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Neutralität geht anders: OPCW-Chef übte Schulterschluss mit führenden US-Geostrategen

Der Generaldirektor der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), Ahmet Üzümcü, weilte vom 18. bis 20. Juni in Washington. Das einflussreiche US-Think Tank CSIS hatte ihn eingeladen. Seine dort getroffenen Aussagen verstärken Zweifel an seiner Unabhängigkeit.
Neutralität geht anders: OPCW-Chef übte Schulterschluss mit führenden US-GeostrategenQuelle: Reuters

von Erik Frisch

Ahmet Üzümcü hielt seinen Vortrag vor einem ganz speziellen Publikum. Denn der vor über 50 Jahren gegründete US-Think Tank Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) beeinflusste maßgeblich die US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte.

Der Präsident des CSIS ist der frühere stellvertretende US-Verteidigungsminister John Hamre. Im Aufsichtsrat sitzen Angehörige des Verteidigungsministeriums, Investmentbanker, Vertreter von Wirtschaftsunternehmen, ehemalige Regierungsangehörige wie Henry Kissinger, William Cohen und Brent Scowcroft, zu Lebzeiten auch Zbigniew Brzeziński und James R. Schlesinger. Es handelt sich hier um das intellektuelle Herzstück der geopolitischen Strategiebildung der Vereinigten Staaten.

Mit diesem Schritt verletzte Üzümcü demonstrativ die gebotene Neutralität seiner Organisation und übte den Schulterschluss mit jenen Kräften in den USA, die eine aggressive Politik gegenüber Russland verfolgen.

Der Titel seines Vortrags vor der illustren Runde lautete: „Rechenschaftspflicht für die Anwender chemischer Waffen: Der Einsatz von chemischen Waffen muss wieder beschränkt werden.”

Laut der OPCW sprach Üzümcü über „eine Reihe von jüngsten Vorfällen mit chemischen Waffen auf der ganzen Welt“. Wenn von „jüngsten Vorfällen“ die Rede ist, so kann es sich nur um Ereignisse in Syrien und den Fall Skripal handeln.

Üzümcü forderte ein härteres Vorgehen gegen den Einsatz von Chemiewaffen. Er erklärte: „Die jüngsten Ereignisse unterstreichen die Notwendigkeit einer umfassenden Reaktion, wenn Fälle von Chemiewaffeneinsätzen bekannt werden.“

Im Klartext machte er deutlich, dass er ein neues Format für die Zuständigkeiten der OPCW will. Dieser Wunsch ging wenige Tage später in Erfüllung. Auf der Sondersitzung der OPCW in Den Haag am 27. Juni beantragte der britische Außenminister Boris Johnson, dass die OPCW die Schuldigen für einen Giftgaseinsatz benennen solle.

Bisher war die Organisation nur autorisiert, aufzuklären, ob Giftgas eingesetzt wurde und um welche Substanz es sich dabei handelte. Von den 193 Vertragsstaaten stimmten 82 für den britischen Antrag, 24 dagegen, 87 enthielten sich. Damit erhielt der Antrag die nötige Mehrheit.

Der (angebliche) Einsatz der Chemiewaffe Nowitschok im Fall der Familie Skripal zeigt exemplarisch die Gefahren von falschen Beschuldigungen auf. London macht Russland dafür verantwortlich, konnte dafür bislang aber keinerlei Belege vorlegen. Dennoch folgten die NATO-Partner dem Beispiel der britischen Regierung und wiesen russische Diplomaten aus.

Schuldspruch ohne Beweise: Präzedenzfall Chan Scheichun

Mit ihrem neuen Mandat könnte die OPCW solchen Vor-Verurteilungen einen Anstrich von Legalität verschaffen – ohne ein Gerichtsverfahren. Es gibt bereits einen solchen Präzedenzfall: Ein gemeinsames Untersuchungsteam der Vereinten Nationen und der OPCW - der Joint Investigative Mechanism (JIM) - hatte den Auftrag, die Urheber des Giftgaseinsatzes im syrischen Chan Scheichun im April 2017 zu benennen, bei dem über 80 Menschen getötet wurden.

In ihrem im Oktober 2017 veröffentlichten Bericht kamen die JIM-Ermittler zu dem Schluss, dass die syrische Armee für die Tat verantwortlich war. Doch das Untersuchungsteam ermittelte aus Sicherheitsgründen nie vor Ort, da die Region von der zu Al-Kaida gehörenden Al-Nusra-Front kontrolliert wurde. Zugleich beriefen sich die Ermittler auf eben jene Dschihadisten und deren Hilfskräfte wie die berüchtigten Weißhelme als Quellen für ihren Schuldspruch. Zudem mussten sie eingestehen, dass eine Beweismittelkette nicht eingehalten wurde, die angeführten Beweismittel somit von jedem rechtsstaatlichen Gericht für nichtig erklärt worden wären.

Die Ermittler unterließen es darüber hinaus, Hinweisen nachzugehen, die gegen die Täterschaft der syrischen Regierung und für eine Inszenierung durch die Terroristen sprachen. Und während Letztere Beweismittel am mutmaßlichen Tatort vorsorglich vernichteten, kooperierte Damaskus vollständig mit dem JIM-Team - doch das hatte sich offenbar schon im Vorhinein auf die syrische Regierung als Schuldigen festgelegt.

Durch den Schuldspruch ohne Beweise seitens der OPCW-Ermittler sah Washington seine Militärschläge im Nachhinein legitimiert. Aufgrund der einseitigen und gegen gängige Ermittlungsstandards verstoßenden Arbeitsweise des JIM legte Russland im November 2017 ein Veto im UN-Sicherheitsrat gegen deren Mandatsverlängerung ein.

Auch nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz Anfang April dieses Jahres in Duma, bei dem vieles für eine Inszenierung durch die islamistischen Aufständischen spricht, griffen die USA gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien syrische Einrichtungen als Vergeltungsmaßnahme aus der Luft an. Anhand der Erfahrung von Chan Scheichun steht zu befürchten, dass die OPCW nun mit ihrem neu ausgestatteten Mandat auch im Fall Duma trotz aller gegenteiligen Beweise der syrischen Regierung die Schuld zuschiebt und damit weitere Militärschläge legitimiert.

Mehr zum Thema - UN-Inspekteur Scott Ritter: USA erfanden Duma-Vorfall, um Syrien angreifen zu können

Gern gesehener Gast in Washington

Angesichts der Bereitschaft der OPCW, trotz fehlender Beweislage die syrische Regierung für den Giftgaseinsatz verantwortlich zu machen, war Üzümcü in Washington ein gern gesehener Gast. Der stellvertretende Minister des US-Außenministeriums, John J. Sullivan, informierte sich aus erster Hand über seine Vorschläge. Desgleichen tauschte Üzümcü mit Julie Bentz, der stellvertretenden Direktorin der Abteilung zu Biologischen Waffen des Nationalen Sicherheitsrats der USA, seine Gedanken über ein effektiveres Aktionsformat der OPCW aus.

Leider nahm der OPCW-Chef nicht die Gelegenheit wahr, bei seinen hochkarätigen Gesprächspartnern anzumerken, dass die USA doch bitte endlich ihren Bestand an rund 1.360 Tonnen Chemiewaffen beseitigen sollten, die sie immer noch lagern. Darüber drang zumindest kein Wort an die Öffentlichkeit. Hingegen bedankte er sich für die starke Unterstützung seiner Organisation durch die USA.

 

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