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100 Tage US-Präsident Joe Biden: Eine Bestandsaufnahme

Nach den ersten 100 Tagen der neuen Joe-Biden-Administration ist es Zeit für eine erste Einschätzung, ob die großen Hoffnungen, die viele Trump-Gegner in Biden gesetzt hatten, sich wenigstens ansatzweise erfüllt haben.
100 Tage US-Präsident Joe Biden: Eine BestandsaufnahmeQuelle: Reuters © TOM BRENNER

von Rainer Rupp

Innenpolitisch steht die Biden-Administration noch ganz unter dem Einfluss der Corona-Krise. Wenn man von den Trillionen Dollar schweren, coronabedingten Geldgeschenken an US-Verbraucher und -Wirtschaft absieht, kann über die Wirkung von Präsident Joe Bidens anderen innenpolitischen Akzenten noch nicht viel gesagt werden. Auch die COVID-19-Bekämpfung in den Vereinigten Staaten ist weiterhin uneinheitlich und teils undurchsichtig. Erschwerend kommt hinzu, dass von Bundesstaat zu Bundesstaat die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit oft widersprüchlich sind. Für die innere Stabilität der USA ist das ein kaum einzugrenzendes Problem.

Etwa die Hälfte der US-Bundesstaaten hat die Corona-Lockdown-Maßnahmen ganz oder weitgehend abgeschafft. Vielerorts sind Schulen und Restaurant seit Monaten offen. Zugleich folgt die andere Hälfte der Bundesstaaten, nämlich die demokratisch regierten, mehr oder weniger strikt den Lockdown-Vorgaben der demokratischen Bundesregierung in Washington.

Allerdings stehen die Lockdown-Befürworter inzwischen unter großem und zunehmendem Druck, einer zornigen Öffentlichkeit zu erklären, warum Lockdown-freie Staaten wie Florida und Wisconsin viel niedrigere COVID-19-Fallzahlen haben als die strikten Lockdown-Musterstaaten wie Kalifornien und Michigan. Dabei ist Michigan ein Nachbar von Wisconsin. Zugleich haben die Lockdowner jetzt ein riesiges Problem mit der Entwicklung in Texas, das seit sieben Wochen ohne Einschränkungen geöffnet ist und wo die COVID-19-Fallzahlen und -Todesfälle im gleichen Zeitraum dramatisch zurückgegangen sind.

Auch der von Biden mit großem Propagandaaufwand gepuschte "Green Deal" wird in vielen Bundesstaaten entlang der parteipolitischen Kluft abgelehnt. Dabei geht es um die kostspielige Umstellung von den aktuell genutzten fossilen Energieträgern auf sogenannte "nachhaltige", aber eher weniger zuverlässige und meist teurere Wind- und Solarenergie. In der Regel sind die Republikaner, aber auch etliche Demokraten gegen Bidens Green Deal. Denn der würde nicht nur die Eliminierung der zuverlässigen existierenden Energieinfrastruktur bedeuten, sondern zugleich würden auch viele Bundesstaaten, in denen die Öl- und Gaswirtschaft eine wichtige Rolle spielt, eine bedeutende Einkommensquelle und Zigtausende gut bezahlte Arbeitsplätze verlieren. Die Regierung von Texas z. B. steht in offener Ablehnung zu Bidens Klimaplänen. Daher könnten auch die in Europa gehegten Hoffnungen, dass die USA bei der angeblichen Klimarettung durch CO₂-Reduzierung weltweit die Führung übernehmen, noch enttäuscht werden, wenn die Biden-Pläne im US-Kongress nicht durchkommen.

Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Hinweise darauf, dass sich seit Bidens Amtsantritt die gesellschaftliche Polarisierung in den Vereinigten Staaten entlang der parteipolitischen Linien weiter verschärft hat. So haben sich Bidens großspurig angekündigten Änderungen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik als gigantischer Flop erwiesen, den vor allem die Bundesstaaten, die an Mexiko grenzen, auszubaden haben. Inzwischen sah sich die Biden-Administration sogar gezwungen einzugestehen, dass die von ihr betrieben Grenzöffnung zu einer wahren "Flüchtlingskrise" geführt hat.

Unter dem lautstarken Druck der "No Border,no Nation" (Keine Grenzen, keine Nation)-"progressiven" Fraktion in der Demokratischen Partei hat Biden die von Trump auf 15.000 beschränkte legale Zuwanderung pro Jahr kassiert und in einer seiner ersten Amtshandlungen auf 125.000 erhöht. Doch der Widerstand gegen diese Maßnahme zeigte sich auch im eigenen Lager, und Außenminister Antony Blinken senkte Bidens Obergrenze seither auf 62.500. Das Problem aber ist die illegale Einwanderung.

Schon vor seiner Wahl hatte Biden den Völkern in Lateinamerika signalisiert, dass er anders als Trump die Grenzen für Flüchtlinge öffnen werde. Wie nicht anders zu erwarten, hat sich seither ein riesiger Migrantenstrom Richtung US-Grenze in Bewegung gesetzt. Laut dem Wall Street Journal vom 20. April 2021 waren allein an der US-Südgrenze im März dieses Jahres 171.000 illegale Einwanderer von der US-Grenzpolizei festgenommen worden. Das ist die höchste Zahl seit 2006. Darin ist die sicherlich hohe Dunkelziffer der gelungenen und nicht registrierten Grenzübertritte nicht enthalten.

Zugleich zirkulieren Bild- und Videodokumente, die zeigen, dass die Käfige, in denen unbegleitete Kinder und minderjährige Flüchtlinge/Migranten zusammengepfercht werden, weitaus zahlreicher und vollgestopfter sind, als sie das je unter Trump waren. Aber damals hatten Biden und seine Demokraten die weitaus harmloseren Bilder von den unbegleiteten Migranten-Kindern in Käfigen für eine Schmähkampagne in den Medien gegen Trump genutzt.

Als Beweis für die Scheinheiligkeit und Doppelbödigkeit der Demokraten werden die aktuellen Bilder und Videos von den mit Kindern überfüllten "Biden-Käfigen" nun im Internet unter den 75 Millionen Trump-Wählern breit geteilt, was nur zu einer weiteren Vertiefung der Polarisierung der US-Gesellschaft führen kann.

Unterdessen haben auch die innerstädtischen Rassenunruhen der Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) gegen den angeblich "strukturellen weißen Rassismus" nicht nachgelassen. Das Gegenteil ist der Fall. Ermutigt durch die politisch-ideologisch motivierte weitgehende Straffreiheit für die BLM-Randalierer haben sich die Zustände in vielen US-Städten verschlimmert. Worin genau der "strukturelle weiße Rassismus" und das viel geschmähte "weiße Privileg" besteht, ist nirgendwo genau definiert. Es genügt, weiß zu sein, um in Städten von BLM-Gangs provoziert, belästigt oder angegriffen zu werden.

Im Zusammenhang mit Bidens ersten 100 Tagen im Amt wurde am 20. April auf der offiziellen Twitter-Seite von Black Lives Matter die Biden-Administration beschuldigt, schlimmer zu seine als Trump, weil diese die lokalen Polizeieinheiten mit militärischer Ausrüstung ausstattet, einschließlich die Polizei an Schulen und Universitäten. Unter anderem heißt es dort in einem Tweet:

"Biden schickt derzeit mehr militärische Ausrüstung in unsere Stadtviertel als Trump. Sie haben richtig gelesen. Unsere Gemeinschaften werden stärker terrorisiert als unter Trump."

Das zeigt: Egal, wie sehr die Biden-Administration sich auch bemüht, es den Progressiven in der eigenen Partei recht zu machen und BLM zu hätscheln und auch über leichte Kriminalität, wie Körperverletzung, Diebstahl, aggressives Betteln bis hin zur Nötigung "privilegierter Weißer" hinwegzusehen, so sind die Forderungen von BLM dennoch unersättlich. Auch dies führt zur weiteren Vertiefung der Spannungen in der US-Gesellschaft, und irgendwann, wenn die BLM-Forderungen nicht mehr erfüllt werden, sondern die Polizei wieder durchgreift, dann wird BLM die demokratische Hand beißen, die sie bisher gefüttert hat.

Vor diesem Hintergrund lässt sich über erste Erfolge Bidens in der Innenpolitik nicht viel Positives sagen. Gleiches gilt in Bezug auf die Wirtschaft. Die wird nur noch durch immer höhere, aus dem Nichts gezauberte Trillionen-Dollar-Beträge vor dem Zusammenbruch bewahrt. Bereits in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit hat Biden diese Entwicklung kräftig beschleunigt. Dieses Problem hat er aber nicht nur von Trump geerbt, sondern als US-Vizepräsident unter Obama hat er zur explosiven Entwicklung der Staatsschulden kräftig beigetragen. Wie üblich profitieren davon hauptsächlich die Reichen und Superreichen, wodurch der Sinn hinter einem alten Bibelwort klar wird, das sagt: "Der Herr gibt's den Seinen im Schlaf."

Aktuell rasen die Kurse an den Börsen weiter von einem Rekord zum nächsten, auf immer schwindelerregendere Höhen. Das alles hat keine reale ökonomische Basis mehr. Die US-Finanzwirtschaft besteht fast nur noch aus heißer Luft, aber die Zahlen weisen weiter ein angeblich solides Wirtschaftswachstum aus. Dieses Monster auf immer höheren Stelzen wird zusammenbrechen. Da ist keine Frage des "Ob", sondern nur noch des "Wann"!

Wenden wir uns nun der US-Außen- und sogenannten "Sicherheits"politik zu. Hier sticht ins Auge, dass mehr oder weniger dieselben Damen und Herren, die schon unter Obama diesen Bereich geführt haben, auch jetzt wieder in den Schlüsselpositionen sitzen, einschließlich Blinken und Victoria "Fuck the EU" Nuland. Dennoch werden wird grosso modo eine Fortsetzung der Außenpolitik Trumps sehen, mit einigen ins Auge springenden Abweichungen, vor allem in Bezug auf den Iran und auf die EU/NATO-Europäer.

Die Politik gegenüber den NATO-Europäern ist definitiv weniger konfrontativ, obwohl auch unter Biden Washington auf seiner Führungsrolle gegenüber seinen Vasallen besteht, was vor allem die Deutschen zu spüren bekommen, allgemeinen wegen der immer noch relativ guten deutsch-russischen Beziehungen, und speziell wegen Nord Stream 2. Zugleich sind die guten deutschen-chinesischen Handelsbeziehungen Washington ein Dorn im Auge, was Berlin auf die Probe stellt, denn China ist für Deutschland zum wichtigsten Exportland geworden.

Auffällig ist auch, dass unter Biden der schon von Trump befohlene Abzug aus Afghanistan noch in diesem Herbst vollendet werden soll, wenn auch ein halbes Jahr später als von Trump vorgesehen. Ebenso wie unter Trump wird jetzt auch in der Biden-Administration ernsthaft über den baldigen Abzug der US-Truppen aus dem Irak und Syrien nachgedacht. Ins Bild passt auch, dass die aktuellen Verhandlungen in Wien über den Wiedereintritt der USA in das im Rahmen der UNO geschlossene Atomabkommen mit dem Iran anscheinend gute Fortschritte machen. Eine Einigung mit dem Iran würde für Washington in einer kritischen Weltregion einen weiteren Krisenherd stilllegen, der bisher viele militärische und diplomatische US-Ressourcen gebunden hat.

Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob die großen Hoffnungen, die vor allem linke Kräfte in Europa in eine friedliche US-Außenpolitik unter Biden gesetzt hatten, berechtigt waren. Wenn man allerdings die Verschärfung der US-Politik gegenüber China und Russland seit Bidens Amtsantritt sieht, ergibt sich ein anderes Bild. Vor diesem Hintergrund bekommt auch der Wunsch nach Beendigung der vielen US-Kleinkriege eine andere Bedeutung, denn dadurch würden dringend benötigte Offiziere, Soldaten und materielle Ressourcen wie Waffen und vor allem Logistik für andere, wichtigere Herausforderungen freigesetzt. Und diese wichtigeren Aufgaben haben die bewährten Kriegstreiber der Biden-Administration längst fest im Blick.

Im Vergleich zum letzten Jahr der Trump-Administration – selbst unter dem unsäglichen Außenminister Mike Pompeo – ist die Rhetorik der Biden-Administration gegenüber China und Russland viel schärfer und provokativer geworden. Auch Biden selbst ist sich für verbale Entgleisungen gegen über Präsident Putin nicht zu schade. Was jedoch die Sache wirklich gefährlich macht, sind die militärischen und politisch-diplomatischen Provokationen, mit denen die Falken in Washington ständig die "roten Linien" Chinas und Russlands testen. Dieser Tage hätte das in der Ukraine fast zu einem neuen Krieg mit weitreichenden Folgen geführt.

Unter dem Eindruck der aufmarschierten russischen Truppen mit ihren hochmodernen Fähigkeiten haben die Falken in Washington ihre Fehler zum Glück eingesehen, ihre Provokationen heruntergefahren und z. B. die bereits ins Schwarze Meer entsandten US-Kriegsschiffe zurückgepfiffen. Gerade noch rechtzeitig haben sie auch damit aufgehört, die hitzigen ukrainischen Bataillone zum Kampf anzustacheln und ihnen großmäulig militärische Unterstützung durch die USA zuzusichern.

Erst auf dem Höhepunkt der Krise, als die Nachricht aus Washington kam, dass man die Ukraine zwar weiterhin unterstützen werde, aber kein US-Soldaten entsendet würden, merken die an der Grenze zum Donbass aufmarschierten ukrainischen Truppen auf einmal, dass sie allein dastanden. Selbst bei den faschistischen Bataillonen wie Asow, die sich in der Vergangenheit mit brutalen Verbrechen gegen die russischsprachige Zivilbevölkerung in den Dörfern des Donbass ausgezeichnet hatten, war bei dem Gedanken, die russische Armee zu konfrontieren, der Kampfeswille verflogen.

Zu ähnlich gefährlichen Situationen wie dieser Tage in der Ukraine kann es jederzeit auch in Asien kommen, namentlich im Südchinesischen Meer oder in der Straße von Taiwan. Daran arbeiten die Washingtoner Falken derzeit unter Hochdruck mithilfe einer ganzen Palette von diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Provokationen. Dabei stellt sich nun die Frage, ob die US-Kriegstreiber in der Biden-Administration überhaupt merken, wann sie eine "rote Linie" Chinas überschritten haben und ob sie bereit und willig sind, selbst bei Gesichtsverlust einen solchen Schritt rechtzeitig zu korrigieren – ähnlich, wie es jetzt in der Ukraine geschehen ist.

In Abwesenheit eines heißen Krieges lautet dann die zweite Frage, wie lange die Vereinigten Staaten ihren neuen Kalten Kriege gleichzeitig gegen China und Russland durchhalten können, vor allem unter Berücksichtigung der prekären Lage der US-Wirtschaft und der gesellschaftlichen und politischen Polarisierung der Vereinigten Staaten.

Dieser Frage werden wir im nächsten Artikel nachgehen.

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