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Warum viele Länder beim Kohleausstieg zögern

Am Kohleausstieg scheidet sich die internationale Gemeinschaft: Manche Staaten wollen schon bald nicht mehr auf Kohlestrom zurückgreifen, andere haben es nicht besonders eilig. Die erheblichen Kosten des Kohleausstiegs spielen dabei eine wichtige Rolle.
Warum viele Länder beim Kohleausstieg zögernQuelle: www.globallookpress.com © Hendrik Schmidt

von Bernd Müller

Beim Weltklimagipfel im schottischen Glasgow haben sich mehrere Staaten darauf geeinigt, aus der Kohleverstromung auszusteigen. Mehr als 40 Länder bekannten sich zu einem kompletten Ausstieg der großen Volkswirtschaften aus der Kohle in den 2030er-Jahren, in den 2040er-Jahren soll der Rest der Welt folgen. 23 Staaten sagten erstmals zu, den Betrieb ihrer Kohlekraftwerke auslaufen zu lassen und nicht in neue zu investieren.

Doch nicht alle Länder gehen diesen Weg mit. Australien zum Beispiel will noch über Jahrzehnte Kohle fördern. ''Wir haben ganz klar gesagt, dass wir keine Kohleminen und keine Kohlekraftwerke schließen werden'', sagte am Montag der australische Ressourcenminister Keith Pitt gegenüber dem Fernsehsender ABC. Es werde noch lange einen Markt für Kohle geben und so lange werde Australien diese auch verkaufen.

Pitt geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage sogar bis 2030 weiter ansteigen wird. ''Und wenn wir nicht am Markt gewinnen, dann macht es jemand anders'', sagte er weiter. Unter diesen Umständen sei es besser, wenn mit der Kohle in Australien Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaft gefördert werde, als wenn der Brennstoff zum Beispiel aus Indonesien komme.

Trotz allem will das Land bis 2050 klimaneutral sein; das hatte zumindest die Regierung von Premierminister Scott Morrison im vergangenen Monat angekündigt. Einen konkreten Plan, wie das verkündete Ziel erreicht werden solle, legte die Regierung aber noch nicht vor.

Das scheint auch das Problem der anderen Staaten zu sein, die den Kohleausstieg zugesagt haben. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte die Vereinbarung als unzureichend. ''Das Kleingedruckte scheint den Ländern erheblichen Spielraum zu geben, um ihr eigenes Ausstiegsdatum zu wählen, trotz der schillernden Überschrift'', sagte Delegationsleiter Juan Pablo Osornion letzte Woche gegenüber der britischen BBC. Den Ländern drohten keine Sanktionen, wenn sie ihre Zusicherung nicht einhalten sollten.

Dass die Energiewende zügig vorangebracht werden muss, macht eine neue Analyse des Forschungsverbundes ''Global Carbon Project'' deutlich. Aus dieser geht hervor, dass der Ausstoß von Kohlendioxid in diesem Jahr wieder fast das Niveau von vor der Pandemie erreichen wird. Die Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas dürften Hochrechnungen zufolge in diesem Jahr bei 36,4 Milliarden Tonnen liegen.

Damit die Welt im Jahre 2050 klimaneutral ist, müsste der Ausstoß von Kohlendioxid jedes Jahr um 1,4 Milliarden Tonnen sinken. Das liegt aber noch in weiter Ferne. Bislang ist es auch eher unwahrscheinlich, dass das propagierte Ziel erreicht werden kann, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dafür dürften höchstens noch 420 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen werden; aber dieses Budget dürfte in elf Jahren aufgebraucht sein, sollten die Emissionen nicht zurückgefahren werden.

Was die einzelnen Länder unter ''Klimaneutralität'' verstehen, unterscheidet sich erheblich. Zum Beispiel will die Bundesrepublik sie durch erneuerbare Energien erreichen. Wind, Sonne und Biomasse sollen Quellen für elektrische Energie sein; Wasserstoff soll die Energie für wichtige industrielle Prozesse liefern. Japan setzt dagegen auch weiterhin auf fossile Energieträger. Klimaneutral will der Inselstaat werden, in dem das entstehende Kohlendioxid abgeschieden und entweder gespeichert oder weiterverwertet werden soll. Saudi-Arabien will auch in Zukunft Öl fördern und verkaufen – und hofft ebenso auf Technologien, mit denen CO2 dauerhaft gespeichert oder verarbeitet werden kann.

In der Diskussion wird außerdem oftmals ausgeblendet, dass der Kohleausstieg für viele Länder enorme Kosten mit sich bringt. So hat die Weltbank ausgerechnet, dass allein in Asien der Ausstieg aus der Kohle bis zu 13 Billionen US-Dollar kostet. Nahezu zehn Billionen US-Dollar entfallen demnach auf China. Für die anderen asiatischen Länder wäre die übrige Summe aber auch kein Pappenstiel. ''Selbst die übrigen drei Billionen Dollar würden über 20 Jahre hinweg 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten'', sagte Weltbank-Direktor Axel van Trotsenburg jüngst gegenüber dem Handelsblatt.

Aber auch in Deutschland könnte ein vorgezogener Kohleausstieg eine teure Angelegenheit werden. Der Grund ist der Energiecharta-Vertrag, der Konzernen das Recht gibt, Staaten vor einem Schiedsgericht auf Schadensersatz zu verklagen, sollten diese durch ihr Handeln die Investitionen negativ beeinträchtigen. Vor allem Länder aus Europa, West- und Zentralasien zählen zu den Vertragsparteien.

Die Entwicklungsorganisation PowerShift hatte jüngst berichtet, dass der Energiecharta-Vertrag den deutschen Kohleausstieg erschwert und verteuert habe. So habe im Oktober 2019 das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) gewarnt, dass ein ordnungsrechtlicher Kohleausstieg Klagen unter dem Vertrag wahrscheinlich machen. In einem Schreiben an das Bundeskanzleramt warnte das BMWi vor den ''zeit- und kostenintensiven'' Schiedsverfahren. Durch großzügige ''Entschädigungen'' an die Kohlekonzerne RWE und LEAG habe sich die Bundesregierung den geplanten Kohleausstieg im Jahr 2038 erkauft. Beide Konzerne erhalten zusammen 4,35 Milliarden Euro. Die Summe sei ''unangemessen hoch'', hatten Umweltorganisationen in der Vergangenheit behauptet und mit eigenen Berechnungen belegt.

Über 142 Schiedsverfahren haben Energiekonzerne bislang gegen Staaten eingeleitet. Darunter sind auch Klagen der deutschen Kohlekonzerne RWE und Uniper gegen den niederländischen Kohleausstieg. Knapp 2,4 Milliarden Euro verlangen sie von den Niederlanden – für Kraftwerke, die nach Berechnungen von Umweltorganisationen kaum noch etwas wert sind.

Ein anderes Beispiel ist der schwedische Energieversorger Vattenfall. Im Jahr 2009 verklagte er Deutschland auf 1,4 Milliarden Euro Entschädigung, nachdem die Hansestadt Hamburg für Vattenfalls Kohlekraftwerk in Hamburg Moorburg strenge Wasserauflagen erlassen hatte. 2011 verklagte Vattenfall erneut die Bundesrepublik wegen des beschleunigten Atomausstiegs.

PowerShift kritisiert an den Schiedsverfahren, dass sie nicht öffentlich sind und keine Beteiligung durch Dritte erlauben. In manchen Fällen gehe die Geheimhaltung sogar so weit, dass weder Kläger noch der beklagte Staat öffentlich bekannt sind. Außerdem würden Eigentumsrechte, auf die sich die Klagen stützen, sehr vage gehalten. So sei es den Konzernen möglich, in Fällen Entschädigungen einzuklagen, in denen dies vor ordentlichen Gerichten nicht möglich wäre.

Insofern ist von einer Klagewelle auszugehen, sollten Vertragsstaaten ihren Ankündigungen von Glasgow auch Taten folgen lassen.

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