Don Quijote im EU-Parlament: Viel Spekulation, aber keine Fakten zur "russischen Einflussnahme"
von Hasan Posdnjakow
Der Sonderausschuss des EU-Parlaments zur angeblichen Einflussnahme aus dem Ausland hat sich am Mittwoch mit dem Thema der mutmaßlichen politischen Finanzierung von Parteien in der EU aus Drittstaaten befasst. Dabei äußerten die eingeladenen Experten und die an der Debatte teilnehmenden Parlamentarier viele Vermutungen und konstruierten komplexe Verschwörungsszenarien, jedoch wurden – wie bei an Russland gerichteten Vorwürfen der Einflussnahme fast immer der Fall ist – keine konkreten Beweise genannt. Die Sitzung, an der die meisten Parlamentarier und Gäste per Videoschalte teilnahmen, zog sich über fast drei Stunden hin, nach all der Spekulation blieb jedoch fast gar nichts Substantielles übrig.
Der italienische Journalist Stefano Vergine, der für die Zeitung Il Fatto Quotidiano arbeitet und Koautor eines Buches über angebliche finanzielle Unregelmäßigkeiten der Lega-Partei des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Matteo Salvini ist, referierte zu angeblichen finanziellen Beziehungen zwischen Russland und der Lega. Für die Jahre 2018 und 2019 will er eine Finanzierung der Lega aus Russland in Millionenhöhe herausgefunden haben. Seine Beweise dafür sind haarsträubend. Er nennt ein angebliches Treffen in der Lobby des Moskauer Metropol-Hotels im Jahr 2018.
An diesem Treffen sollen drei Russen und drei Italiener teilgenommen haben, darunter der damalige Sprecher Salvinis, Gianluca Savoini. Dort soll ein Plan vorgelegt worden sein zur Finanzierung der Lega durch den Verkauf mehrerer Tonnen Erdöl seitens des staatlichen russischen Konzerns Rosneft über eine Vermittlerfirma. Für diesen Vorwurf hätte der Journalist "Beweise", die "Aufzeichnung" des Gesprächs habe er veröffentlicht. Jedoch wurde die Authentizität des angeblichen Tonbandes nicht erwiesen, alle Teilnehmer bestreiten die Vorwürfe, sofern sie sich dazu geäußert haben, und es erfolgte noch nicht einmal eine Anklage im angeblichen Skandal, geschweige denn eine rechtskräftige Verurteilung.
Der Journalist weiß auch sonst nur mit Vermutungen und einer großen Portion Fantasie, sein Szenario einer Kollusion zwischen "Russland" und der Lega zu untermauern. So wirft er Salvini etwa vor, mehrmals nach Russland gereist zu sein und sich mit Putin getroffen zu haben, als ob das an sich schon ein Verbrechen wäre. Zudem erklärt Vergine, dass eine russische Beratungsfirma zusammen mit Lega-Politikern einen Verband zur Förderung der Handels- und Kulturbeziehungen zwischen der Lombardei und der Russischen Föderation gegründet habe. Auch hier stellt sich die Frage, ob in der EU demnächst der Kontakt und der Austausch zwischen diversen Ländern und Völkern grundsätzlich untersagt werden wird.
Vergine zufolge habe ein zweites Treffen im Metropol-Hotel stattgefunden, an dem Lega-Politiker und angeblich ein russischer Manager teilnahmen, der angeblich einem Putin nahestehenden Anwalt nahe stehen soll (sic!). Ja, die "Vorwürfe" basieren fast sämtlich auf solchen unheimlichen "tiefen" Konstruktionen! Auch habe sich Salvini bei einem Moskau-Besuch mit dem für Energiefragen zuständigen russischen Vizeministerpräsidenten getroffen. Salvini erklärte später, er könne sich an ein derartiges Treffen nicht erinnern. Er bestritt sämtliche Vorwürfe, seine Partei werde von Russland finanziert. Der Journalist muss selbst zugestehen, dass mehrere Unternehmen, die am angeblichen Deal zur Finanzierung der Lega-Partei durch Geld des russischen Staates eine Rolle gespielt haben sollen, sämtliche Vorwürfe bestritten haben.
Italienische Behörden leiteten zwar Ermittlungen zu den Vorwürfen ein, aber obwohl mittlerweile fast eineinhalb Jahre verstrichen sind, wurde gegen keinen der mutmaßlichen Beteiligten am angeblichen Deal zur Finanzierung der Lega Anklage erhoben. Warum wird eine angebliche Verschwörung dem EU-Parlament aufgetischt, von der die italienische Justizbehörden offenbar bisher meinen, dass die Beweise nicht substantiell genug sind, die angeblichen Täter vor ein Gericht zu bringen? Sollte man nicht zuerst Justicia ihren Gang laufen lassen?
Das Referat der Wiener Journalistin Nina Horaczek, "Expertin" für rechtsextreme Parteien, fiel ähnlich nebulös aus. Wenigstens stellte sie am Anfang klar, was die Zuschauer zu erwarten hätten:
"Ich muss sie leider gleich ein bisschen enttäuschen. Ich kann ihnen leider keine Geldkoffer präsentieren, die sozusagen vom Ausland nach Österreich gekommen sind, aber ich kann ihnen ein Paar Dinge erzählen, die hoffentlich interessant sind."
Wie sich herausstellte, war fast nichts von dem, das sie erzählte, auch nur ansatzweise "interessant", wenn man nicht gerade einen Fetisch für plumpe Verschwörungsliteratur hat. Horaczek meinte, dass die FPÖ ein gutes Beispiel dafür sei, wie ausländische Akteure, etwa Russland, Einfluss auf die Politik (auch auf EU-Ebene) nehmen könnten. Dies laufe aber nicht unbedingt (?) auf finanziellen Wegen ab. So weit, so gut, warum jedoch wird die gnädige Dame dann eingeladen als Referentin, wenn doch das Sitzungsthema explizit "politische Finanzierung über legale oder illegale Känale" lautet? Egal, damit hielt sich die "Expertin" nicht näher auf. Die FPÖ habe immer bestritten, Geld von Russland erhalten zu haben. Das könne man nur so hinnehmen, denn man habe keinen Einblick in die Finanzierung von Parteien.
Die Wiener Journalistin spricht auch das berühmt-berüchtigte Ibiza-Video an. Dadurch habe man erfahren, dass es bereits schon ab dem Jahr 2005 Kontakte zwischen der russischen Regierungspartei und der FPÖ gegeben habe. Das mag in der Tat eine neue Erkenntnis gewesen sein, jedoch stellt sich hier wie bereits oben die Frage, warum der Kontakt zwischen Politikern und Parteien aus unterschiedlichen Staaten grundsätzlich unter Verdacht gestellt werden sollte. Im Gegensatz zu dem, was die antirussische Stimmungsmache suggerieren will, ist das etwas ganz normales; sehr viele politischen Parteien der Welt sind Mitglied von internationalen Zusammenschlüssen und tauschen sich regelmäßig mit Partnern im Ausland aus, egal, ob es sich um Regierungs- oder Oppositionsparteien handelt.
Horaczek wirft der FPÖ vor, sich im Konflikt um Südossetien, der in einer Konfrontation zwischen dem russischen und georgischen Militär mündete, im Jahr 2008 "ganz demonstrativ auf Putins Seite gestellt" zu haben. Warum das allerdings als Indiz einer russischen Einflussnahme in der EU gewertet werden sollte, bleibt schleierhaft. Staaten wie Deutschland und Frankreich vermieden es damals etwa, eindeutig einen Schuldigen auszumachen. Soll das auch als eine etwas leichtere Form der russischen Einmischung gewertet werden?
Weitere "Beweise" für eine Verschwörung zur Beeinflussung der EU-Politik seitens Russlands präsentierte die Journalistin in Form mehrerer meist öffentlicher Treffen zwischen FPÖ-Politikern und russischen Politikern. Bei einem der Treffen mit der russischen Regierungspartei hätten sich die FPÖ-Vertreter verpflichtet, die österreichisch-russischen Beziehungen zu vertiefen (!) und die Jugend "im Geiste des Patriotismus und der Arbeitsfreude" zu erziehen (!!). Warum das so schlimm sein soll und vor allem wie daraus eine Einflussnahme Russlands zu konstruieren wäre, das blieb die "Expertin" den Zuhörern schuldig.
Sie trug stattdessen gleich den nächsten Vorwurf vor: Russland habe Beziehungen zur damaligen Oppositionspartei FPÖ unter anderem deshalb unterhalten, weil diese "lautstark" gegen die antirussischen EU-Sanktionen opponiert habe. Haben die werten Experten und EU-Sesselfurzer etwa von der russischen Regierungspartei erwartet, dass sie nur Beziehungen zu solchen Parteien unterhält, die Sanktionen gegen ihr eigenes Land befürworten? Es zeigt sich, dass die "Russlandkritiker" nicht nur in ihrer eigenen konstruierten Realität leben, sie schaffen es auch gar nicht, sich in die Rolle ihres Gegenübers zu versetzen. Würden sie dies tun können, dann würden sie nämlich einige ihrer amüsantesten "Vorwürfe" gar nicht öffentlich vortragen. In einem Nebensatz gesteht die Journalistin übrigens, dass die Farbrevolutionen "durchaus von einem Europagedanken getrieben" wurden und erklärt, die EU stelle eine Gefahr für "das russische politische System dar".
Anschließend präsentierte sie weitere "Beweise" für die angebliche Kollusion in Form von Reisen von FPÖ-Politikern nach Russland. Wie viele österreichische Regierungs- und Oppositionspolitiker reisen eigentlich jedes Jahr in die USA, um sich dort mit Vertretern der Regierung, der Parteien und von diversen Thinktanks zu treffen? Warum sollen diese Reise, ohne substantielle Untermauerung, eine Einflussnahme oder gar, wie der Titel der ganzen Veranstaltung es nahe legt, eine "politische Finanzierung über legale oder illegale Kanäle" darstellen? Strenggenommen müsste sich demzufolge Putin (sowie jeder andere russische Politiker bis hin zum Dorfvorsteher) mit keinem anderen EU-Politiker treffen, auch nicht mit Regierungsvertretern, um nicht möglicherweise den Eindruck zu erwecken, sich in die EU-Politik einmischen zu wollen.
Die FPÖ habe zudem durch ihre Haltung zu Russland Wählerstimmen unter serbisch-orthodoxen Bürgern Österreichs gewinnen können. Sie deutete an, dass dies über RT Deutsch geschehe:
"Zum anderen konnte die FPÖ durch diese Beziehung (mit Russland) auch neue Wählerschichten gewinnen: Das heißt, sie konnten sich zum einen auf Kanälen wie RT Deutsch, dem, sagen wir, Propagandakanal von Russland ist, präsentieren, haben dort Sendefläche bekommen – konnten aber auch neue Wählerschichten ansprechen. Ich meine damit zum Beispiel in Österreich serbisch-orthodoxe Wähler."
Die Journalistin scheint zu meinen, dass jegliche Äußerung gegen die konfrontative Politik der EU hinsichtlich Russlands und jegliche positive Meinung zu Russland eine Kollusion mit der russischen Regierung zur Untergrabung der EU darstelle. Zudem müsste man fragen, wie oft FPÖ-Politiker denn bei RT Deutsch auftreten und wie oft etwa in österreichischen öffentlich-rechtlichen Medien oder sogar in deutschen. Wenn sich herausstellen sollte, dass dies wesentlich öfter beim ORF oder bei der ARD und dem ZDF der Fall sein sollte, müsste dies dann als österreichische oder deutsche Einflussnahme gedeutet werden?
In Wahrheit treten nämlich FPÖ-Politiker relativ selten bei RT Deutsch auf (insbesondere eben im Vergleich zu österreichischen oder sogar anderen deutschsprachigen Medien), und auch dann wäre noch zu fragen, ob sich überhaupt eine kausale Beziehung zwischen Auftritten bei RT Deutsch und den Wahlergebnissen der FPÖ aufstellen lässt, wenn es doch viel einleuchtender ist, dass sich die meisten "serbisch-orthodoxen Wähler" durch inländische österreichische oder vielleicht serbische Medien informieren.
Zum Schluss ihres Referats lässt sich nochmal eine Bombe platzen:
"Wir haben in Österreich derzeit keine Belege für ähnliche Zahlungen aus Russland an die FPÖ oder auch Zahlungsversuche."
Wenn man den ganzen Rauchschwaden über eine angebliche Kollusion zwischen der FPÖ und Russland, den die "Expertin" in die Luft gesetzt hat, abziehen lässt, dann bleibt von ihrem Referat eigentlich nur die Einsicht übrig, dass es keine gibt!
In der Aussprache der EU-Parlamentarier zu den Vorträgen bestätigte sich der Eindruck, dass die ganzen Spekulationen auf keinerlei belastbaren Beweise beruhen. Jeroen Lenaers von der Europäischen Volkspartei erklärte zum Beispiel:
"Was Salvini und Russland anbelangt, da hat es ja glaube ich keinen Beweis gegeben, dass das sich tatsächlich so abgespielt hat."
Dennoch, fügt er hinzu, sei es "ganz klar, dass es wirklich besorgniserregend ist". Warum etwas, wofür es keinen einzigen Beweis gibt, was demzufolge auch nicht als real existierend gedacht werden kann, Besorgnis erregen soll, das wissen wohl nur "Experten", "Investigativjournalisten" und neunmalkluge EU-Parlamentarier.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema – Und wieder ist der Russe schuld: Corona-Panik laut internem EU-Bericht von Moskau geschürt
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.