Das pragmatische Machtspiel des indischen Premiers Modi beim Staatsbesuch in den USA
Von Kanwal Sibal
Indien wird von den USA unter Präsident Joe Biden geopolitisch und geoökonomisch umworben, was nicht wirklich zu erwarten war. Premierminister Narendra Modi wurde zu einem Staatsbesuch in die USA eingeladen, mit all dem daraus resultierenden Pomp, und durfte bereits zum zweiten Mal eine Rede vor dem US-Kongress halten, was eine sehr seltene Ehre ist.
Die Beziehungen zwischen Indien und den USA vertiefen sich zunehmend. Die USA sind zu Indiens größtem Handelspartner für Waren und Dienstleistungen geworden, die Beziehungen im Bereich der Verteidigung haben sich ausgeweitet, US-Investitionen in Indien nehmen zu, und Beziehungen auf persönlicher und menschlicher Ebene verbinden die beiden Gesellschaften weiterhin miteinander. In vielerlei Hinsicht sind die weitreichenden Beziehungen Indiens zu den USA mit keinem anderen Land vergleichbar.
Dies ist alles nicht überraschend, nachdem die USA immer noch die größte Volkswirtschaft der Welt sind, das globale Finanzsystem im Griff haben und der US-Dollar vorerst noch die wichtigste Reservewährung der Welt bleibt. Darüber hinaus dominieren die USA die globalen Finanzinstitutionen, wenden die eigenen Gesetze exterritorial an, nutzen einseitige Sanktionen als Waffe, verfügen über fortschrittliche Technologien und sind die führende Militärmacht der Welt. Die USA haben ihre Politik in der Region rund um Indien, die zuvor stark auf Pakistan ausgerichtet gewesen war, angepasst und den Bereich der Differenzen eingegrenzt. Das Atomabkommen zwischen Indien und den USA im Jahr 2005 hatte den jahrzehntelangen Druck der USA auf Indien wegen seiner strategischen Atom- und Raketenprogramme gelöst.
In der jüngsten Vergangenheit ist jedoch nichts Außergewöhnliches vorgefallen, das erklären würde, weshalb Modi dermaßen überschwänglich bejubelt wurde und die Geigen für vertiefte Beziehungen zwischen Indien und den USA erklangen. In Wirklichkeit wurde Indien von den USA und von westlichen NGOs in Fragen der Menschenrechte und der Demokratie unerbittlich angegriffen. Die Mainstream-Medien der USA haben in dieser Angelegenheit ein sehr negatives Narrativ über Indien verbreitet, wobei das Land in den Jahresberichten des US-Außenministeriums in Bezug auf die Verfolgung von Minderheiten und der Einschränkung der Pressefreiheit ebenfalls scharf kritisiert wurde.
Trotz des Widerspruchs Indiens haben sich die US-Politiker das Recht vorbehalten, solche Themen "freundschaftlich" zur Sprache zu bringen und gleichzeitig ihre eigenen Defizite anzuerkennen. Es bleibt somit die Frage, warum die USA, wenn sie akzeptieren, dass ihre eigene Demokratie Mängel aufweist, sich nicht zuerst darum kümmern, bevor sie dann mit dem Finger auf Indien zeigen. Das Eingeständnis der eigenen Fehler wird in diesem Falle bloß als diplomatischer Trick genutzt, um die Frage der Menschenrechte in Indien auf die Tagesordnung zu setzen und so die sogenannten progressiven Elemente in der Demokratischen Partei zufriedenzustellen, die Indien in Fragen der Demokratie und der Rechte für Minderheiten im Rahmen eines größeren Ganzen herausfordern wollen.
Die Regierung Biden hat offensichtlich beschlossen, dieses negative Narrativ in Sachen Indien zu ignorieren und seinen größeren geopolitischen und geoökonomischen Interessen Vorrang einzuräumen. Biden lobte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Modi die Demokratie Indiens und erklärte, dass Demokratie Teil der DNA beider Länder sei. Das war bemerkenswert, wird aber den Angriffen von Aktivisten und Organisationen auf Indien wahrscheinlich kein Ende bereiten. Es ist zu erwarten, dass angesichts der Spaltungen innerhalb des politischen Systems der USA diese unangenehme Unterströmung in den bilateralen Beziehungen anhalten wird.
Selbst im Verteidigungsbereich hätten die USA Grund zur Enttäuschung haben können, weil sie keinen Vertrag über die Lieferung von Kampfflugzeuge für Indiens neuen Flugzeugträger abschließen konnten. Abgesehen davon widersetzt sich Indien dem Druck, seine "übermäßige Abhängigkeit" von russischer Verteidigungsausrüstung zu verringern und die Verteidigungsbeziehungen zu Moskau im Allgemeinen zu verwässern. Die mangelnde Bereitschaft Neu-Delhis, die militärische Intervention Russlands in der Ukraine bei den Vereinten Nationen und anderswo zu verurteilen, während gleichzeitig gigantische Mengen an russischem Öl aufgekauft werden, waren ebenfalls Gegenstand von Vorwürfen aus der geostrategischen Gemeinschaft der USA.
Zu diesen umstrittenen Themen hat die Biden-Administration nun eine pragmatischere Position eingenommen und aufgehört, Indien offen zu einer Änderung seiner Haltung zu drängen. Der Nationale Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan hat diesen realistischeren Ansatz vorangetrieben und akzeptiert nun, dass Indien seine langjährigen Beziehungen zu Russland kurzfristig nicht abbauen wird, sondern dass dies ein Vorhaben ist, das noch einen langen Weg vor sich hat.
Die Strategie besteht offensichtlich darin, Indien zunehmend näher an die USA heranzuführen, in der Erwartung, dass sich Indiens Beziehungen zu Russland dadurch lockern. Auf jeden Fall hat Indien seine Strategie nie auf die Etablierung einer Parität in seinen Beziehungen zu Russland und den USA gestützt. Die Beziehungen zu beiden Ländern basieren nicht auf einem künstlichen Ausgleich, sondern auf nationalen Interessen und dem Potenzial der Beziehungen, die Indien mit verschiedenen wichtigen Partnern pflegt.
Russland wird für Indien immer ein wichtiger geopolitischer und geoökonomischer Partner bleiben, sowohl aus strategischen Überlegungen als auch als asiatisches Land, in einer Zeit, in der Eurasien im internationalen Machtgleichgewicht an Stärke gewinnt und eine multipolare Welt zu entstehen beginnt.
In der gemeinsamen Erklärung mit den USA beschränkte sich Indien in seiner Sprachregelung zum Ukraine-Konflikt auf seinen bekannten Standpunkt, ohne dabei Russland zu erwähnen, geschweige denn zu verurteilen. Beide Seiten äußerten ihre tiefe Besorgnis über den Konflikt in der Ukraine mit seinen tragischen humanitären Folgen sowie über seine Auswirkungen auf das globale Wirtschaftssystem. Bedenken wie Nahrungsmittel-, Treibstoff- und Energiesicherheit sowie jene bei den kritischen Lieferketten wurden mit der Aufforderung angesprochen, die Folgen des Ukraine-Konflikts abzumildern – insbesondere in den Entwicklungsländern.
In seiner Ansprache vor dem US-Kongress wies Modi darauf hin, dass mit dem Ukraine-Konflikt der Krieg nach Europa zurückgekehrt sei, was in der Region großes Leid verursache, dass Großmächte darin verwickelt seien und dies schwerwiegende Folgen auf der ganzen Welt nach sich ziehen werde, wobei Länder im globalen Süden besonders davon betroffen sind.
Das derzeitige Werben der USA um Indien beinhaltet viele Elemente. Technologie ist zu einem wichtigen Bereich der Zusammenarbeit geworden. Die von beiden Ländern vorangetriebene iCET (Initiative für kritische und aufkommende Technologien) und INDUS-X (Indisch-amerikanisches Ökosystem zur Beschleunigung im Verteidigungsbereich) zielen darauf ab, die Stärken der USA und jene Indiens zu bündeln, um diese Technologien zu entwickeln und belastbare und vertrauenswürdige Lieferketten zu etablieren, zweifellos auch mit Blick auf die Herausforderung China.
Für Indien ist es weniger der chinesische Aspekt als vielmehr die Notwendigkeit einer Partnerschaft mit der US-amerikanischen Industrie, der Forschung und den akademischen Einrichtungen zu Technologien wie 5G/6G, Quantentechnologie, Hochleistungstechnologien im IT-Bereich, Halbleitern und so weiter. Indien benötigt diese Technologien für seine eigene wirtschaftliche Entwicklung.
China spielt in den Berechnungen der USA bei seiner Indienpolitik sicherlich eine große Rolle, auch wenn Peking auf offizieller Ebene nicht namentlich als Bedrohung erwähnt wird. Die USA und China schlagen einen konfrontativeren Kurs ein, nicht nur in der Frage von Taiwan, sondern auch wegen der Herausforderung für die Vormachtstellung der USA im globalen System, die von einem aufstrebenden China ausgeht. Auch hat Indien gewisse Probleme mit China an seiner Grenze, wo sich auf beiden Seiten rund 50.000 Soldaten im Himalaya gegenüberstehen. In Neu-Delhi nimmt man an, dass China eine Hegemonie in Asien anstrebt und damit den Aufstieg Indiens eindämmen will.
Das indopazifische Konzept – das Quad-Format (ein quatrilateraler Sicherheitsdialog) – und die jährlich stattfindenden Seekriegsübungen unter Teilnahme der USA, Indien, Japan und Australien sollen das abschrecken, was diese vier Länder als ein selbstbewusstes und expansives China wahrnehmen. Dennoch hielt Indien seine Territorialfragen mit China aus der gemeinsamen Erklärung heraus, weil der Schwerpunkt weiterhin auf der maritimen Sicherheit liegt. In der gemeinsamen Erklärung äußerten beide Länder unter Bezugnahme auf den Indopazifik Besorgnis über die zunehmende Spannungen und lehnten destabilisierende oder einseitige Maßnahmen entschieden ab, die darauf abzielen, den Status quo im Süd- und Ostchinesischen Meer mit Gewalt zu ändern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beziehungen zwischen Russland und China unter dem Druck der Ereignisse und den Erwägungen des nationalen Interesses Russlands strategisch viel tiefer geworden sind, ohne dass die Absicht besteht, die Beziehungen zu Indien zu verwässern. Parallel dazu stärkt Indien seine Beziehungen zu den USA, was vielen Zielen dienen soll, einschließlich der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung, der Aufrechterhaltung der indischen Wachstumsraten, der Modernisierung seiner Technologie und der Verringerung strategischer Bedrohungen der Souveränität. Gleichzeitig schließt es jedoch jegliche Absicht aus, die Beziehungen zu Russland zu verwässern.
Aus dem Englischen.
Kanwal Sibal ist ehemaliger indischer Außenminister und war zwischen 2004 und 2007 Botschafter in Russland. Er war zudem auch Botschafter in der Türkei, in Ägypten und in Frankreich und war stellvertretender Missionschef in Washington.
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