Deutschland

Was bitteschön ist Multilateralismus? Das Auswärtige Amt und eine erhellende Umfrage

Ganz Europa befindet sich zurzeit auf der Suche nach einem Platz in einer noch nicht klar definierten neuen Weltordnung. Mit einer repräsentativen Umfrage wollte die Körber-Stiftung von Deutschen und Franzosen wissen, wie sie diese Entwicklung wahrnehmen; mit einigen unerwarteten Antworten.
Was bitteschön ist Multilateralismus? Das Auswärtige Amt und eine erhellende UmfrageQuelle: www.globallookpress.com

von Zlatko Percinic

Großbritannien hat per Referendum einen Austritt aus der EU beschlossen, doch auch drei Jahre danach ist die Scheidung noch nicht vollzogen. Stattdessen wurden zwei Regierungen und etliche Minister verheizt, was das Königreich tief gespalten hat. Die Migrationskrise von 2015 hat die EU gespalten, und noch heute kämpfen einige EU-Mitglieder mit den Auswirkungen davon. Frankreich erlebt seit über einem halben Jahr wöchentliche Proteste gegen die Regierung von Emmanuel Macron, während Brüssel und Berlin einen Machtkampf gegen Budapest, Rom, Warschau und auch gegen Bern führen, obwohl die Schweiz gar kein EU-Mitglied ist.

Selbst in Deutschland sieht es nicht viel besser aus: Die Regierungsparteien der Großen Koalition, CDU/CSU und SPD, haben aufgrund der Politik der vergangenen Jahre jegliches Vertrauen in der Bevölkerung verspielt, was sich in den Zustimmungswerten und Wahlergebnissen deutlich widerspiegelt. Insbesondere das Festhalten an alten Paradigmen, die dem rasanten Wandel in sozialen-, ökonomischen-, ökologischen- und geopolitischen Bereichen nicht mehr gerecht werden, sorgt für die Entfremdung zwischen Partei und Bürgern.

In dieser Atmosphäre wurde im April eine von der Körber-Stiftung beauftragte Umfrage in Deutschland und Frankreich durchgeführt. Die Menschen sollten sich zu Themen wie Bedrohung, Herausforderungen, EU und Multilateralismus äußern, was einige interessante Aspekte zutage förderte.

Während beispielsweise Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) eine "Allianz für Multilateralismus" ins Leben gerufen hat, können in Deutschland 67 Prozent der Befragten nichts mit diesem Begriff anfangen. 42 Prozent geben sogar an, noch nie etwas davon gehört zu haben.

Bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse am 12. Juni in der Bibliothek des Auswärtigen Amtes sprach Maas davon, wie schwierig es geworden ist, sich bei Abschlusskommuniqués von G7- oder G20-Gipfeltreffen auf die Aufnahme zum Bekenntnis des Multilateralismus zu einigen. Dabei nannte er "mindestens" drei Länder, die sich diesem Prinzip von kooperativem und gleichberechtigtem Handeln von mehreren Staaten nicht verpflichtet fühlen: China, Russland und die USA.

Dass Heiko Maas Russland und China in einem Atemzug mit den USA nennt, ist wenig überraschend. Es passt zur Politik der deutschen Regierung unter Angela Merkel, die dem russischen Werben gerade für eine multilaterale und nicht US-zentrierte Weltordnung von Anfang an abweisend gegenüberstand. Selbst in einem Bericht für das EU-Parlament aus dem Jahr 2012, das zwar in einem kritischen Ton verfasst wurde, aber dennoch festhalten musste, dass in russischen Strategiedirektiven vom "Prinzip der Gleichberechtigung und dem Bedarf für gemeinsame Vorteile" zwischen Russland und der EU die Rede ist.

Der russische Präsident Wladimir Putin sprach bereits 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz davon, dass die unipolare, von den USA angeführte Weltordnung gescheitert wäre. Die Zukunft könne nur eine multilaterale – und multipolare – Ordnung sein, wo sich alle Staaten auf Augenhöhe befinden und nicht nur Entscheidungen in globalen Fragen gemeinsam gefällt werden, sondern auch die Macht geteilt wird.

Doch statt Zustimmung erntete Putin Verachtung. In Washington, London und insbesondere in Warschau betrachtete man diese Erklärung als Startschuss eines neuen wiedererstarkten Russlands mit Appetit nach mehr. Es war schließlich auch die strikte Weigerung Polens beim EU-Russland-Gipfel in Helsinki 2006, die ein neues (multilaterales) Abkommen zwischen Brüssel und Moskau verhinderte.

Dabei zeigte die Umfrage der Körber-Stiftung in Deutschland und Frankreich, dass der Wunsch bei den Befragten nach internationaler Zusammenarbeit zum Teil deutlich ausgeprägt ist. 72 Prozent der Deutschen antworteten, dass die Bundesregierung "auf jeden Fall" mit anderen Ländern zusammenarbeiten sollte, um die globalen Herausforderungen zu meistern. In Frankreich antworteten 57 Prozent mit "auf jeden Fall" und weitere 35 Prozent mit "eher ja" (in Deutschland 24 Prozent).

Das bedeutet also, dass obwohl zwei Drittel der Deutschen mit dem Begriff Multilateralismus nichts anzufangen wissen, sind 96 Prozent der Meinung, dass man mit anderen Staaten zusammenarbeiten sollte. Indem die Regierung aber auf Spaltung (wie mit Russland), Regierungsstürze (wie in Syrien oder Venezuela) und Gehorsam gegenüber den USA setzt, ignoriert man diesen Wunsch nach einer ausbalancierten Außenpolitik.

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