Der Suez-Stau könnte die Handelsschifffahrt nachhaltig verändern – China und Russland wären Gewinner
Kommentar von Tom Fowdy
Der Suezkanal, diese strategisch wichtige Wasserstraße, beherrschte eine Woche lang die Schlagzeilen, nachdem die Ever Given, eines der größten Containerschiffe der Welt, am südlichen Ende des Kanals in Sand und Schlamm auf Grund gelaufen war. Das Schiff blockierte über mehrere Tage hinweg den Kanal und brachte den darauf angewiesenen Schiffsverkehr zum Erliegen.
Es ist erfreulich, dass die Schifffahrt wieder aufgenommen werden kann. Doch der Stau im Suezkanal wird nicht ohne Auswirkungen bleiben. In einer Welt, die bereits von der COVID-19-Pandemie erschüttert wurde, die ihrerseits bereits enorme Auswirkungen auf den Güterverkehr hatte, ist die Blockade des Kanals eine deutliche Erinnerung daran, wie verwundbar zentrale transkontinentale Schifffahrtsrouten sein können.
Auch wenn die Blockade relativ kurz war, ihre Folgen werden noch lange zu spüren sein. China und Russland, die beide im Begriff sind, neue und revolutionäre interkontinentale Frachtrouten einzuführen, werden hierdurch Auftrieb erhalten.
Der Suezkanal ist ein Produkt einer Ära, in der die Globalisierung, wie wir sie heute kennen, gerade erst im Entstehen war. Die Route sollte den Handel mit Gütern sowie die militärischen Bestrebungen der Seemächte Großbritanniens und Frankreichs unterstützen. Die Schaffung des Kanals, der die Trennlinie zwischen dem afrikanischen und dem asiatischen Kontinent durchschnitt, war eine revolutionäre Leistung. Erstens verbindet er das Mittelmeer strategisch mit dem Roten Meer und dem Indischen Ozean, und zweitens ermöglicht er eine direkte interkontinentale Schifffahrtsroute von Europa nach Asien. Die zeitraubende, nervenzerreißende Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung entfiel. Zudem ermöglichte der Kanal den Briten die Ausbeutung Indiens nach ihren Vorstellungen. Kurzum: Der Suezkanal veränderte die Welt.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene Episoden am Suezkanal im Laufe der Geschichte, egal wie kurz sie waren, eine Schlüsselrolle bei der Einleitung großer geopolitischer Verschiebungen spielten. Die Suez-Krise von 1956, als Großbritannien versuchte, die strategische Kontrolle über den Kanal wiederzuerlangen, nachdem dieser vom ägyptischen Präsidenten Nasser verstaatlicht worden war, sollte ein Moment der Abrechnung für den britischen Imperialismus werden.
Der doppelte Widerstand gleichermaßen von den USA und der Sowjetunion zwang London dazu, seine lang gehegte Vorstellung von sich selbst als einer globalen Seemacht neu zu kalibrieren. Stattdessen wandten sich die Briten Europa zu. Angesichts dieser Geschichtsepisode ist die Erkenntnis nicht abwegig, dass auch die kürzliche Suez-Krise große Konsequenzen nach sich ziehen wird, auch wenn diese ohne militärische Dynamik stattfand.
Obwohl die Blockade durch die Ever Given nur eine Woche dauerte, kam sie allen teuer zu stehen. Die mit der Blockade des Kanals verbundenen Kosten werden auf rund neun Milliarden US-Dollar pro Tag geschätzt und könnten im Endeffekt das jährliche Wachstum des Welthandels um 0,2-0,4 Prozent verringern. Auch die Kosten für den Güterseeverkehr stiegen vorübergehend um 46 Prozent an, da die Schiffe gezwungen waren, den Kanal zu meiden und die längere und unbequemere Route um das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen.
Es ist unvermeidlich, dass Schifffahrts- und Frachtunternehmen angesichts solcher Umstände nach weniger riskanten, billigeren und effektiveren Routen suchen werden. Und vor allem kam diese Krise zu einer Zeit, in der neue Alternativen auftauchen, die in jeder Hinsicht wettbewerbsfähiger sein dürften als der Weg durch den Suezkanal.
Eine erste Alternative ist Chinas Belt and Road-Initiative. Im Rahmen des globalen Projekts unter der Federführung Pekings wurden und werden auf mehreren Kontinenten Hunderte Milliarden US-Dollar in den Bau neuer Hafenanlagen, Eisenbahnverbindungen und Straßen investiert. All das verändert die logistische Landschaft. Eine der größten Errungenschaften war die Eröffnung mehrerer Eisenbahnstrecken zwischen China und Europa, die mit neuen Güterzügen den unmittelbaren Warentransport über ganz Eurasien bis nach London und Lissabon im Westen Europas ermöglichen.
Dieses Projekt umfasst zwei Hauptverkehrsadern. Eine davon erreicht Europa über Russland und verzweigt sich dann in Strecken zu den einzelnen Ländern. Eine andere durchquert Mittelasien und die Türkei, erstreckt sich über den Balkan und endet in Prag. Diese Routen konnten die Transportzeit für Waren quer über den Kontinent drastisch verkürzen. In der Folge von COVID-19 stieg das Frachtaufkommen auf diesen Routen auf ein Rekordhoch.
Zweitens gibt es Russlands Nördlichen Seeweg durch die Arktis, der durch die exklusive Wirtschaftszone des Landes verläuft und eine Durchgangsroute von einem Ende Eurasiens zum anderen ermöglicht. Moskau investiert stark in die Infrastruktur sowie in Eisbrecher und weitere Schiffe und preist den Weg als Alternative zu der risikoreichen, längeren und teureren route durch den Suezkanal an.
Auch in China ist man am hohen Norden interessiert und erklärt, eine "Polare Seidenstraße" erschaffen zu wollen. Eine Erschließung dieser Region für den Handelsverkehr wird zweifellos die Schifffahrtszeiten verkürzen und ist Teil eines strategischen Wettbewerbs um die arktische Region als Ganzes. So bekräftigte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump wiederholt ihr Interesse an Grönland durchaus aggressiv.
Die Probleme der vergangene Woche sind daher aus der Vergangenheit wohl bekannt. Großmächte wie Großbritannien und Frankreich schufen diese strategische Route und versuchten, sie zur Steigerung der Handelsgewinne zu kontrollieren. Heute zeigt der durch die auf Grund gelaufene Ever Given ausgelöste Schiffstau, wie die Nationen weiterhin um die Schaffung und Aufrechterhaltung neuer Schifffahrtsrouten konkurrieren, die den globalen Handel völlig verändern werden.
Nun herrscht im Suezkanal wieder Normalität, doch die Gewässer des Kanals stehen still, gemessen am Fluss der Dinge in einer sich verändernden Welt, in der die Unternehmen nach einem Jahr der Krise nach neuen und schnelleren Routen für den Transport ihrer Waren suchen. Zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer sieht man zwar wieder Bewegung, doch es drängt sich die Frage auf, ob dies für den Suezkanal nicht ein Wendepunkt ist, an dem seine Bedeutung zu schwinden beginnt.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Übersetzt aus dem Englischen. Tom Fowdy ist Politanalytiker und Analytiker zu internationalen Beziehungen mit einem Schwerpunkt auf Ostasien.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.