Meinung

Die "Europäische Gebietskörperschaft Elsass" als Muster transnationaler "Schicksalsgemeinschaft"

Das Elsass hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Aber auch die jüngste Entwicklung zeigt, dass sich die Region an der französisch-deutschen Grenze im Umbruch befindet. Allerdings findet dieser Wandel in der Wahrnehmung der Elsässer kaum Beachtung, schreibt Pierre Lévy.
Die "Europäische Gebietskörperschaft Elsass" als Muster transnationaler "Schicksalsgemeinschaft"Quelle: AFP © Patrick Hertzog

Von Pierre Lévy

Am 2. Januar nahm die "Europäische Gebietskörperschaft Elsass" (Collectivité européenne d'Alsace, CEA) ihre Arbeit auf. Sie ist das Ergebnis der Fusion der beiden französischen Departements Bas-Rhin (Niederrhein) und Haut-Rhin (Oberrhein) und wird über erweiterte Befugnisse verfügen. In Frankreich blieb das Ereignis fast unbemerkt. Es ist aber keineswegs unbedeutend in einem Land, das sich der Gleichheit der Bürger verpflichtet hatte und dessen Verwaltungsorganisation auf die Französische Revolution zurückgeht.

Es ist schwierig, einen herkömmlichen Elsässer zu finden, der diesen institutionellen Umbruch versteht. Jean-Luc Heimburger, Präsident der Handelskammer, räumte in der Presse ein, dass dies "im Moment den Menschen nichts sagt". Er sei trotzdem begeistert von "dem Lokomotiv-Effekt, der uns besonders im grenzüberschreitenden Bereich einen ökonomischen Machtzuwachs erlauben wird, dem der politische folgen wird".

Tatsächlich wurde das Projekt von den regionalen "Eliten" – meistens Mandatsträgern, Wirtschaftsführern und den großen Medien – unterstützt oder zu Ende gebracht, bei fast völliger Gleichgültigkeit der Bevölkerung. Das hat Brigitte Klinkert, ehemalige Präsidentin des Departementsrats Haut-Rhin (und Mitglied der jetzigen Regierung in Paris), keineswegs davon abgehalten, zu erklären:

"Wir stehen am Beginn einer einmaligen Gelegenheit für das Elsass, eine neue Seite in seiner Geschichte zu schreiben (...) Wir hätten diese neue Seite nicht ohne die Unterstützung des elsässischen Volkes schreiben können."

Ein "elsässisches Volk", das für diesen Anlass erfunden wurde, ohne dass dieser Ausdruck die zur Einweihung der CEA versammelte Prominenz störte. Und das aus gutem Grund: Sie verbinden damit die Aussicht auf einen spezifischen elsässischen Charakter, der einen institutionellen Partikularismus oder sogar eine zukünftige Autonomie rechtfertigen könnte.

Um die Entstehungsgeschichte und den Kontext vollständig zu verstehen, muss man mindestens bis zum Gesetz über die Dezentralisierungsreform von 2010 zurückgehen. Dieser Text, damals von Nicolas Sarkozy initiiert, zielte offiziell darauf ab, "erhebliche Einsparungen in der Verwaltung zu erzielen, insbesondere durch die Reduzierung des lokalen Verwaltungsdschungels". Die heutige Regierung will mit einem zukünftigen Gesetzentwurf mit dem Namen "4D" Dezentralisierung, Differenzierung, Dekonzentration, Dekomplexifikation (Vereinfachung) ("decentralisation, différentiation, déconcentration, décomplexification") noch weiter gehen. Es ist dies ein barbarischer Titel, dessen zweiter Begriff – die Differenzierung – in Wirklichkeit das Schlüsselwort des Ganzen ist.

Daher sollte der elsässische Ansatz, der erklärt, dass die Region aufgrund ihrer "Besonderheiten" das Recht haben muss, von den allgemeinen Regeln abzuweichen, andere Regionen, Departements oder Metropolen ermutigen, den gleichen Weg zu gehen.

Es ist anzumerken, dass es im Jahr 2013 einen ersten Versuch gab, das Elsass zu einer eigenständigen Region zu machen. Am 7. April desselben Jahres wurde das Projekt zur Volksabstimmung eingereicht. Doch die Honoratioren mussten eine doppelte Demütigung hinnehmen: Zwar stimmten die Wähler von Bas-Rhin mit 67,5 Prozent zu, aber das entsprach nur 22 Prozent der Wahlberechtigten, lag also unter dem Quorum; was ihre oberrheinischen Nachbarn betrifft, so stimmten diese zu 55,7 Prozent mit Nein. Ein paar Monate später wurde der Nationalversammlung ein Änderungsantrag vorgelegt, der die Verpflichtung zur Volksbefragung abschafft.

Die Bestimmungen, die im Januar 2021 in Kraft treten, geben der neugeborenen CEA neue Kompetenzen: in der "grenzüberschreitenden Zusammenarbeit" (ein Bereich, der bereits durch den Sonderstatus Straßburgs als "Euro-Metropole" anerkannt ist), in der Zweisprachigkeit, und im Management der Straßenverwaltung, mit der Möglichkeit, sogar spezifische Mautgebühren einzuführen.

Die Dimension "Zweisprachigkeit" könnte es erlauben, den Deutschunterricht zu erzwingen und zu diesem Zweck Zeitarbeitskräfte von der anderen Seite der Grenze einzustellen, und zwar in Abweichung vom französischen Status des öffentlichen Dienstes.

Die Gewerkschaft CGT stellt sich ganz allgemein gegen das Projekt, indem sie die Deregulierung der Arbeit (und den Abbau von Arbeitsplätzen) anprangert, die die "Regionalisierung" wahrscheinlich mit sich bringen wird. Es ist kein Zufall, dass das MEDEF (die französische BDA) ein aktiver Unterstützer des institutionellen Umbruchs ist, der später durchaus nachgeahmt werden könnte. Mit Schlagwörtern, die sich die elsässischen Volksvertreter bereits zu eigen gemacht haben: Labor, Experiment ...

Darüber hinaus könnten sich die derzeit noch marginalen separatistischen Gruppen bei zukünftigen Versteigerungen durchaus ermutigt fühlen. Zumal der Begriff "europäisch" im Titel der CEA kein Zufall sein kann. So betont Frédéric Bierry, heute ihr Präsident:

"Wir müssen zeigen, dass die grenzüberschreitenden Gebiete die Motoren der europäischen Intelligenz sind, und mit dem Rheingebiet eine Schicksalsgemeinschaft schaffen."

"Schicksalsgemeinschaft" – dieser letzte Ausdruck (direkt aus dem deutschen Wortschatz übernommen) ist im Übrigen charakteristisch für die europäischen Verträge.

Infolgedessen träumen manche EU-Aktivisten von einer allmählichen Auflösung der nationalen Grenzen parallel zum Entstehen grenzüberschreitender regionaler Einheiten. Das ist eine Richtung, für die auch die spanischen katalanischen und baskischen Separatisten werben.

Die regulatorische Differenzierung könnte Frankreich durchaus der Situation annähern, die unter dem Ancien Régime herrschte, wo man nach Voltaires berühmter Formel beim Durchqueren des Landes "öfter das Gesetz wechselte als sein Pferd". Im Gegenzug hatte die Schaffung der Départements durch die Französische Revolution einen starken Beitrag zur Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz geleistet. Eine Gleichheit, die durch die aktuelle Dynamik zunehmend in Frage gestellt wird, zum Beispiel in Bezug auf die Erreichbarkeit von öffentlichen Dienstleistungen, die je nach Wohnort unterschiedlich ausfallen würden.

Klinkert hatte in ihrer Rede am 2. Januar betont – ohne zu spezifizieren, worin das Ziel besteht:

"Die Geburt der Europäischen Regionalkörperschaft Elsass ist kein Ergebnis, sondern ein Ausgangspunkt."

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