpretiert würde. Da keine Einzelheiten zum Inhalt verlautbart wurden, wird die Initiative mancherorts als Versuch gewertet, die Reaktion der europäischen Partner auf einen von Kiew beabsichtigten Rückzug aus dem Minsker Vertrag zu testen.

Ende März unterzeichnete Selenskij ein vom Verteidigungsrat der Ukraine vorbereitetes Dekret über die "Reokkupation und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol". Obgleich keine Schritte angegeben wurden, wie dies erfolgen soll, kann die Anordnung als Drohung interpretiert werden. Zu diesem Zeitpunkt gab es übrigens noch keine Hinweise auf russische Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine.

Schon seit Jahresbeginn hatten russischen Medien über ein wachsendes Interesse Kiews am Erwerb westlichen Kriegsgeräts berichtet. Ein besonderes Augenmerk sei auf die Anschaffung von Drohnen gerichtet gewesen, die sich im Krieg um Bergkarabach während des letzten Herbsts als recht wirksam erwiesen. Wie die OSZE berichtete, hat die ukrainischer Seite bei den seit Februar zugenommenen Grenzkonflikten tatsächlich vermehrt Drohnen gegen Zivilobjekte des Donbass eingesetzt.

Wird in westlichen Medien über die aktuelle militärische Eskalation in der ostukrainischen Grenzregion berichtet, dann gelten Russland und die Separatisten per se als Urheber. Anstatt nach Motiven und Indizien zu suchen, wird pauschal Aggressivität unterstellt. Zuweilen wird behauptet, es würden Provokationen durchgeführt, um die Reaktion des neuen US-Präsidenten zu testen, was angesichts der bekannten Fakten grotesk klingt. Die vorausgegangenen Ereignisse lassen vielmehr den Schluss zu, dass die Ukraine seit Monaten eine Zuspitzung der Lage anstrebt und wohl auch für die Häufung der Grenzzwischenfälle verantwortlich ist. Selenskijs demonstrativer Besuch der Frontlinie und sein telegenes Auftreten in Militärmontur lassen sich als Versuch interpretieren, Armeeangehörige und Bürger auf künftige Kriegshandlungen einzustimmen.

Magere Zusagen und hohe Risiken für Kiews Kriegspläne  

Neben den USA gewährt die NATO der Ukraine vorbehaltlose Unterstützung. Zwar will sich das westliche Verteidigungsbündnis in keinen bewaffneten Konflikt hineinziehen lassen, weshalb manche Offerten und insbesondere der Wunsch einer Mitgliedschaft unbeantwortet blieben. Jedoch wird die zunehmende Kriegsrhetorik Kiews medial unterstützt. Ferner wird die Ukraine über die Teilnahme an NATO-Übungen und eine Ausstattung mit westlicher Militärtechnik tiefer in eigene Systeme integriert. Erwartungsgemäß nimmt Kiew am Großmanöver "Defender Europe 21" teil, das im Mai entlang der russischen Grenze durchgeführt werden soll. Die aktuell gegen Moskau erhobenen Vorwürfe einer erhöhten Militärpräsenz können als Grund für den eigenen Truppenaufmarsch vorgeschoben werden.

Gleichsam dem geplanten Säbelrasseln der NATO in der Nachbarschaft Russlands lassen sich die Manöver der russischen Armee an der ukrainischen Grenze als Machtdemonstration deuten. Kiew soll vor unüberlegten Aktionen gewarnt werden, die ein militärisches Eingreifen Russlands unvermeidlich machen. Als einen solchen Fall nennt der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung Dmitri Kosak ein drohendes Massaker an der Zivilbevölkerung, wobei er auf die Ereignisse 1995 in Srebrenica verweist. Ein Interventionsrecht Moskaus begründet er unter anderem mit der russischen Staatsbürgerschaft vieler Donbass-Bürger. Zugleich äußerte er sich zuversichtlich, dass die Militäreinheiten der ostukrainischen Volksrepubliken einen Angriff abwehren können. Sollte er damit falschliegen, wäre die Beschwörung einer humanitären Katastrophe ein geeigneter Vorwand für eine militärische Operation mit dem Ziel, den Status quo zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen.

Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage und der Unterdrückung der russischen Sprache dürfte in der Ukraine vielerorts ein latenter Widerstand bestehen, der sich im Zuge eines militärischen Konflikts verstärkt artikulieren und die Kiewer Führung ernsthaft bedrohen könnte. Während Russland kaum bereit sein dürfte, sich auf ein Vabanquespiel in unmittelbarer Nachbarschaft einzulassen, ist anzunehmen, dass die Separatistenführer Hoffnungen auf einen Regierungssturz in Kiew hegen. Sie können sich auf eine hohe Kampfbereitschaft der eigenen Milizen stützen, während die Moral der ukrainischen Armee als schwach eingeschätzt wird.

Diese Gefahren dürften der ukrainischen Führung bekannt sein. Darüber hinaus wurde aus NATO-Kreisen signalisiert, dass mit keinem aktiven Beistand zu rechnen ist. Sollte es gelingen, die militaristischen Kräfte im Kiewer Machtzentrum im Zaum zu halten, dann wäre für die nächsten Wochen eine Beruhigung der Lage zu erwarten. Bis dahin dürfte der Konflikt von westlicher Seite weidlich ausgenutzt werden, um Russland als Aggressor zu brandmarken.  

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