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Zankapfel Russland-Sanktionen: Erhitzte Debatte nach Kretschmer-Vorstoß

Seitdem sich Sachsens Regierungschef Kretschmer (CDU) für einen schrittweisen Abbau der Russland-Sanktionen ausgesprochen hat, erhitzt die Debatte die Gemüter. Neben erwartbarer Kritik erhielt der CDU-Politiker aber auch viel Zuspruch.
Zankapfel Russland-Sanktionen: Erhitzte Debatte nach Kretschmer-Vorstoß  Quelle: www.globallookpress.com

Seitdem sich Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg für einen schrittweisen Abbau hin zu einem Ende der Russland-Sanktionen ausgesprochen hat, will die bundesweite Diskussion bis in alle Reihen über diese "Kontroverse" nicht abreißen.

Russland ist ein strategisch wichtiger Partner. Für eine bessere Beziehung brauchen wir ein Ende der Sanktionen", so Kretschmer.

Denn gerade für die sächsische und ostdeutsche Wirtschaft stellten diese ein großes Problem dar.

Wirtschaftssanktionen als Reaktion

Direkt im Anschluss prasselten unterschiedlichste Meinungen auf Kretschmer ein. Während seine Forderung im Osten und unter Wirtschaftsexperten auf viel Zustimmung stößt, gibt es von anderer Seite harsche Kritik – auch aus den Reihen der eigenen Partei.

Die Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, widersprach Kretschmer umgehend:

Die Wirtschaftssanktionen sind die Reaktion auf das völkerrechtswidrige Verhalten der russischen Regierung auf der Krim und in der Ostukraine", so Kramp-Karrenbauer zu der Bild am Sonntag. "Solange sich am russischen Verhalten dort nichts ändert, gibt es auch keinen Spielraum für eine Änderung in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit."

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, verwies darauf, dass die Sanktionen nicht von Deutschland ausgingen und meinte: "Wir brauchen die Befriedung dieses Ukraine-Konfliktes, in dem jeden Tag Menschen sterben. Aber wir wollen auch, dass die Sanktionen so schnell wie möglich enden."

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke, riet Kretschmer hingegen Nachhilfe in Außenpolitik an: "Herr Ministerpräsident, haben Sie einen außenpolitischen Berater? Falls ja, sofort feuern!" Andernfalls könne das Auswärtige Amt "sicher einen Fachmann vermitteln". Denn Rat, so Ischinger selbstgewiss, brauche Kretschmer, sonst schade er sich und den deutschen außenpolitischen Interessen.

Die ARD-Tagesthemen stellen im Beitrag vom Mittwochabend die Nähe der Position Kretschmers zu jener der AfD dar. Deren Vorsitzender in Sachsen, Jörg Urban, betonte, es gebe nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine persönliche Nähe im Osten zu Russland, so viele Ehen seien russisch-deutsch. Im Beitrag wird auch betont, das "bleibende Problem" sei jedoch, dass die Sanktionen aufgrund der "völkerrechtswidrigen Annexion der Krim eingeführt" worden seien und daher laut der Kritiker Kretschmers bleiben müssten, bis Russland den Forderungen der EU nachkomme. Diese Position vertrat in der Diskussion zuvor Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU): "Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, dass die Sanktionen so lange in Kraft bleiben sollten, wie die Gründe für ihr Zustandekommen fortbestehen." Dass es auch andere Meinungen gebe, sei ein "demokratischer Normalfall".

Eigene Haltung statt Ur-Feind Russland

Doch Kretschmer bekräftigte seine Überzeugung mit einem Verweis darauf, dass die neuen Bundesländer eine eigene Position hätten.

Diejenigen, die sich nun mit erhobenem Zeigefinger zu Wort meldeten, sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass es in den neuen Bundesländern eine eigene Meinung zu dieser Frage gibt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Er führe die Debatte mit einer "großen positiven Zugewandtheit zu Russland und zu seinen Menschen".

In Ostdeutschland gebe es eine besondere Sichtweise auf Osteuropa, die aus einer gemeinsamen Vergangenheit stamme. Zugleich betonte er die Verantwortung Russlands für die Beendigung des Ukraine-Konflikts.

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In der Tat gibt es traditionell tiefe, auch geschichtlich geprägte Verbindungen zwischen den neuen Bundesländern und Russland. Darüber hinaus ist das Geschäft mit Russland seit der Wende für ostdeutsche Unternehmen teilweise existenziell. Das betonte auch der geschäftsführende Gesellschafter der Niles-Simmons Industrieanlagen GmbH mit Sitz in Chemnitz, Hans Naumann. Gegenüber der ARD sagte er, die Kritik an Kretschmer käme,

weil die alten Politiker ja immer noch den Ur-Feind Russland sehen. Russland ist kein Feind. Russland ist ein Land, das wir unbedingt benötigen."

Auch der Verband der sächsischen Wirtschaft gab Kretschmer Rückendeckung und sprach von einem positiven Signal.

Gunther Schnabl, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, betonte zudem: "Es gibt historische Beziehungen." Während die ostdeutsche Wirtschaft mit der Comecon (dt. Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, RGW) eher in den Ostblock integriert war, orientierte sich die westdeutsche Wirtschaft am westlichen System. "Diese Wurzeln bleiben." Viele Ost-Firmen unterhalten bis heute gute Wirtschaftsbeziehungen nach Russland, so Schnabl. Insgesamt sei die wirtschaftliche Entwicklung im Osten nicht so robust wie im Westen, die Löhne nach wie vor deutlich niedriger.

Da muss man sich an jedem Wachstumsanker festhalten."

Genaue Zahlen über die Verluste ostdeutscher Firmen als Folge der Russland-Sanktionen gibt es nicht. Die Auswirkungen lassen sich aber an den Außenhandelsbilanzen der Bundesländer leicht ablesen. Für Sachsen zählte Russland in den Jahren unmittelbar vor Beginn der Sanktionen 2014 zu den Top Ten im Export. Inzwischen ist das Land auf den 17. Rang abgerutscht. 2018 exportierte Sachsen Waren im Wert von rund 537 Millionen Euro in die Russische Föderation, 2014 waren es noch Erzeugnisse im Wert von 1,1 Milliarden Euro.

Thüringen meldet zwar seit den Sanktionen eine andere Entwicklung. Dort erhöhte sich das Handelsvolumen seit 2015 um rund 40 Prozent auf knapp 300 Millionen Euro im Jahr 2018. Russland ist somit ein wichtiger Exportmarkt für rund 220 Thüringer Firmen, wie Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee erklärt. Darum sei es wichtig, die Kontakte nicht abreißen zu lassen.

Die deutsche Wirtschaft spricht sich seit längerem für einen Ausbau der Beziehungen zu Russland auf höchster Ebene aus. Anfang des Jahres hieß es in einem Positionspapier des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, dass jährliche EU-Russland-Gipfel und eine Wiederaufnahme der deutsch-russischen Regierungskonsultationen hilfreich wären. Und auch die Tagesthemen erkennen pragmatisch an, dass die Neuorientierung Russlands zu China sich langfristig sehr nachteilig nicht nur auf die Geschäfte ostdeutscher Unternehmen auswirken könnte.

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Doch wurde Kretschmer auch unterstellt, die Forderung aus wahltaktischen Erwägungen so formuliert zu haben. So echauffierte sich denn auch der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Johannes Kahrs, dass es "billig" sei, die Aufgabe der gemeinsamen Haltung der EU und der deutschen Außenpolitik dem Wahlkampf zu opfern. Ob Kahrs aufgrund der einhelligen EU- und einer wertegeleiteten Außenpolitik zugunsten der Menschen in der Ukraine als lautstarker Kritiker der Position Kretschmers agiert, ist vor allem fragwürdig bei einem Blick auf dessen politische Bilanz als langjähriger Rüstungslobbyist.

Zuspruch im Osten: Wirtschaft leidet seit Jahren

Zuspruch für Kretschmers Haltung kam denn auch von jenen Politikern, die Ostdeutschland kennen und repräsentieren.

Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Die Linke), der auch Vorsitzender der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz ist, stimmte zu, dass ein verbesserter Dialog mit Russland und ein Ende der Sanktionen notwendig seien. Ramelow  erklärte, Kretschmer handele bei dem Thema im Interesse der neuen Bundesländer, deren Wirtschaft seit Jahren unter den Sanktionen leide. Außerdem unterstrich der thüringische Regierungschef, dass die vor Jahren eingeführten Sanktionen der Ukraine nicht geholfen, den neuen Bundesländern aber "in jedem Fall" geschadet haben.

Auch von seinen Amtskollegen aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erhielt Kretschmer Rückenwind.

Dietmar Woidke (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident, stellte sich hinter seinen Kollegen.

Wir brauchen alle Arten von Dialog mit Russland. Wir haben gegenüber Russland eine sehr große Verpflichtung. Die rührt aus unserer deutschen Geschichte her", sagte der Ministerpräsident Brandenburgs dem Fernsehsender Phoenix.

Laut Woidke gäbe es zum Dialog mit Russland keine vernünftige Alternative, und Deutschland habe eine herausragende Verantwortung, mit Russland auf kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Ebene im Gespräch zu bleiben.

Im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt sieht Woidke auch Russland in der Bringschuld. "Die Europäische Union muss stark bleiben, und die Sanktionen werden dann abgebaut, wenn das Minsker Abkommen von Russland Schritt für Schritt erfüllt wird". Woidke fügt hinzu, "die ostdeutsche Wirtschaft ist überproportional von den Sanktionen betroffen", da die Verbindungen zu Russland stärker seien. Aus diesem Grund könne Ostdeutschland in der Europäischen Union und in der NATO eine "Brückenfunktion spielen", so Woidke.

Manuela Schwesig (SPD), Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin, sagte, sie rate bei den Debatten über Russland zu mehr Besonnenheit. Fast 80 Prozent der Bürger in MV befürworteten den Ausbau der Zusammenarbeit mit Russland.

Wir müssen wegkommen von einer Schwarz-Weiß-Diskussion. Was wir brauchen, sind kontinuierliche Zusammenarbeit und kritischer Dialog."

Laut Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), für den das Minsker Abkommen Grundlage für die Überwindung des Konflikts sei, spiegelt der Streit um die Äußerungen Kretschmers die unterschiedliche Haltung von Ost und West zu Russland wider. "30 Jahre nach dem Fall der Mauer kann man feststellen, dass es in der Bevölkerung der neuen Länder eine andere Sicht auf Russland gibt als in den alten Bundesländern", sagte Seehofer der Bild am Dienstag. "Damit müssen wir uns ernsthaft und unaufgeregt befassen."

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