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"Adopt a Revolution" als ziviler Arm der Syrien-Intervention: Interview mit Karin Leukefeld

Westlichen Medien stellen uns Organisationen wie "Adopt a Revolution" als humanitäre Akteure vor, die die syrischen Zivilisten unterstützen. Doch sind sie wirklich so unparteiisch? Karin Leukefeld hat sich die Organisation "Adopt a Revolution" angeschaut.
"Adopt a Revolution" als ziviler Arm der Syrien-Intervention: Interview mit Karin LeukefeldQuelle: www.globallookpress.com © dpa/Maurizio Gambarini

Die erfahrene Nah-Ost-Journalistin und RT Deutsch-Korrespondentin hat eine umfangreiche Recherche zu "Adopt a Revolution" in den Marxistischen Blättern  veröffentlicht. Wir sprachen mit ihr über den wahren Charakter dieser sogenannten Hilfsorganisation. Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow.

Wie kam es zu der Gründung von "Adopt a Revolution" (AaR)?

Nach eigener Darstellung des Vereins geht die Gründung von AaR auf die Initiative von Elias Perabo zurück. Es heißt, Perabo sei 2011 – als der Konflikt in Syrien begann – wiederholt durch Syrien gereist und habe Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Gruppen aufgenommen. Es heißt, er habe aktiv bei der Gründung der "Lokalen Koordinationskomitees" mitgeholfen. AaR sei als "deutsch-syrische" Initiative entstanden, so die Selbstdarstellung. Diese "Lokalen Koordinationskomitees" gehörten ebenso wie die "Generalkommission der Syrischen Revolution" (SRGC) und das "Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel" dem Beirat an. Alle diese Organisationen haben sich inzwischen verändert, anderen Organisationen angeschlossen oder aufgelöst. Unklar ist, ob der Beirat überhaupt noch aktiv ist. Auf deutscher Seite gehörte die Frankfurter Hilfsorganisation medico international und verschiedene Gruppen der Friedensbewegung dem Beirat an. Von Anfang an haben bundesweite Medien wie die Berliner Tageszeitung (taz) oder auch der Deutschlandfunk (DLF) über den Verein berichtet und ihn bekannt gemacht. Unterstützung kam von der Partei Die Grünen/Bündnis 90 und Teilen der Partei Die Linke.

Welche Positionen vertritt diese Organisation hinsichtlich des Syrien-Konflikts?

Ursprünglich ging es um die Unterstützung gewaltfreier Oppositionsgruppen. Doch ein syrisch-kurdischer Vertreter im Beirat, Ferhad Ahma, wurde Ende 2011 Sprecher des "Syrischen Nationalrates" in Deutschland. Das war der politische Arm der "Freien Syrischen Armee" (FSA), die natürlich bewaffnet kämpften. Ahma, der seit 1996 in Deutschland lebt und auch Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen ist, war damals sehr häufig in Funk und Fernsehen zu hören. Im Februar 2012 forderte er verschärfte Sanktionen gegen Syrien, die Ausweisung des syrischen Botschafters aus Deutschland, und im Dezember 2012 forderte er "effiziente und bessere Waffen" für die Opposition. Das hat etliche in der Friedensbewegung sehr irritiert.

AaR hat von Anfang an für einen bestimmten Teil der syrischen Oppositionellen Partei ergriffen. Das waren diejenigen, die mit der Türkei und Europa kooperierten und auch der Muslim Bruderschaft nahe stehen. Das ist eine in Syrien verbotene Organisation des politischen Islam. Der "Syrische Nationalrat" mit Sitz in Istanbul, bestand mehrheitlich aus Vertretern der syrischen Muslim Bruderschaft. Sie eröffneten ein Büro in Istanbul, mit Unterstützung der türkischen Regierung von Recep Tayyip Erdogan. Dessen führende Partei "Gerechtigkeit und Aufschwung" (Adalet ve Kalkinma Partisi) ist eine Schwesterpartei der (arabisch-sunnitischen) Muslim Bruderschaft. Erdogans Ziel bis heute ist es, die syrische Muslim Bruderschaft in die syrische Regierung zu hieven.

Viele der Muslim Bruderschaft haben sich im Laufe des Krieges extremistischen salafistischen Gruppen angeschlossen, oder Gruppen, die aus "Al Qaida im Irak" entstanden und sich später "Nusra Front" oder "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" nannten. Bereits im August 2012 gab es eine Analyse des Geheimdienstes des Pentagon (DIA), die im Mai 2015 bekannt wurde. Darin heißt es zur allgemeinen Entwicklung in Syrien unter Punkt B) "Die Salafisten, die Muslim Bruderschaft und Al Qaida im Irak (AQI) sind die treibenden Kräfte des Aufstandes in Syrien". Möglicherweise haben Perabo und AaR diese Entwicklung nicht wahrgenommen oder absichtlich ignoriert. Sie haben meist die Forderungen, die von ihren Partnergruppen aus Syrien an sie herangetragen wurden, in Deutschland verbreitet. Zum Beispiel "Sturz des Regimes" oder des "Diktators Bashar al Assad", Flugverbotszonen, den Vorwurf, die syrische Armee habe Giftgas eingesetzt. Man müsse "die junge syrische Zivilgesellschaft beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft" unterstützen, heißt es in der Selbstdarstellung.  

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk im November 2017 sagte Perabo, es gehe bei der Arbeit seines Vereins um "hingucken, beschäftigen, intervenieren". Man müsse sich "mit den Möglichkeiten des Umsturzes befassen". Eine klare Aussage.

Wie fiel die Resonanz auf AaR innerhalb der Friedensbewegung aus?

Gruppen der Friedensbewegung waren zunächst begeistert und unterstützten die Arbeit auch als Mitglieder im Beirat. Doch es gab schon früh auch Zweifel. Kritisiert wurde der Ansatz, eine Revolution "adoptieren" zu wollen. Auch die Rolle der syrischen Oppositionsgruppen, mit denen AaR kooperierte, wurde hinterfragt. Die "Lokalen Koordinationskomitees", Partner von AaR, kooperierten mit der "Freien Syrischen Armee", wie auch der ebenfalls im Sommer 2011 gegründete "Syrische Nationalrat". Damit wurde die Erklärung, man wolle "gewaltfreien, zivilen Widerstand" unterstützen, unglaubwürdig. Als Ferhad Ahma dann "effiziente und bessere Waffen" für die Oppositionellen forderte, kam es reihenweise zu Distanzierungen und Rücktritten. Es gab schriftliche Kritik und immer wieder Debatten um die Glaubwürdigkeit von AaR. Die Diskussion führte zu einer Spaltung der Friedensbewegung, und der Frage, wie man sich zu dem Krieg in Syrien verhalten soll. Vertreter und Vertreterinnen der Parteien Die Grünen/Bündnis 90 und der Partei Die Linke, auch die in der Friedensbewegung sehr angesehene Hilfsorganisation medico international oder die Bewegungsstiftung, arbeiten weiter mit AaR zusammen. 

Welche Kreise unterstützen AaR?

Je mehr sich Gruppen der Friedensbewegung zurückzogen, desto intensiver wurde die Unterstützung und Förderung durch die Bundesregierung und große Medien. Dem Jahresbericht 2017 ist zu entnehmen, dass neben rund 2500 Spenderinnen und Spendern auch staatliche Institutionen und nicht staatliche Organisationen zu den Förderern gehören. Darunter das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), "Engagement Global“, eine Gesellschaft mit Sitz in Bonn, die im Auftrag der Bundesregierung arbeitet, und aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert wird. Heinrich-Böll-, Rosa-Luxemburg- und die Bewegungsstiftung spenden ebenfalls, sowie Brot für die Welt und der Evangelische Entwicklungsdienst. Ein Projekt in der östlichen Ghuta von Damaskus (in Duma) wurde demnach aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und von medico international ko-finanziert. Durch die Vernetzung mit bundesweiten Medien, auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ist AaR in Deutschland gut bekannt.

Wie reagierte AaR auf Kritik am eigenen Programm?

Kritik wurde mit Angriffen und Diffamierung quittiert. Vor der Einigung um Aleppo Ende 2016 hatten westliche Staaten, Hilfsorganisationen und Medien massiv vor einer Katastrophe für die "Rebellen" und die Zivilbevölkerung in Ostaleppo gewarnt. AaR organisierte im Dezember 2016 vor der russischen Botschaft in Berlin einen Protest "gegen die russischen Kriegsverbrechen in Ost-Aleppo".

Daraufhin meldeten sich Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates von attac, dem Globalisierungskritischen Netzwerk zu Wort.  Sie forderten AaR zu einer "öffentlichen Debatte über den tatsächlichen Hergang des Syrienkonflikts auf". Russland und Iran hätten "alle Möglichkeiten für eine diplomatische und friedliche Lösung des Konfliktes ausgeschöpft" hieß es da. Erst als das scheiterte, hätten sie militärisch eingegriffen und "den Krieg in Aleppo vorerst beendet." Es sei "absurd", Russland zu verurteilen und gleichzeitig die lange geplante Intervention des Westens in Syrien auszublenden. Innerhalb von linken und friedensbewegten Gruppen kreisten der attac-Text und ein Antwortschreiben von AaR. Eine öffentliche Debatte mit AaR gab es fast nirgends. Bis auf wenige Ausnahmen nahm der Verein keine Einladung dazu an.

In dieser Zeit, also Anfang 2017, begann Elias Perabo massiv gegen die Friedensbewegung und gegen die Linke zu polemisieren. Er nutzte dafür seinen Zugang zu Funk und Fernsehen, und schrieb in der taz, in der ZEIT und anderen Zeitungen gegen die "Pseudopazifisten". Die Friedensbewegung sei unglaubwürdig, die deutsche Linke sei schuld daran, dass der Westen in Syrien "dramatisch versagt" habe. Während der militärischen Offensive auf die östliche Ghuta (Anfang 2018) prangerte AaR die Friedensbewegung an: "700 Zivilisten wurden in einer Woche (in Ostghuta) durch russische und syrische Bomben getötet“ hieß es in einer Twitter-Nachricht. Man habe mal "nachgeschaut", was "zentrale Akteure" der deutschen Friedensbewegung dazu gesagt hätten. Dann folgte ein Schaubild mit der Überschrift "Statements zentraler Akteure der deutschen Friedensbewegung zum Krieg in Ost-Ghota" mit der Auflistung: "IPPNW: 0/Attac: 0/ Bundesweiter Friedensratschlag: 0/ Pax Christi: 0." Manche meinten, sich rechtfertigen zu müssen, andere ignorierten die Angriffe. Die interne Spaltung der Friedensbewegung verfestigte sich.

Als Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, die Entscheidung der Bundesregierung kritisierte, "Weißhelme" und deren Familien in Deutschland aufzunehmen, sozusagen mit einem Ticket 1. Klasse, ihnen also auch die Einbürgerung zu ermöglichen, reagierte Perabo in vielen Zeitungen. Auch die "sozialistische Tageszeitung" Neues Deutschland räumte Perabo Platz für seine Polemik ein. Wer die Weißhelme, die "Helfer als Kriminelle diffamiert, betreibt eine ähnliche Hetze gegen Verfolgte und Asylsuchende, wie AfD und CSU", so Perabo. Die Kritik von Hänsel sei "schäbig".

In Syrien werden Friedensinitiativen, hinter der die Regierung in Damaskus und russische Vermittler stehen, immer stärker. Wie reagiert AaR auf diese Entwicklung?

Nach dem, was auf der Webseite zu finden ist, sind lokale Friedensinitiativen, oder die enorme Arbeit des russischen "Zentrums für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien" (Hmeimin), überhaupt kein Thema für AaR. Man findet stattdessen Hinweise auf Freitagsdemonstrationen in Idlib, ähnlich wie es schon zu Beginn des Konflikts 2011 war. Die Bilder, die von solchen Protesten veröffentlicht werden, sind nicht zu überprüfen. Man fordert schärfere Sanktionen gegen Russland, damit Moskau auf den syrischen Präsidenten Assad einwirkt. Man fordert die strafrechtliche Verfolgung von syrischen Beamten und Regierungsverantwortlichen, und mehr Hilfe für die Gebiete unter Kontrolle der Opposition in Idlib, wo AaR Projekte unterstützt. Das gilt auch für Gebiete östlich des Euphrat, die unter Kontrolle der syrischen Kurden und der US-geführten "Anti-IS-Allianz" stehen.

Man könnte AaR und andere "humanitäre Akteure" auch als "zivilen Arm der westlichen Interventionspolitik in Syrien" bezeichnen. Die zivil-militärische Zusammenarbeit ist ein NATO-Projekt und bedeutet, dass militärische Strukturen eng mit zivilgesellschaftlichen Gruppen kooperieren. Damit spaltet man nicht nur die Gesellschaft in den Zielstaaten und schwächt die dortigen Regierungen und deren Bündnispartner, man wirkt auch auf möglichen Widerspruch im eigenen Land ein. Die Attacken und Polemiken, die von AaR gegen Zweifler, Skeptiker und Kritiker aus den Reihen der deutschen Friedensbewegung, von attac und anderen veröffentlicht wurden, reihen sich in ein altes Konzept ein: Teile und herrsche.

Vielen Dank für das Gespräch!

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