"Avatar": Wie die US-Marine erst als Berater fungierte und den Film später kritisierte
von Tom Secker
Das 3D-Science-Fiction-Epos Avatar wurde vor kurzem in China wiederveröffentlicht. Die Einnahmen aus der Volksrepublik haben dazu geführt, dass der Film den vorherigen Spitzenreiter Avengers: Endgame überholt und seine Position als umsatzstärkster Film aller Zeiten zurückerobert hat.
Diese Dominanz der Kassenstatistiken hat zu einer Flut von Nachrichtenberichten geführt, aber hinter den endlosen Berichten von Journalisten mit Dollarzeichen in den Augen verbirgt sich eine Geschichte über verdeckte Militärpropaganda und wie das Verteidigungsministerium Filmemacher unter Druck setzt, mehr Pro-Kriegsinhalte zu produzieren.
Rückblende: Als das Marine Corps Avatar kritisierte
Kurz nach seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 2009 wurde Avatar trotz seiner enormen Beliebtheit bei den Kinobesuchern von einer Welle der Kritik erfasst. Eine vatikanische Zeitung kommentierte, dass der Film "sich in einem Spiritualismus verzettelt, der mit der Anbetung der Natur verbunden ist", während eine Rezension von Radio Vatikan erklärte, dass der Film "geschickt mit all jenen Pseudo-Doktrinen spielt, die die Ökologie zur Religion des Jahrtausends machen".
Amerikanische Konservative warfen Avatar vor, antiamerikanisch und antikapitalistisch zu sein, während Liberale den Film aufgrund seines vermeintlichen Rassismus geißelten. Wegen der Storyline von blauhäutigen Eingeborenen, die von einem edlen Weißen gerettet werden – Jake, einem gelähmten ehemaligen Marine.
Ebenso berichtete die halboffizielle Marine Corps Times, wie "Avatar das Ziel von Ärger und Gegenreaktionen jener war, die ihn als Affront gegen das Marine Corps und als negative Allegorie für die Kriege im Irak und in Afghanistan sehen." Die Zeitung veröffentlichte auch einen Brief von Bryan Salas, dem damaligen Direktor für öffentliche Angelegenheiten des Marine Corps, in dem es hieß, Avatar
"nimmt unsere militärische Kultur auf spitzfindige Weise aufs Korn und benutzt die Überlieferungen des Marine Corps und übertriebene Stereotypisierung von Marinesoldaten, um den Kontext für das Drehbuch zu setzen."
James Cameron entschuldigt sich bei den Militärs für den Film
Über Salas' öffentliche Kritik wurde weithin berichtet und führte dazu, dass James Cameron, der Produzent von Avatar, sich an den PR-Chef wandte, um seine Bedenken zum Ausdruck zu bringen. Cameron gab daraufhin der Marine Corps Times ein ausführliches Interview, in dem er sich effektiv für den Film entschuldigte und bestritt, dass er antimilitärisch sei. Cameron sagte der Times:
"Ich bin auch besorgt darüber, dass einige Leute vereinfachend sagen, dass Avatar 'antimilitärisch' ist. Die höchst sympathische Hauptfigur des Films, durch die der Zuschauer fast jeden Moment der Geschichte erlebt, ist ein ehemaliger Marine. Sein Mut im Angesicht überwältigender Schwierigkeiten macht ihn am Ende der Geschichte zu einem Helden von mythischen Ausmaßen. Während die feindliche Truppe im Film Söldnerorganisationen sind, die eindeutig als Sicherheitsunternehmen agieren, ist es nicht das Ziel des Films, legitime militärische Kräfte zu kritisieren, insbesondere die mutigen Männer und Frauen, die dieses Land verteidigen."
Der Produzent, der bei seinem Action-Blockbuster True Lies eng mit dem Marine Corps zusammengearbeitet hat, erklärte weiter, dass sich sein jüngster Bruder John David Cameron im Jahr 1985 den Marines anschloss und an der Operation Desert Storm beteiligt war. Cameron fügte hinzu:
"Nach diesem Konflikt hat Dave zusammen mit einigen seiner Marine-Kollegen bis in die Gegenwart für mich gearbeitet. Und ich habe immer noch mehrere ehemalige Marines, die direkt für mich arbeiten und die wie eine Familie geworden sind."
Cameron erklärte, dass sein Bruder als technischer Berater von Sam Worthington, der im Film Jake spielt, an Avatar arbeitete. Er schloss:
"Auch wenn die US-Marines im Dialog nicht ausdrücklich erwähnt werden, hielt ich es für wichtig, diese Assoziation herzustellen, als Tribut an das Kaliber von Menschen, die durch die Ausbildung, den Geist und die Werte des Marine Corps geschaffen wurden."
Dokumente enthüllen die Wahrheit über das Militär und Avatar
Jahre später gab das Marine Corps als Reaktion auf Anfragen aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes fast 1.700 Seiten mit Tätigkeitsberichten des Verbindungsbüros für Unterhaltungsmedien des Corps frei. Die Dokumente erzählen eine radikal andere Geschichte als der Mediensturm, der auf die Veröffentlichung von Avatar folgte, und enthüllen eine enge Beziehung zwischen dem Corps und Cameron während der Produktion des Films.
Ein Bericht vom April 2009 listet Avatar als ein unterstütztes Projekt auf und beschreibt, wie Verbindungsoffiziere aus Hollywood "sich am 28. März mit dem Regisseur/Autor James Cameron für einen Sci-Fi-Film trafen, der einen querschnittsgelähmten Kriegsveteranen der Marines auf einem anderen Planeten zeigt. In dem Projekt trifft die Hauptfigur auf eine humanoide Rasse mit eigener Sprache und Kultur, die später mit den Menschen in Konflikt gerät".
In dem Bericht heißt es weiter, dass sie "Unterstützung für Formulierungen im Dialog des Drehbuchs" anboten und dass sie "erwarteten, sich wieder mit Cameron zu treffen, um mit Drehbuchänderungen fortzufahren". Ein weiteres Dokument hält zwei Wochen später fest, wie sie sich mit dem Produzenten am Set trafen, um weiterhin Unterstützung zu leisten. Welche Drehbuchänderungen als Ergebnis dieser Treffen genau vorgenommen wurden, ist in den Dokumenten nicht festgehalten. Ein Entwurf der Drehbuchbearbeitung von Cameron bietet aber einen Einblick in das, was verschwunden ist.
In der Entwurfsfassung war Jake gelähmt, weil er "betrunken bei einer Party der Militärbasis aus dem Fenster fiel". Dieses Detail fehlt im endgültigen Film. Stattdessen wurde Jake im Kampf verwundet und es wurden Monologe hinzugefügt wie "Ich bin Marine geworden für die Entbehrungen. Um auf dem Amboss des Lebens gestählt zu werden. Ich sagte mir, ich kann jede Prüfung bestehen, die ein Mann bestehen kann".
Im Dezember 2009 besuchten Offiziere des Verbindungsbüros für Medien beim Marine Corps die Avatar-Premiere. In späteren Berichten wurde vermerkt, dass der Film an den Kinokassen die 1-Milliarden-Dollar-Marke überschritten hatte. Das Verbindungsbüro setzte sich wieder mit Cameron in Verbindung, um Vorführungen auf CENTCOM-Militärbasen zu arrangieren und die Schauspieler und Produzenten an einem "Navy Entertainment Program" teilnehmen zu lassen.
Avatar wurde nach dem Brief von Salas und Camerons Antwort-Interview noch über Monate hinweg weiter überarbeitet. Darauf, dass das Militär den Film tatsächlich als Propagandaerfolg ansah, verweist ein Bericht der Armee aus dem Jahr 2011 über ein Treffen von Militärangehörigen auf der Comic Con, an dem Verbindungsoffiziere aus dem Bereich Unterhaltung teilnahmen. Er listet mehrere Beamte auf, die an dem Treffen teilnahmen, zusammen mit einigen jener Projekte, an denen sie einschließlich Avatar arbeiteten.
Wie das Pentagon Hollywood dazu bringt, mehr Pro-Kriegsfilme zu machen
Im Lichte dieser Dokumente müssen wir die Beziehung des Militärs zu Avatar und Salas' öffentliche Kritik differenzierter betrachten. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt begann das Verteidigungsministerium mit einer proaktiveren Herangehensweise und suchte nach größerem Einfluss in Hollywood.
Phil Strub, damaliger Chef der Film-Verbindungsstelle des Verteidigungsministeriums, begann vermehrt, öffentliche Interviews zu geben. Verbindungsoffiziere trafen sich mit Studiochefs, um Projekte zu besprechen, bevor diese überhaupt um Unterstützung gebeten hatten. Und alle verschiedenen militärischen Zweige verstärkten ihre Bemühungen, die Öffentlichkeit zu erreichen.
Indem er öffentlich einen scheinbar linken, antimilitärischen Film kritisierte, spielte Salas' Brief in das Narrativ hinein, dass Hollywood voller Pazifisten sei, die das Militär hassen, und setzte damit Filmemacher unter Druck, mehr pro-militärische und pro-Kriegs-Filme zu machen.
Das gleiche Narrativ, Hollywood mache zu viele antimilitärische Filme, wurde von mehreren Teilnehmern einer Online-Konferenz wiederholt, die im vergangenen Oktober vom US Naval Institute veranstaltet wurde. An der Konferenz nahmen mehrere aktuelle und ehemalige Beamte der Film-Verbindungsstelle sowie pensionierte Militäroffiziere teil, die als technische Berater für die Unterhaltungsindustrie tätig sind. Diese Konferenz war höchstwahrscheinlich Teil der gleichen Bemühungen, den Einfluss des Pentagons auf das Filmgeschäft zu erhöhen.
Demgegenüber gibt es keine Beweise, die das Narrativ stützen, Hollywood sei antimilitärisch. Sieben der zehn umsatzstärksten Film-Franchises aller Zeiten haben von der Unterstützung des Verteidigungsministeriums und anderer Regierungen profitiert, darunter das Marvel Cinematic Universe, James Bond und The Fast and the Furious. Andere große Franchises, die vom Pentagon und/oder der CIA unterstützt wurden, sind Transformers, Fluch der Karibik und Mission: Impossible.
In der Tat ist Avatar der einzige 200-Millionen-Dollar-Tentpole-Film, der von der Norm abweicht und möglicherweise als antimilitärisch oder kriegsfeindlich angesehen werden könnte. Und er wurde öffentlich vom Marine Corps kritisiert, obwohl dieses beim Umschreiben des Drehbuchs mitgewirkt hat. Somit dient die Avatar-Episode nur dazu hervorzuheben, wie das Pentagon die vollständige Dominanz über Hollywood anstrebt und keine großen Filme toleriert, die auch nur eine geringfügig antimilitärische Stimmung haben.
Übersetzt aus dem Englischen
Tom Secker ist ein in Großbritannien ansässiger Investigativjournalist, Autor und Podcast-Produzent. Verfolgen Sie seine Arbeit über seine Webseite Spy Culture und seinen Podcast ClandesTime.
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