Meinung

Bemühungen um Neuaushandlung von New START diskreditieren USA als Verhandlungspartner

Die USA setzen Russland mit der Drohung unter Druck, eigene gemäß New START eingemottete Nuklearwaffen-Kapazitäten zu reaktivieren, falls Moskau eine Revision dieses Vertrages verweigert. Damit zeigen sie aber nur, dass sie in Sachen Rüstungskontrolle gewohnheitsmäßig betrügen.
Bemühungen um Neuaushandlung von New START diskreditieren USA als VerhandlungspartnerQuelle: Reuters

von Scott Ritter

Laut  Politico "hat die Trump-Regierung das Militär beauftragt zu prüfen, wie schnell eingelagert Atomwaffen aus den Depots geholt und in Bomber und U-Boote verladen werden können", wenn der New-START-Vertrag, der bislang die zahlenmäßige Größe strategischer Atomwaffenarsenale der USA und Russlands begrenzt, im Februar auslaufen sollte. Die Politico-Redaktion bezieht ihre Informationen "von drei Personen, die mit den Diskussionen vertraut sind". Diesen Quellen zufolge wurde die Anfrage an das Strategische Kommando der USA "als Teil einer Strategie gestellt, um Moskau unter Druck zu setzen, den New-START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen noch vor den US-Präsidentschaftswahlen neu zu verhandeln". 

Das Merkwürdige an diesem Bericht ist, dass das US Strategic Command offenbar die Antwort auf diese Anfrage bereits vorher kannte. Um den vertraglich vorgeschriebenen Umfang der Sprengkopfreduzierung zu erreichen, verringerten die USA die Anzahl der Sprengköpfe auf silogestützten Interkontinentalraketen Minuteman III von je drei auf je einen und auf den U-Boot-gestützten ballistischen Raketen Trident D-5  von jeweils bis zu 14 auf je etwa fünf oder sechs.

Die von den Raketen abmontierten Gefechtsköpfe wurden entweder als "aktiv" oder "inaktiv" neu klassifiziert. "Aktive" Gefechtsköpfe werden im vollständig zusammengebauten Zustand und unter demselben Wartungs- und Modernisierungsregime gelagert wie ihre operativen Gegenstücke und können gemäß den bereits vom US Strategic Command festgelegten Richtlinien reaktiviert werden. "Inaktive" Gefechtsköpfe wurden teilweise noch weiter demontiert, und ihre Reaktivierung würde daher länger dauern als bei ihren "aktiven" Gegenstücken, ist aber in ähnlicher Weise durch Richtlinien des Strategischen Kommandos der USA geregelt. Darüber hinaus führen die USA regelmäßig Tests durch, bei denen sie die Minuteman III-ICBM in eine Konfiguration mit drei Sprengköpfen umrüsten, um genau die im Politico-Artikel beschriebenen Maßnahmen zu üben. Die Zeitvorgaben für diese Wiederaufrüstung sind dem Strategischen Kommando der USA gut bekannt. Es ist nicht öffentlich bekannt, ob auch die US-Marine Flugtests ihrer ähnlich wiederaufgerüsteten U-Boot-gestützten Trident D-5-Raketen durchführt.

Ein Aspekt dieser Anfrage, der – falls umgesetzt – außerhalb der bestehenden Reaktivierungsrichtlinien des Strategischen Kommandos der USA läge, ist jene Frage, ob die USA ihre Flotte der Trident-fähigen U-Boote von einer derzeit New-START-konformen Konfiguration auf eine Konfiguration umstellen würden, bei der überhaupt keine Einschränkungen mehr gelten. Und diese Möglichkeit wirft einige interessante Fragen bezüglich der (bisherigen) Einhaltung der Vorschriften von New START durch die USA auf.

Gemäß Abschnitt 1, Absatz 3 des dritten Teils des Protokolls zum Vertrag gilt noch immer:

"Wird eine Startanlage für interkontinentale ballistische Raketen (ICBM), eine Startanlage für U-Boot-gestützte ballistische Raketen (SLBM) oder ein schwerer Bomber dergestalt umgebaut, dass sie bzw. er unfähig gemacht wird, ICBM, SLBM oder Kernwaffen einzusetzen, sodass die andere Vertragspartei die Ergebnisse des Umbaus bestätigen kann, dann fällt eine solche umgebaute strategische Angriffswaffe nicht mehr unter die im Artikel II des Vertrags vorgesehenen Gesamtzahlen und kann für Zwecke verwendet werden, die dem Vertrag nicht zuwiderlaufen.

Um ihren Verpflichtungen im Rahmen von New START nachzukommen, bauten die USA vier SLBM-Startanlagen auf jedem ihrer 14 Trident-U-Boote für ballistische Flugkörper – insgesamt also 56 – so um, dass sie nicht mehr zur zulässigen Zahl der Trägerraketen hinzuzurechnen sind. Dieser Umbau erfolgte durch Entfernung der Gasgeneratoren des Auswurfmechanismus aus dem Abschussrohr und "festes" Verschrauben der Rohrdeckel.

Am 27. Februar 2018 protestierte das russische Außenministerium gegen die US-amerikanische Vorgehensweise: Man stellte fest, dass die Trident-Konversionen

"so umgebaut wurden, dass die Russische Föderation nicht bestätigen kann, dass diese strategischen Waffen für den Einsatz von SLBMs untauglich gemacht wurden".  

Die Russen waren darüber besorgt, dass die Trident-SLBM-Konversionen nicht irreversibel waren, wie es der Vertrag verlangt – und dass somit die 56 Startanlagen, die als "nicht mehr in der Lage, SLBMs einzusetzen" aufgeführt waren, eher als "nicht in Bereitschaft gestellte Startanlagen" hätten kategorisiert und daher nicht aus der Gesamtzahl ausgeschlossen werden dürfen. Um es ganz offen auszusprechen: Die Russen beschuldigten die Vereinigten Staaten von Amerika, sich an den Festlegungen im New-START-Vertrag vorbeizumogeln.

Sollte dies zutreffen, würde die Drohung von Marshall Billingslea in seinem Interview mit der russischen Zeitung Kommersant vom 21. September, "unsere Waffen umzurüsten", wenn sie auf die Abschussrohre der Trident-Raketen-U-Boote angewendet würde, nicht nur den Verdacht Russlands bestätigen – sondern ganz generell wären die USA dann bei künftigen Rüstungskontrollverhandlungen (ob mit Russland oder mit China) als unzuverlässiger Verhandlungspartner diskreditiert.  

Washington musste in dieser Hinsicht bereits einstecken: Nämlich bei der Behauptung, dass die Flugkörper-Startanlagen Mk 41, wie sie im Raketenabwehrsystem Aegis Ashore eingesetzt werden, nicht als Marschflugkörper-Startanlagen verwendet werden könnten und als solche daher auch keinen Verstoß gegen den INF-Vertrag (Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme) darstellten. Dies entpuppte sich als Lüge, als die USA weniger als einen Monat nach ihrem Austritt aus dem INF-Vertrag einen Flugtest mit einem Marschflugkörper durchführten, der aus einer ebensolchen Flugkörper-Startanlage Mk 41 abgefeuert wurde.  

Wenn die Berichterstattung von Politico wahr ist, wurde dem US-Militär eine Übung anbefohlen, die eigentlich redundant ist – liegen doch die Daten bereits vor, sodass diese Übung nichts mehr zur Forcierung der strategischen Fähigkeiten der USA beiträgt. Wenn jedoch die USA darüber hinaus planen, ihre Startfähigkeit von ballistischen Raketen von U-Booten aus durch die Reaktivierung der 56 SLBM-Startanlagen noch zu erhöhen, die angeblich im Rahmen von New START funktionsunfähig gemacht wurden – dann würde Billingslea damit sein eigenes behauptetes Ziel untergraben, Russland vor den Präsidentschaftswahlen im November 2020 wieder zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. Denn wer, der klaren Verstand sein Eigen nennt, wäre schließlich bereit, mit einem überführten Betrüger zu verhandeln?

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Übersetzt aus dem Englischen. Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen.

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