Meinung

Corona-Demo in Berlin: Die Ära der postfaktischen Wahrheit

Am 1. August zog eine denkbar bunte Mischung gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung durch Berlin. Schon im Vorfeld wurden Teilnehmer der Veranstaltung massiv verunglimpft. Dann sollte die Demonstration vorzeitig aufgelöst werden. Die Menschen verweigerten den Gehorsam.
Corona-Demo in Berlin: Die Ära der postfaktischen WahrheitQuelle: Reuters © Christian Mang

von Jens Zimmer

Wir stecken mitten in der postfaktischen Zeit, im großen Tauziehen um eine Wahrheit, die mit Tatsachen oder Realitäten nichts mehr zu tun haben braucht. Sie muss nicht mehr verifizierbar sein. Es reicht vollkommen aus, wenn die Menschen an sie "glauben". Und dieser Glaube ist die Ressource unserer Zeit. Beim Schürfen ist daher jedes Mittel recht: Jede Meldung, jede Lüge, jede Manipulation, bar jedweder Moral. Legen wir also dem Pöbel ein Tau um den Verstand und beginnen nach Kräften zu ziehen! The Winner takes it all.

Wie viele Menschen waren es denn nun auf der Demonstration in Berlin? Die einen sprechen von 1,3 Millionen. Die anderen von 17.000. Ich war zum Glück vor Ort und kann es selber beurteilen. Und Sie? Wollen Sie es auch wissen? In Ordnung, dann kommt jetzt die Wahrheit ans Licht. Und zwar eine, die man glauben kann! Sind Sie bereit? Dann aufgepasst: Die Wahrheit! Es geht los …

Nein, doch nicht. Aber in Kürze! Es folgt demnächst: "Eine Wahrheit, die man glauben kann." Von und mit Jens Zimmer! In wenigen Minuten.

Derweil ein kleines Quiz:

Warte ich gerade
a) auf Anweisungen aus dem Kreml?
oder
b) auf einen Scheck von George Soros?

Suchen Sie sich eine dieser Wahrheiten aus. Ganz nach Gusto oder Glauben. Sie brauchen dabei nur ihrer persönlichen Überzeugung zu folgen. Obschon "persönliche Überzeugungen" heuer ja auch schon genormt werden. Man könnte grob von zwei gesellschaftlichen "Kern-Konfessionen" sprechen. Quasi zwei Glaubensbekenntnissen, die sich zunehmend unvereinbar gegenüberstehen. Ich persönlich bin da aber sehr tolerant und diskriminiere sie alle in gleicher Weise. Und zwar einzig anhand meines eigenen Verstandes.

Ich kenne die genaue Anzahl der Teilnehmer übrigens wirklich. Bleiben Sie dran! Seien Sie unterdessen aber bitte vorsichtig bezüglich der falschen Angaben anderer. Die legen ihnen lediglich ein Tau um den Verstand und haben längst begonnen zu ziehen! Zudem kommen diese Leute nie alleine. Immer kommt da ein ganzes Rudel Interessierter und zieht in die verrücktesten Richtungen. Das Gefühl müsste Ihnen ja vertraut sein – immerzu dieses Geschiebe und Gezerre! Irgendwann stehen Sie dann vor der Wahl: Sie können sich zu einer der Seiten bekennen. Eventuell "Zeugnis ablegen" (?) und fortan Ungläubige bekehren (wollen). Sie können es natürlich auch weiterhin aussitzen und an sich herumdoktern lassen. Weiterhin Scheiben und Reißen, Schimpf und Schande von allen Seiten. Aber das Vertraute ist uns ja häufig am liebsten. Und sei es noch so schlimm.

Oder aber sie versuchen, sich dieser Taue komplett zu entledigen. Dann müssten sie zukünftig allerdings komplett für sich selber denken. Mentale Eigenverantwortung ist ein überaus unbequemes Exil. Und sie bringt oft nicht mehr ein als Hohn und Spott.

Warten Sie noch auf die Teilnehmerzahl vom Samstag? Haben Sie doch ein klein wenig Geduld! Nur noch ein paar Absätze, dann ist es so weit.

Zunächst noch etwas anderes:
Ehrlich gesagt war ich nämlich wegen eines Beitrages im "rbb-Inforadio" auf dieser Demo und habe dort gefilmt. Im Radio hieß es nämlich am Abend zuvor hellseherisch, es würden dort überwiegend "Neonazis, Verschwörungstheoretiker und Spinner" erwartet. Also Leute, mit denen eigentlich niemand etwas zu tun haben möchte. Auch kämen insgesamt nur sehr wenige dieser Gestalten, von daher lohne sich das alles gar nicht. Das Motto der Demonstration "Tag der Freiheit" sei zudem einem Propagandafilm der Nazis entliehen. Und es werde auch mit Übergriffen auf Journalisten gerechnet.

Eine Zwischenfrage: Sind Sie jemals so "umfassend informiert", sprich massiv medial vor einer Demonstration gewarnt worden? Also ich nicht! Das waren keine "Informationen" mehr, die mir das Inforadio da zur Verfügung stellte. Das war eine verklausulierte Anweisung, wohin ich mich am 1. August 2020 bitte nicht zu begeben habe! Für mich war das daher allerdings  ein journalistischer Marschbefehl.

Und ich möchte sogleich etwas bestätigen: Ja, es gab dort "Rechte"! Ich habe sie gesehen. Außerdem gab es auch Verschwörungstheoretiker und viele der angekündigten Spinner. Von denen wirklich nicht zu knapp. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich auch ein vollkommen anderes Video drehen können, ohne jede Mühe.

Doch warum sollte ich so etwas tun? Auf besagte Personengruppen konzentrieren sich bereits alle anderen Medien. Jeden Dödel zerren die vor die Kamera, wenn sie anhand seiner Peinlichkeiten gleich noch die Demonstration als Ganzes der Lächerlichkeit preisgeben können. Jeder versprengte Nazi mit einer Ekel-Flagge bekommt von ihnen seine ganz persönliche Nahaufnahme. Da wird ausgewählt, geschnitten und manipuliert, dass es nur so kracht!

Außerdem gab es dort aber doch noch viele andere Leute. Sehr viele sogar und jeglicher Couleur: Schräge Leute, bunte Leute, Schwarze, Weiße, Alte, Junge, Linke, Rechte, Hippies, Punks, Hipster, Rapper, Rastas, Bürgerliche, auch ein paar Verwirrte, Gestörte und noch so viele, viele mehr. Sie alle waren dort und alle waren sie gemeinsam unglaublich friedlich.

Die so häufig befürchtete "Querfront" – hier hat sie sich formiert. Ein Akt der größten Not, wie ich vermute. Die Puristen beider Seiten vermag ich zu beruhigen: Naturgemäß wird das nicht länger halten als das gemeinsame größere Problem. Vorerst aber scheint die Front zu stehen. Und zwar "unten", während man "oben" weiter fleißig Öl ins Feuer gießt. Politik und Medien trommeln bereits für schärfere Corona-Auflagen und härtere Strafen. Ich bin mir nicht sicher, wo in dieser Gesellschaft die größeren Verrückten und Spinner sitzen.

Bevor ich nun die genaue Teilnehmerzahl bekannt gebe, möchte ich noch auf die befürchteten "Übergriffe" auf Journalisten zu sprechen kommen. Das ZDF-Aushängeschild "Dunja Hayali" gab sich größte Mühe, einen solchen Zwischenfall zu provozieren. Ich mache es wirklich nicht gerne, doch das Gebaren dieser Person bedarf einer Erwähnung. Arrogant – wie einst nur der Adel – stolzierte Frau Hayali samt Entourage und Bodyguards über die Straße des 17. Juni, wohl wissend, welche Wirkung das auf die dort versammelten Menschen haben würde. Also auf genau jenes gemeine Volk, das sich ansonsten nur aus der Ferne sehend von dieser Frau vorführen lassen muss. Ihr selbst bot sich hier die Gelegenheit, von Angesicht zu Angesicht auf das Niveau niederer Beitragszahler hinabzusteigen.

Und sie hat ihr Ziel erreicht. Auf ewig wird es heißen, Hayali sei auf der Corona-Demo von tumben Rechten angefallen worden. "Mutig" wird man sie dafür nennen und "aufrecht". Innerhalb jener gesellschaftlichen "Konfession", die umgehend von einer unfassbaren Provokation spräche, flanierte beispielsweise ein Björn Höcke nebst Bodyguards hochnäsig über eine Demo der Antifa.

Und nun ist es soweit! Ich komme zur Teilnehmerzahl der Demonstration. Es waren natürlich weder 17.000 noch 1,3 Millionen. Genau genommen waren es ungefähr 10 Millionen!

Das glauben Sie mir nicht? Aber Sie lesen es doch Schwarz auf Weiß – in einem Medium! Ich werde die 10 Millionen später vielleicht noch einmal in einem Video erläutern. Das lassen wir dann überall in Endlosschleife laufen, im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne. Die Mittel dazu treiben wir eventuell zwangsweise bei Ihnen ein. Und sind Sie nach einigen Wochen der Beschallung mental noch immer so renitent, dann werden wir mit der Kamera vorbeischauen. Und wir werden es so anstellen, dass wir Sie in der Unterhose erwischen. Wenn da noch kein Fleck drauf ist, erledigen wir das noch in der Postproduction. Und wissen Sie, was ich dann habe? Recht!

Vielleicht rasten Sie ja aus und brüllen herum. Das wäre geradezu perfekt! Sehr gut wäre es, wenn Sie Angst vor der Kamera haben und keinen Ton herausbekommen. Oder Ihnen fehlt ganz einfach der Wortschatz, um mir angemessen zu widersprechen. Was habe ich dann? Recht!

Allein schon deshalb, weil Sie fürs Rechthaben offenbar viel zu dumm sind! Und genau das wird für jedermann ersichtlich sein. Einen stotternden Unterhosen-Heini mit Aggressionsproblemen nimmt niemand ernst.

Aber alle werden sie Angst haben, irgendwann selber so dumm dazustehen, so nackt und wund. Und sie werden es nicht mehr wagen zu widersprechen. Ohne jede Gegenrede werden schon bald sehr viele Menschen an meine "10 Millionen Teilnehmer" glauben. Sie werden es einfach annehmen müssen. So wie schon das tödliche Loch im Himmel, den gespenstischen Super-Terroristen, die Klimakatastrophe durch ein Spurengas oder eine Pandemie. Und wenn so viele Menschen daran glauben, dann muss es doch einfach wahr sein. Halleluja!

Ich verrate Ihnen noch eine Kleinigkeit, die Sie sicherlich schon wussten: Selbstverständlich waren viele Leute auf dieser Demo komplett verstrahlt. Ich habe mit einigen von denen gesprochen und wirklich verrückte Dinge gehört. Da sprießen die absonderlichsten Theorien nur so ins Kraut!

Doch nichts davon wäre durchgeknallter als der Unsinn, den uns beispielsweise die Kirchen auch heute noch verkaufen. Oder als der Schwachsinn der Genderspinner*innen. Nichts davon ist gefährlicher als ein modernes "Finanzprodukt". Oder ein grundsolides Erzeugnis des hofierten Traditionsunternehmens Krauss-Maffei, "made in Germany".

Nein, wirklich "gefährlich" sind diese Leute eigentlich nicht. Mit der kleinen Einschränkung, dass sie sich die Freiheit nehmen, sich ihren Schwachsinn selber auszuwählen. Sie lassen sich nicht mehr bange machen. Wenn überhaupt, dann zerren nun andere an ihrem Verstand. Politik und Medien haben bei ihnen jegliches Vertrauen verspielt. Nicht wegen des Internets, nicht wegen böser Russen, böser Chinesen oder bösem Sonstwas. Die heimatlichen Lügen und Täuschungen waren absolut ausreichend. All die Jahre der Public Relations und der "Kommunikationsprobleme", wenn die "eigene" Bevölkerung mal wieder nicht spurte. Das hinterlässt Spuren.

Viele von ihnen mögen "Spinner" sein, aber es sind freie Spinner. Wenn man sie in der Unterhose abpasst, werden sie schlimmstenfalls freundlich in die Kamera winken. Der mentalen Meinungsdiktatur unserer Zeit haben sie sich einfach entzogen. Sie haben jetzt ihre eigene postfaktische Realität. Und warum auch nicht? Es gibt tatsächlich kaum Gründe, beim dem Schwachsinn anderer mitzumachen.

Mit ihnen wächst nun ein Ungehorsam heran, der sich angesichts des Drucks von außen nicht mehr mit quasi-religiösen Glaubenssätzen spalten lässt. Die haben das einfach hinter sich gelassen. Und nun beginnen diese Spinner auch noch, sich lagerübergreifend wirksam zu organisieren – oder zumindest zu versammeln. Wir werden sehen, wie viel Demokratie uns noch bleibt, wenn der Staat mit diesen ungehorsamen Elementen erst einmal fertig ist.

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