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Die Operationen Kiews sind zwar schlagkräftiger geworden, haben aber zu keinen Fortschritten geführt

Im Kampf um das Schwarze Meer setzte sich die Ukraine als Hauptziel die Eroberung der Krim, konnte aber in dieser Hinsicht keinerlei Erfolg erzielen. Mittlerweile kann ein Sieg nur durch eine ausgedehnte Landoperation gesichert werden. Was also kommt als Nächstes?
Die Operationen Kiews sind zwar schlagkräftiger geworden, haben aber zu keinen Fortschritten geführtQuelle: Sputnik © Stanislaw Krasilnikow

Von Wladislaw Ugolni

Die Gefahren in der Region des Schwarzen Meeres haben vergangene Woche ein neues Ausmaß erreicht, nachdem die ukrainische Luftwaffe am 20. und 22. September die russische Stadt Sewastopol angegriffen hatte. Der letzte dieser Angriffe traf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte und richtete großen Schaden an.

Alle Angriffe wurden von ukrainischen Flugzeugen vom Typ Su-24 durchgeführt, die mit französisch-britischen Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow bewaffnet waren. Aus Kiew kam die Verlautbarung, diese Angriffe seien Teil der "Operation Krabbenfalle" (Crab Trap), die derzeit gemeinsam von der ukrainischen Luftwaffe und von Spezialeinheiten des Landes durchgeführt werde.

Die ukrainische Seite behauptete zudem, bei den Angriffen seien 34 russische Militärangehörige getötet worden, darunter auch der Kommandeur der Schwarzmeerflotte, Wiktor Sokolow. Am 26. September erschien Sokolow jedoch bei einer Besprechung des russischen Verteidigungsministeriums, was somit die ukrainische Version der Ereignisse widerlegte. Dem offiziellen russischen Bericht zufolge galt zu dem Zeitpunkt ein russischer Militärangehöriger als vermisst.

Die Ukraine hat diese Angriffe lange im Voraus vorbereitet und geplant. Dabei wurden im Vorfeld Aufklärungsmissionen gegen die russischen Luftverteidigungssysteme gestartet, bei denen Drohnen zum Einsatz kamen. Sowohl der offizielle Sprecher in Kiew als auch inoffizielle "Quellen" betonen, dass die Zerstörung der Schwarzmeerflotte oder ihre Vertreibung von der Krim das strategische Ziel der Operation sei.

Auch wenn solche Ziele übertrieben ehrgeizig klingen – vor allem angesichts der Tatsache, dass es der Ukraine bisher nicht gelungen ist, den Landkorridor zwischen der Halbinsel und dem russischen Festland auch nur ansatzweise zu unterbrechen –, so tragen sie doch zu einer weiteren Eskalation des Konflikts bei.

Der Kontext des Konflikts im Schwarzen Meer

Nach der Wiedervereinigung der Krim mit Russland im Jahr 2014 verlor die Ukraine die Kontrolle über wichtige Infrastruktur in der Region des Schwarzen Meeres, die sie von der UdSSR geerbt hatte. Die ukrainische Schwarzmeerflotte, Einheiten der Küstenwache und die Marineinfanterie wurden in ihrer Mannschaftsstärke dezimiert, da die meisten, die auf der Halbinsel gedient hatten, zu den russischen Streitkräften übergingen. Diejenigen, die der Ukraine die Treue hielten, wurden für gewöhnlich nach Nikolajew und Odessa versetzt.

Trotz der Beteuerungen, die Krim zurückzuerobern, konzentrierten sich die ukrainischen Streitkräfte zunächst auf den Donbass, wo im Frühjahr 2014 ein bewaffneter Aufstand gegen die neuen Machthaber in Kiew ausbrach. Da die Ukraine über ein relativ niedriges Militärbudget verfügte, legte man den Schwerpunkt auf die Bodentruppen.

Dennoch verspürte Kiew das Bedürfnis, den verlorenen Einfluss in den wichtigen Regionen des Schwarzen und des Asowschen Meer auszugleichen. Im Jahr 2014 – unter Nutzung der Überreste der sowjetischen Militärproduktion, wie das Artem-Werk in der Hauptstadt, das Motorenwerk Motor Sich in Saporoschje und die Fabrik für Luftfahrzeuge in Charkow –  entwickelte und produzierte die Ukraine den Marschflugkörper Neptun. Acht Jahre später spielte dieser Marschflugkörper eine wichtige Rolle bei einem Angriff der Ukraine.

Wenige Wochen vor Beginn der russischen Militäroperation verminte die Ukraine ihren Küstenabschnitt, um die russische Schwarzmeerflotte an Landungsoperationen zu hindern. Die Ukrainer haben jedoch die Seeminen schlecht gesichert, sodass viele dieser Minen an die Küsten anderer Länder in der Region drifteten, wo es in der Folge auch zu Zwischenfällen mit Todesopfern unter der Zivilbevölkerung kam.

Ab dem 24. Februar 2022 wurde die Schwarzmeerregion zu einer der Hauptstoßrichtungen der russischen Offensive. Moskau übernahm die Kontrolle über die strategisch wichtige Schlangeninsel in der Nähe des Donaudeltas und der Kinburn-Nehrung. Die russische Armee konnte jedoch nicht die vollständige Kontrolle über die gesamte Infrastruktur in der Schwarzmeerregion einnehmen, einschließlich des Hafens und der Werft von Nikolajew, des Marinestützpunkts Ochakow, der Häfen des Ballungsraums Odessa und jenen an der Donau.

Dadurch behielt die Ukraine einen gewissen Einfluss in der Region und sammelte nach und nach genügend Kräfte für einen Gegenschlag. Am 14. April vergangenen Jahres versenkte die Ukraine den Raketenkreuzer Moskwa, das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte, mit einem Marschflugkörper vom Typ Neptun. Kurz darauf zog sich die russische Garnison von der Schlangeninsel zurück.

Anschließend kam es in der Region zu einer Phase der Deeskalation infolge der Schwarzmeer-Getreideinitiative, mit der eine globale Nahrungsmittelkrise verhindert werden sollte, indem der Export von ukrainischem und russischem Getreide sowie russischen Düngemitteln sichergestellt wurde. Im Rahmen des Abkommens wurde Kiew verpflichtet, den Schwarzmeer-Korridor und die Hafeninfrastruktur nicht für militärische Zwecke zu nutzen, und die Vereinten Nationen mussten sicherstellen, dass russische Waren Zugang zu internationalen Märkten haben.

Im Juli dieses Jahres kam es dann zum abrupten Ende des Getreideabkommens. Nachdem die Ukraine mehrere Angriffe in Richtung Krim lanciert hatte und Russland – trotz des Abkommens – mit Problemen beim Export seines Getreides und seiner Düngemittel konfrontiert war, kündigte Moskau an, sich nicht mehr an der Getreideinitiative zu beteiligen. Garantien für eine sichere Schifffahrt im Schwarzen Meer wurden zurückgezogen und die nordwestlichen Gewässer des Meeres zum Gefahrengebiet erklärt, während beide Länder Warnungen an die Schifffahrt herausgaben. Danach begann die Situation in der Region zunehmend zu eskalieren.

Der geostrategische Wert der Region

Ein erheblicher Teil der Importe und Exporte der Ukraine läuft über die Häfen der Agglomeration Odessa. Diese wurden für Kiew daher zur letzten geeigneten Option, insbesondere nachdem das Land die Kontrolle über Mariupol verloren hatte. Diese Häfen könnten auch für eine effizientere und kostengünstigere Lieferung von Waffen auf dem Seeweg sowie für die hypothetische Anlandung eines ausländischen Militärkontingents verwendet werden. Dasselbe gilt für die Hafeninfrastruktur am ukrainischen Ufer der Donau.

Zwischen der Krim und Odessa gibt es Öl- und Gasvorkommen. Die Infrastruktur für deren Förderung gehörte dem ukrainischen Öl- und Gasunternehmen Chernomorneftegaz, bis im März 2014 Russland die Kontrolle über diese erlangte. Nach Kriegsausbruch wurden die als "Boyko Türme" bekannten Bohrinseln zur Positionierung elektronischer Kampfmittel eingesetzt. Am 13. September 2023 gab die Hauptdirektion für Geheimdienste der Ukraine bekannt, dass die Ukraine die Türme erobert habe.

Für Russland ist die Kontrolle über die Krim und Sewastopol von entscheidender Bedeutung, um seinen Einfluss im Schwarzen Meer aufrechtzuerhalten. Hier befindet sich die Hauptinfrastruktur der Schwarzmeerflotte und ihr Kommando. Darüber hinaus wurde die Krim nach Beginn der Feindseligkeiten im Februar 2022 zu einem wichtigen Knotenpunkt der Logistik und zum rückwärtigen Raum für die in den Regionen Cherson und Saporoschje im Einsatz stehenden russischen Truppen.

Die ukrainische Präsenz in der Region

Die Ukrainer begannen im Sommer 2022 mit den Angriffen gegen die Krim. Am 31. Juli warfen sie mithilfe eines unbemannten Luftfahrzeugs einen Sprengsatz auf das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte in Sewastopol ab. Die zunächst seltenen Angriffe, die hauptsächlich Aufsehen im Informationsraum auslösen und der Propaganda dienen sollten, wurden allmählich häufiger. Auch das Spektrum der für die Angriffe eingesetzten Waffen weitete sich aus. Am 29. Oktober lancierte die Ukraine einen kombinierten Angriff mit Luft- und Seedrohnen auf Sewastopol.

Nachdem die ukrainischen Streitkräfte Marschflugkörper von NATO-Staaten erhalten hatten, setzten sie diese umgehend bei ihren Operationen ein. Mit ähnlichen Taktiken, wie sie die russischen Streitkräfte anwenden, überlasteten die Ukrainer die russischen Luftverteidigungssysteme durch den kombinierten gleichzeitigen Abschuss billiger Drohnen und hoch entwickelter Marschflugkörper.

Der jüngste "Erfolg" der Ukraine war der Angriff auf das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte am vergangenen 22. September. Dies zeigte die Fähigkeit der Ukraine, strategisch wichtige Objekte auf der Krim anzugreifen. Natürlich war das Kommando der russischen Schwarzmeerflotte nicht so leichtsinnig, in diesem Gebäude, das jedem bekannt ist, zu operieren, sondern operiert an einem anderen, geheimen Ort. Aber der Vorfall wurde von der russischen Öffentlichkeit dennoch äußerst negativ wahrgenommen.

Die Ukraine hat ihre Bereitschaft gezeigt, sogar terroristische Methoden zur Zerstörung von Infrastruktur auf der Krim anzuwenden. In vergangenen Sommer gab der Chef des Sicherheitsdienstes der Ukraine zu, dass sein Dienst an jenem Terroranschlag auf die Krim-Brücke beteiligt war, bei dem als Fracht getarnter Sprengstoff in einem Lastwagen mitten auf der Brücke zur Explosion gebracht wurde. Bei dem Anschlag kamen fünf Zivilisten ums Leben, darunter auch der ahnungslose Fahrer des Lastwagens.

Das Ziel der ukrainischen Angriffe

Das Ziel der Angriffe auf die Krim wurde am deutlichsten vom ehemaligen Präsidentenberater Aleksei Arestowitsch zum Ausdruck gebracht:

"Wir werden so lange zuschlagen, bis wir sie erledigt haben, bis wir diese Aufgabe erledigt haben. Die Krim ist ein Stützpunkt im Hinterland mit fünf Militärflugplätzen, sowie riesigen Munitions- und Treibstofflagern. All dies sollte zerstört werden und die gesamte Schwarzmeerflotte sollte nicht mehr auf der Krim stationiert sein. Der Hafen von Noworossijsk ist zwar eine Option für sie, aber wir werden auch nach Noworossijsk gehen. Wenn sie sich nach Noworossijsk zurückziehen, werden wir sie auch dort erwischen."

Die Ukrainer haben wiederholt erklärt, ihr Ziel sei die Besetzung der Halbinsel Krim. Die Offensive im Gebiet Saporoschje, die den Landkorridor zur Krim durchbrechen sollte, scheiterte jedoch ohne den geringsten taktischen Erfolg – die ukrainische Armee konnte bisher nur das zerstörte Dorf Rabotino einnehmen.

Daher blieben die großen und gut geplanten Angriffe vom August und September losgelöst von den Aktionen der ukrainischen Bodentruppen. Dies machte sie somit weniger wirksam, da die Angriffe auf das Hauptquartier und die Infrastruktur der russischen Flotte nicht mit der angekündigten "Schlacht um die Krim" zusammenfielen. Anstatt im russischen Hinterland Panik zu säen und die russische Militärführung unter Druck zu setzen, erfolgten die Angriffe auf die Krim zu einem Zeitpunkt, als die ukrainische Gegenoffensive kurz davor stand, im aufgeweichten Boden steckenzubleiben.

Russlands Aktionen

Es versteht sich von selbst, dass die Angriffe der Ukraine das Potenzial Russlands in der Region nicht wesentlich beeinträchtigt haben. Erstens hatten sie nur geringe Auswirkungen auf die Logistik und die russischen Streitkräfte nutzen die Krim weiterhin als Stützpunkt für ihre entlang des Dnjepr und in der Region Saporoschje im Einsatz stehenden Verbände.

Um das Risiko eines weiteren Terroranschlags auf die Krim-Brücke zu verringern, wird außerdem eine Eisenbahnstrecke entlang der Nordküste des Asowschen Meeres geplant. Das Projekt ist nicht nur aus militärischer Sicht vorteilhaft, sondern hat auch ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial nach dem Ende der Feindseligkeiten.

Zweitens ist Russland in der Lage, der ukrainischen Infrastruktur in der Schwarzmeerregion größeren Schaden zuzufügen. Regelmäßige Angriffe auf Militäreinrichtungen in Odessa und Umgebung sind aufgrund der ukrainischen Zensur, die das Aufnehmen und Veröffentlichen von Videos russischer Angriffe gesetzlich verbietet, schwer einzuschätzen. Dennoch sind im Internet Aufnahmen von explodierender und zerstörter Infrastruktur aus dieser Gegend zu finden.

Drittens zerstört Moskau weiterhin ukrainische Flugzeuge, darunter jene vom Typ Su-24, die westliche Marschflugkörper tragen und abfeuern können. Die Russen sind zudem fortlaufend am Auskundschaften, wo sich Lagerhäuser befinden könnten, in denen diese Marschflugkörper gelagert werden um sie anschließend zu zerstören. Zudem werden auch immer noch ukrainische Militärflugplätze angegriffen.

Was können wir in Zukunft erwarten?

Im Laufe der vergangenen anderthalb Jahre seit Beginn der Militäroperation ist die Ukraine in der Schwarzmeerregion handlungsfähiger geworden und ist schrittweise von einer rein defensiven zu einer offensiven Taktik übergegangen. Möglich wurde dies durch ausländische Hilfe und den Transfer moderner Waffen, mit denen der rückwärtige Raum des russischen Militärs angegriffen werden kann.

Beide Seiten greifen die militärische Infrastruktur der jeweils anderen Seite an, ohne dabei die Streitkräfte des Gegners vollständig vernichten zu können. Während sich die Ukraine jedoch nur auf diese Region konzentriert, ist der Handlungsspielraum Russlands umfassender – es zerstört weiterhin militärische Einrichtungen entlang der gesamten Frontlinie und kann Druck auf den strategischen Rücken im Norden und Nordosten der Ukraine ausüben.

Mittlerweile kann ein Sieg nur durch eine ausgedehnte Landoperation gesichert werden – irgendwann wird entweder die russische Flagge nach Odessa zurückkehren oder die ukrainische Flagge über Sewastopol wehen. Andernfalls wird die Region einer weiteren Eskalation und ständigen Bedrohungen, einschließlich Terroranschlägen, ausgesetzt sein.

Aus dem Englischen.

Wladislaw Ugolni ist ein russischer Journalist aus Donezk.

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