Über 13 Millionen ermordeter Zivilisten – Die vergessenen Opfer der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg
von Wladimir Medinski
Am 3. März 1943 wurde das russische Rschew befreit. Von 50.000 der Menschen der Bevölkerung in der Stadt vor dem Krieg blieben nicht mehr als 300 am Leben. Zwei Tage vor der Befreiung der Stadt sperrten die Deutschen sie alle in eine Kirche der Altritualisten ein, die sie mit Sprengstoff präpariert hatten. Die Todgeweihten überlebten wie durch ein Wunder – der Knall der Explosion blieb aus, denn Spähtrupps der Roten Armee, die in Rschew eingedrungen waren, konnten die Sprengladungen rechtzeitig entschärfen. So viel Glück hatten damals nur wenige Menschen.
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"Während des Rückzugs der Deutschen aus dem Dorf Dratschjowo des Landkreises Gschatsk, [Oblast Smolensk] im März 1943 trieb der Adjutant des Leiters der deutschen Feldgendarmerie Leutnant Boss 200 Einwohner in das Haus der Kolchosenbäuerin Tschistjakowa, verschloss die Türen und zündete das Haus an, in dem alle 200 Menschen verbrannten."
So ist es in einer der vielen Akten der staatlichen Sonderkommission zu den Gräueltaten der deutschen Invasoren dokumentiert.
Nicht nur in Salaspils: Kinder als Blutkonserven für Wehrmachtssoldaten
In der Siedlung Wyriza in der Oblast Leningrad wurde in den Besatzungsjahren ein Konzentrationslager für Kinder betrieben. Kinder aus den naheliegenden Kampfgebieten wurden mit Gewalt dorthin verschleppt. Wozu? Um verwundete Wehrmachtssoldaten mit Kinderblut zu versorgen.
"Meine Schwester Lena ist dort im Lazarett gestorben. Sie sagte: 'Sascha, bring mich weg von hier. Ich habe nicht einmal mehr Blut, aber sie nehmen mir immer und immer wieder welches ab.' Am nächsten Tag war sie nicht mehr."
So erinnert sich einer der Überlebenden.
Diese und tausende andere Fakten vorsätzlicher Auslöschung von Zivilisten – von Kindern, Frauen und Alten – wurden auf sowjetischer Seite dokumentiert und im Laufe der Nürnberger Prozesse zu Gehör gebracht.
Niemand hatte je einen Zweifel daran, dass alle Fragen danach, wer die Verbrecher im Zweiten Weltkrieg waren und wer die Opfer, wer der Held und der Befreier war, für alle Ewigkeit geklärt wären. Doch nein. Im 21. Jahrhundert hielt schleichend die Rehabilitierung des "Nationalsozialismus" Einzug in unsere Welt. Lächelnd, tolerant, mit Streberbrille nistete sie im Morast des Cyberspace, legte ihre schillernde Saat... Und seitdem schlüpfen daraus mit erschreckender Regelmäßigkeit lauter… "Besserwisser"? …Mal mit einem Aufschrei über den angeblich "kriminellen Befehl", den Soja Kosmodemjanskaja ausführte – Ach was: Haben da etwa die Deutschen, die sie hinrichteten, "ein Verbrechen verhindert"? Dann ein gewisser beliebter Fernsehmoderator des letzten Jahrhunderts, oder ein Karikaturist, oder sonst irgendwer, deren Namen alle aufzuzählen sich nicht geziemt.
Ganz gleich, wie verschwurbelt oder blumig sie ihre "alternativen Sichtweisen" äußern, immer ist nur gemeint, dass Hitler und seine Horden nicht schuld daran wären, vor 80 Jahren einen Vernichtungskrieg gegen die Völker der UdSSR entfesselt zu haben, nein, sie doch nicht! Es waren die UdSSR, insbesondere Russland, Stalin und das russische Volk, sie selbst tragen die Schuld an ihren enormen Opfern im Überlebenskampf gegen den Euro-Nazismus.
Wir aber, die Bürger Russlands, hörten irgendwann auf, darauf zu achten, WAS sie sagen und WORÜBER sie lamentieren.
Es wird Zeit, dem ein Ende zu setzen. Es wird Zeit, öffentliche Aussagen über den Krieg nicht mehr als etwas zu behandeln, das nur Historiker interessieren muss. Respekt vor den Taten der Vorfahren muss gleichzeitig den Respekt vor der Wahrheit des Fakts und des Dokuments, vor der Genauigkeit des Begriffs, vor der Richtigkeit der gewählten Formulierung bedeuten.
Und wenn wir Respekt vor dem Andenken an die gefallenen Kämpfer der Roten Armee fordern, wenn wir Respekt auch vor dem Andenken an alle Opfer fordern, dann müssen endlich auch die Zahlen all unserer menschlichen Opfer und materiellen Verluste erklärt und eindeutig bestimmt werden.
In einer Vorlesung fragte ich einmal, Anfang der 2000er, der "Nullerjahre", Studenten im dritten Studienjahr: "Wie hoch waren die Kampf-, Militär- und Gesamtverluste unseres Landes im Großen Vaterländischen Krieg?" Es erschien mir eine leichte Frage für Sechstklässler in einer sowjetischen Schule zu sein. Doch plötzlich herrschte Stille im Saal. Es gab Gott sei Dank noch keine Smartphones, nachschlagen konnten sie also nicht.
Ich musste die Frage vereinfachen. "Fein, dann nur die Gesamtverluste. Geben Sie mir die offizielle Zahl." Und dann ging es aber los: Sieben Millionen! Zwanzig! Dreißig! Fünfzig! Ich traute meinen Ohren nicht. Mir schien, entweder sei ich auf eine Auktion des Wahnsinns geraten oder die Studenten meiner Lieblingsuniversität würden sich einen Gag erlauben. Aber nein, sie wussten es einfach nicht! Die Früchte der Gelehrsamkeit der 1990er Jahre, der Soros-Lehrbücher und allen möglichen Informationsmülls... Schlicht die völlige Ignoranz!
"Offiziell sind es 26,6 Millionen. Merkt’s euch, liebe Kinder: 26.600.000."
Diese Zahl wurde unter hohem Aufwand errechnet (mehr dazu später), aber sie ist die offizielle und nach heutigem Stand die genaueste. Übrigens beschloss ich dann, die Studenten auch auf die Schnelligkeit ihrer Auffassungsgabe zu testen.
"Hier", sage ich, "die zweite Frage: Unser Verbündeter Großbritannien war zwei Jahre länger im Krieg gegen Hitler als wir. Er kämpfte diese zwei Jahre praktisch allein. Wenn unser, wie man bei 'Echo Moskwy' sagt, Preis des Sieges 26,6 Millionen beträgt – wie viele Menschenleben zahlten dann unsere Hauptverbündeten, die Briten, für den gemeinsamen Sieg?"
Die Studenten waren bei Verstand und beim Ausrechnen (des schlichten Dreisatzes) ganz gut dabei.
"Wenn wir in vier Jahren und in der Allianz mit den USA und Großbritannien 26,6 Millionen verloren, die Briten aber zwei zusätzliche Jahre allein kämpften – dann doch mindestens 40 Millionen", erscholl es unisono aus dem Hörsaal.
Nun, wer sich für "den Preis des Sieges" interessiert, den unsere Waffenbrüder zahlen, der findet genug Quellen; ich für meinen Teil empfehle den entsprechenden Artikel auf dem Portal История.РФ. Und obwohl jedes einzelne Leben unbezahlbar ist und es nichts Abscheulicheres gibt, als eine derartige "Statistik", so müssen wir doch diese Zahlen kennen.
Auch wir selbst müssen wissen und verstehen, wie sie berechnet wurden. Denn sie sind heute nicht mehr nur eine Statistik – sie sind, angesichts all der widerwärtigen Versuche im Westen, sowohl die Ursachen als auch die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu revidieren, bedauerlicherweise Beweisstücke im Puzzle großer Politik.
Und diese Zahlen müssen offiziell, wissenschaftlich verifiziert und belegbar sein.
Also: 26,6 Millionen
Historiker verwenden auch heute noch weiterhin Daten aus den späten 1980er Jahren. Diese wurden berechnet, indem die Anzahl und die Altersstruktur der Bevölkerung des Landes zum Juni 1941 und zum 31. Dezember 1945 verglichen werden. Das Ende dieses Zeitabschnitts verschob man bewusst auf das Jahresende 1945, um die in den Lazaretten an ihren Verwundungen verstorbenen Soldaten, die Rückkehrer der aus deutschen KZ-Lagern befreiten Kriegsgefangenen und "Ostarbeiter" und sonstiger Verschleppter in ihre Heimat zu berücksichtigen.
Zur Schätzung der Bevölkerungszahl der UdSSR zum Tag des Überfalls am 22. Juni 1941 übernahm man die Ergebnisse der Volkszählung aus der Vorkriegszeit (die letzte fand im Januar 1939 statt), hochgerechnet auf das spätere Datum – damit wurden dann die Zahlen der Geburten und der Sterbefälle sowie des Beitritts neuer Gebiete im Vorfeld des Krieges berücksichtigt. Infolgedessen wurde die Bevölkerung der UdSSR vor dem Kriege auf 196,7 Millionen Menschen festgesetzt. Pjotr Lidow veröffentlichte in seiner Kurzerzählung "Tanja" (Tanja war der Partisanen-Deckname von Soja Kosmodemjanskaja) im Jahr 1942 die Worte dieser unserer Heldin auf dem Schafott:
"Ihr erhängt mich jetzt, aber ich bin nicht allein. Ihr könnt nicht alle aufhängen. Wir sind 200 Millionen..."
Die Zahl der Bevölkerung am Ende des Jahres 1945 wurde auf ähnliche Weise berechnet, nämlich durch die Rückprojektion der Daten der Volkszählung vom Jahre 1959 – diese belief sich auf 170,5 Millionen Menschen, von denen 159,5 Millionen vor dem Krieg geboren wurden. So kam die Kommission zu dem Schluss, dass sich der gesamte Bevölkerungsverlust während des Krieges auf 37.200.000 Menschen belief. Die Schuld an diesen Verlusten lag gänzlich und allein beim Aggressor – unabhängig davon, ob diese Menschen Opfer seiner Vernichtungspolitik wurden, an der Front fielen oder an der Verschlechterung der Lebensbedingungen an der Heimatfront starben.
Aus dieser Zahl rechnete man jedoch nachträglich noch diejenigen heraus, die während der Kriegsjahre höchstwahrscheinlich "auch so", also eines natürlichen Todes (aus allen möglichen Ursachen) gestorben wären – entsprechend der durchschnittlichen Gesamtsterblichkeitsrate der Bevölkerung der UdSSR im Jahr 1940. Für diese anzunehmenden "natürlichen Todesfälle" wurde die Gesamtzahl von 11,9 Millionen Menschen ermittelt. Im Gegenzug rechnete die Kommission zu der Zahl der Verluste 1,3 Millionen Kinder hinzu, die während des Krieges geboren wurden und – unter Bedingungen, die zur erhöhten Kindersterblichkeit führten – sofort verstarben. Das Ergebnis dieser Berechnungen (37,2 Mio. - 11,9 Mio. + 1,3 Mio.) ergab die endgültige Zahl von 26.600.000, die den Status eines offiziellen Wertes zugewiesen bekam.
Verluste unter Zivilisten
Geschichtswissenschaftler berechneten auch, wie viele friedliche Sowjetbürger der gezielten Vernichtungspolitik Nazi-Deutschlands zum Opfer fielen: Die aktuelle offizielle Zahl beträgt 13.700.000 Millionen Personen. Sie setzt sich aus den Ergebnissen von Inspektionen von Tausenden all jener Massengräber in den von der Besatzung befreiten Gebieten, von Zeugenaussagen sowie Berechnungen. Es ist bewiesen, dass mindestens 7,4 Millionen sowjetische Zivilisten vorsätzlich getötet wurden – erschossen, verbrannt oder auch bei lebendigem Leibe begraben. Von der Gesamtzahl der ins "Dritte Reich" verschleppten "Ostarbeiter" wurden weitere 2,2 Millionen mit Zwangsarbeit zu Tode geschunden oder starben an der ohnehin unmenschlichen Behandlung. Schließlich starben auch in den besetzten Gebieten mehr als 4,1 Millionen Menschen vorzeitig an der allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen auch dort, an Hunger und Krankheiten.
Die daraus resultierende Zahl von 13,7 Millionen Menschen ist erschütternd. Doch können wir uns mit solchen Berechnungen zufriedengeben? Meiner Ansicht nach nicht.
Erstens führt der pauschale Ausschluss der "natürlichen Todesrate" (11,9 Millionen) aus der Gesamtzahl der Verluste, über die wir oben gesprochen haben, zu dem Anschein, dass sich die Gesamtzahl der Verluste von 26,6 Millionen Menschen nicht mit jener Summe der Zahlen aller einzelnen Opferkategorien deckt. Warum ist das so? Nehmen wir zum Beispiel an, dass im Rahmen der "natürlichen Sterberate" in der vom Herbst 1941 bis Januar 1944 belagerten Stadt Leningrad jemand statistisch gesehen "an Altersschwäche" starb. In Wirklichkeit ist diese Person doch aber verhungert, wurde also Opfer eines Kriegsverbrechens. Wie soll man nun zählen? Nach der akzeptierten Logik sollte auch auf die Opfer der Leningrad-Blockade, der Massaker von Babi Jar und Katyn der Faktor der natürlichen Sterblichkeitsrate angewandt werden – wenn man ihn schon auf die Gesamtzahl der Verluste anwendet. Das aber wäre absurd: Denn wir wissen, dass alle diese Menschen ausnahmslos in Wirklichkeit von den Nazis ermordet wurden und eben nicht an Alter und Krankheit starben. Auch "statistisch" denkbare natürliche Tode unter ihnen waren in Wirklichkeit unnatürlich, gewaltsam und vorzeitig.
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Zusätzlich zu den Opfern, die durch den Terror und die brutalen Bedingungen der Besatzung verursacht wurden, erlitt die Zivilbevölkerung der UdSSR in allen Frontgebieten, belagerten Städten und anderen Ortschaften große Verluste durch Luftangriffe und Artilleriebeschuss – also durch alles, was das Militär trocken "feindliche Kampfeinwirkung" nannte.
Die Zahl der zivilen Opfer infolge der Bombardements von Sewastopol und Odessa, von Kertsch und Noworossijsk, von Smolensk und Tula, von Charkow und Minsk geht in die Hunderttausende. Vieles davon ist bei uns überhaupt ziemlich in Vergessenheit geraten, doch erinnern wir uns an die Tragödie von Murmansk – auch heute noch der größten nördlichen Stadt der Welt. Zuerst versuchten die Nazis, Murmansk von der Landseite her einzunehmen, aus der Richtung Norwegens – mit den Kräften der Elitedivisionen der Wehrmacht. Doch auch diese, ideal ausgerüstet für einen Kampf im Winter – versehen mit den besten Waffen dieser Zeit, mit warmer Kleidung wie warmen Mahlzeiten, Kriegsgerät – sie konnten die "nördliche Barriere", die "dünne rote Linie" aus halb erfrorenen Soldaten der Roten Armee, des NKWD und der Volksmiliz nicht durchbrechen, und der Zugang zu unserem letzten eisfreien nördlichen Hafen blieb ihnen somit verwehrt. Und dann wurde die Stadt einem schrecklichen Bombardement aus der Luft ausgesetzt. Was ist schon das englische Coventry im Vergleich dazu! Die Zahl der zivilen Opfer und das Ausmaß der Zerstörungen durch die Bombardierung, ins Verhältnis zur Bevölkerung und zur Zahl der Häuser gesetzt, waren vergleichbar mit denen in Dresden, Frankfurt am Main, ja – sogar mit denen in Stalingrad!
Und in Stalingrad starben bereits vor dem Durchbruch der deutschen Armeen, vor dem Beginn der legendären Entscheidungsschlacht an nur einem einzigen Tag (!) im August 1942 infolge der massiven deutschen Luftangriffe 40.000 bis 70.000 Zivilisten. Eine der schönsten "zivilen" Städte der Union der Sowjetrepubliken, in der es praktisch keinerlei Militäreinheiten, keine Flugzeuge und nicht einmal Flakbatterien gab, wurde schon damals zynisch zerbombt, abgebrannt und in ein Ruinenmeer verwandelt – im Laufe eines einzigen Tages.
Der Versuch, die Einwohner von Leningrad auszuhungern, war das größte Kriegsverbrechen der Geschichte überhaupt: Mindestens 800.000 Menschen starben.
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Und weiter: Die Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen scheint auf den ersten Blick lediglich militärischen Verlusten zuzurechnen zu sein. Die offizielle Zahl der Verluste der Roten Armee der Arbeiter und Bauern betrug nach den Daten des Verteidigungsministeriums 8.670.000 Menschen; unter Berücksichtigung der Verluste aus allen Ursachen (also der Gefallenen, an Verwundungen und Krankheiten Verstorbenen, der Vermissten und unter den Gefangengenommenen) sind es 11.900.000 Menschen. Diese Differenz – über 3 Millionen Menschen – setzt sich aus Menschen zusammen, die zu Beginn des Krieges eingezogen wurden, aber nicht zu ihren Einheiten gelangen konnten, die zu Beginn des Krieges gefangengenommen und an seinem Ende befreit wurden, die sich in besetzten Gebieten wiederfanden, sowie aus Vermissten. Ein Teil von ihnen hat überlebt; ein Teil von denen, die starben, wurde in der Zahl der militärischen Verluste verbucht, und noch ein Teil in den Verlusten an Zivilisten. Und ein weiterer Teil dieser Menschen ging bislang überhaupt in keine Rechnung ein.
Die Sache ist die, dass sich in den Lagern für Kriegsgefangene neben Militärpersonal auch Partisanen, aber oft auch einfach nur Männer im wehrpflichtigen Alter, die in den besetzten Gebieten gefangen genommen wurden, wiederfanden. Sie gehörten nicht zu den regulären Streitkräften. Und wenn wir wissen, dass Hitlers Schergen absichtlich etwa 3,1 Millionen sowjetische Kriegsgefangene (etwa 60 Prozent der Kriegsgefangenen) vernichteten, dann waren unter ihnen somit auch Hunderttausende von Zivilisten, die als Kriegsgefangene ausgelöscht wurden!
Doch dessen ungeachtet bin ich sicher, dass wir, wenn wir von den Opfern einer Politik des Genozids von Nazi-Deutschland sprechen, jedes Recht haben, dabei alle durch Deutsche vernichteten Kriegsgefangenen im Allgemeinen einzuschließen – unabhängig davon, ob sie Zivilisten oder wirklich Militärs waren. Denn in keinem Krieg – zumindest in der christlichen Geschichte der Menschheit – hat ein Staat jemals fast 60 Prozent seiner Kriegsgefangenen vernichtet oder durch Erschöpfung und Folter in den Tod getrieben, so wie es die Nazis mit den sowjetischen Kriegsgefangenen machten. Nein, nun ja – vielleicht taten die wilden Häuptlinge und Priester der wilden Stämme in wilder Vorzeit das auch, dafür lege ich meine Hand nicht ins Feuer. Doch da wäre die Rede ganz sicher nicht von Millionen und auch nicht von der akribisch geplanten und wohldokumentierten Staatspolitik eines "zivilisierten europäischen" Staates – eines Staates, der (das sollten wir nicht vergessen) auch die Unterstützung der protestantischen Kirchen aller germanischen Staaten und des Heiligen Stuhls in Rom selbst genoss.
Überraschenderweise liegt die Todesrate der Soldaten der Alliierten – der USA, Englands, Frankreichs – in deutscher Gefangenschaft lediglich bei 3 bis 4 Prozent. Spüren Sie den Unterschied – wie man so schön sagt – den Unterschied in der Behandlung russischer/sowjetischer Kriegsgefangener durch die Nazis und der kriegsgefangenen Europäer und US-Amerikaner, gleichfalls Kriegsfeinde der Nazis?
Deshalb sollte jede Debatte über die Bevölkerungsverluste der UdSSR während des Krieges mit der Zahl von 37.200.000 Menschen begonnen werden, auf die die reine Demographie die gesamte Abnahme der Bevölkerung festsetzt; erst dann gilt es nachzurechnen und zu korrigieren. Diese Zahl wird sinken, doch für exakte Daten ist seitens der Wissenschaftler, Archivare und Demographen noch eine Menge Arbeit nötig. Nicht zu vergessen auch, dass Hitlers Aggression neben unmittelbaren menschlichen Verlusten auch langfristige demographische Folgen hatte: Das "demografische Echo des Krieges" war für weitere zwei oder drei Jahrzehnte der Nachkriegszeit zu beobachten. Nach Berechnungen der Wissenschaftler werden die indirekten Verluste der Bevölkerung der UdSSR auf 23.000.000 Menschen geschätzt. Diese ungeborenen Kinder, diese vorzeitigen Todesfälle als Langzeitfolgen von Verwundungen und Krankheiten, die nicht registrierten Herzinfarkte beim Empfangen einer Benachrichtigung über den Kriegstod eines Sohnes, des Ehemannes oder Vaters...
Vor 70 Jahren trat die UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord in Kraft. Ihr Autor, Raphael Lemkin (übrigens ein gebürtiger Untergebener der russischen Zarenkrone), war auch der Schöpfer des Genozid-Begriffs selbst. Als eines der ersten Beispiele für Völkermord in der Geschichte nannte er den Tod der Einwohner von Karthago, das von Rom in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zerstört wurde. Die blutigen Massaker während der Kreuzzüge, die Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner, die Ausrottung und Deportation der christlichen Armenier im Ottomanischen Reich und der Holocaust – all das ist Völkermord.
Die Konvention wurde verabschiedet, um ähnliche Taten wie die von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs begangenen, etwa den Holocaust, zu verhindern. Die Massenmorde an den Juden (die Zahl dieser Opfer beläuft sich auf 6 Millionen), den Roma (mindestens 200.000 bis womöglich 1,5 Millionen), den Serben (zwischen 200.000 bis 800.000 Menschen) wurden auf internationaler Ebene als Völkermorde anerkannt.
Die Pläne und Handlungen der deutschen Führungsspitze des "Dritten Reiches" gegen das sowjetische Volk gehen weit über die Absicht hinaus, einige bestimmte "nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppen" zu vernichten, wie es die Konvention definiert. Ihre Maßstäbe waren noch viel gewaltiger!
Und es geht nicht nur um die riesige Zahl getöteter sowjetischer Zivilisten, die die Folgen des Holocausts ebenso um ein Vielfaches übersteigt wie die Völkermorde an Serben oder Roma.
Es geht gar nicht um Zahlen, sondern um die Grundsätze der Staatspolitik dieses Reiches, die von den Nazis wiederholt schriftlich formuliert und am Ende systematisch auf dem Gebiet der UdSSR umgesetzt wurden.
Der Punkt ist die Beispiellosigkeit dieses Verbrechens.
In der Tat war die zu vernichtende "Gruppe" für die Nazis die gesamte Bevölkerung unseres Landes – unabhängig von ethnischer (rassischer) oder religiöser Identität. Die Schuld der Russen, Juden, Weißrussen, Tataren, Ukrainer, Mordwinen oder Tschuwaschen vor Hitler bestand "nur" darin, dass sie Bürger der UdSSR waren, von der "kommunistischen Idee" vergiftet und – vor allem – schlicht auf riesigen Landgebieten lebten, die gemäß Hitlers Plänen für eine "rücksichtslose Germanisierung" vorgesehen waren. Wir sagen heute: Es ist unsere Pflicht im Gedenken an unsere Vorfahren, diese nicht verjährenden Verbrechen also auch nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Doch da ist noch mehr. Unter modernen Bedingungen ist es auch wichtig, das Geschehene richtig, also wahrhaftig zu benennen. Wer wäre noch vor 30 Jahren auf die Idee gekommen, sich spöttisch in einer Rhetorik zu üben, die vorgibt, Hitler-Deutschland mit Stalins UdSSR vergleichen zu dürfen? Das Nazi-Hakenkreuz mit dem roten Stern gleichzusetzen? Und doch ist heute genau das in einigen Ländern sogar bereits gesetzlich verankert!
Nun wird die UdSSR aus der Allianz der Sieger ausgeschlossen, oft schlicht durch Nichterwähnen. So, als ob wir am Zweiten Weltkrieg gar nicht teilgenommen hätten. In der Europäischen Union ging man kürzlich noch weiter – dort beschuldigt man die UdSSR, angeblich den Krieg entfesselt zu haben. In Osteuropa und den baltischen Staaten wird auf staatlicher Ebene erklärt, dass die UdSSR die Völker dieser Länder nicht vom Faschismus befreite, sondern besetzte und versklavte. Doch einen Augenblick!
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Heißt das, dass das Urteil der Nürnberger Prozesse in dem Teil, der die Mittäter an den Verbrechen gegen den Frieden – die Vorbereitung und Entfesselung des Zweiten Weltkriegs – bestimmt, nichts mehr bedeutet?
Es würde heute niemandem in den Sinn kommen, die Juden, die Roma und die Serben als Schuldige für die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs zu bezeichnen. Aber warum kommt dann jemand in Bezug auf die Russen und die vielen anderen Nationalitäten des sowjetischen Volkes jemals auf solch eine Idee? Sind doch auch sie gleichermaßen Opfer eines klassischen Völkermordes.
Mit dem einzigen Unterschied allerdings, dass das sowjetische Volk – als ein Opfer dieser Aggression – auch nach dem Erleiden geschichtlich beispielloser Verluste standhaft blieb und nicht lediglich eine weitere Opfernation, sondern ein Siegervolk wurde.
Der unschätzbar hohe Preis, den die Sowjetunion im Kampf gegen den Faschismus zahlte, ist nicht bloß der "Preis des Sieges", wie man ihn aus irgendeinem Grund nennt. Das ist falsch. Es ist der Preis für die Rettung all derer, die überlebten, gleichermaßen für die Rettung verbleibenden "vier Fünftel" der Bürger der UdSSR wie für die Rettung ganz Europas und – da bin ich mir sicher – der ganzen Welt vor dem Teufel des Nazismus.
Und wir, die Kinder, Enkel, Erben und Rechtsnachfolger des siegreichen Sowjetvolkes, müssen alles tun, damit diese Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg, seine Helden, Opfer und Verbrecher erhalten bleibt.
Und dass es nie wieder einen Krieg gibt.
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Wladimir Medinski war in den Jahren 2012 bis 2020 russischer Kulturminister und gehört zu den Assistenten des Präsidenten der Russischen Föderation. Der ausgebildete Historiker sitzt der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft vor.
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