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Merkel-Dämmerung, Merz-Hype, Migrations-Pakt: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Der Rückzug von CDU-Chefin Angela Merkel, der darum drohende Einsatz des BlackRock-Veteranen Friedrich Merz und der UN-Migrationspakt: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für verzerrende Berichterstattung.
Merkel-Dämmerung, Merz-Hype, Migrations-Pakt: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Reuters

Von Thomas Schwarz

"Merkel muss weg" – wer hätte diesen Satz in den vergangenen Jahren nicht unterschreiben mögen? Nun, da die Dämmerung der Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel unaufhaltsam scheint, bleiben die Worte aber so manchem Beobachter im Halse stecken: Wenn die Alternative zur Anti-Konflikt-Kanzlerin einer der mutmaßlich härtesten Agenten ist, den die Finanzwirtschaft aufzubieten hat, werden auch Merkel-Kritiker plötzlich nostalgisch.

Das drohende – und laut Deutschlandfunk von dubiosen "Umfragen" flankierte – politische Comeback des BlackRock-Aufsichtsrats Friedrich Merz taucht selbst die neoliberale Merkel-Politik in ein rosarotes Licht. Dem wirkt die taz entgegen: Nun, da die "Konsens-Kanzlerin" angezählt sei, könne man endlich wieder darüber streiten, "wie eine Eurozone so gestaltet werden kann, dass nicht hauptsächlich Deutschland von ihr profitiert. Wie wir einen Sozialstaat wiederherstellen können, der diesen Namen verdient. Und wie man Reiche in Deutschland und Unternehmen in Europa dazu zwingen kann, sich angemessen an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen". Dass sich die Zeitung einen solchen Aufbruch ausgerechnet von Merz erwartet, erscheint mindestens rätselhaft.

Eine gnadenlose Analyse der Politik der Kanzlerin und der Person Angela Merkel ist nötig, um wichtige Lehren für die Zukunft zu ziehen. Diese Analyse allerdings ging in der oben beschriebenen Nostalgie-Welle unter – sie muss nachgeholt werden, wenn die Tränen getrocknet sind.

Merkel und Merz – Demokratietheater und Verharmlosung

In der Berichterstattung zu Merkel und Merz zeichnen sich zwei zentrale, sich gegenseitig aber widersprechende Strategien ab: Einerseits soll suggeriert werden, Personalrochaden seien kein reines Demokratie-Theater, sondern eine echte inhaltliche Änderung der Politik sei als Folge zu erwarten. Andererseits sollen aber Merz’ transatlantische Verstrickungen sowie sein Engagement bei einer der problematischsten Firmen der Welt heruntergespielt werden. Das geschieht, indem man den mit seiner Person verbundenen "Aufbruch" eben nicht inhaltlich, sondern atmosphärisch beschreibt, wie die Welt es vormacht, die Merz auch noch in der "politischen Mitte" verortet: "Denn mit Merz, der immer polarisieren konnte, steht nicht nur eine Person zur Auswahl, sondern ein Politikstil: Das Herausarbeiten von inhaltlichen Differenzen innerhalb der politischen Mitte (statt demoskopiegetriebes Abschleifen der letzten Unterschiede) und die Lust auf Kontroverse, die den Diskurs erst möglich macht (statt Wählereinschläferung durch Alternativlosigkeit)."

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Verharmlosung betreibt exemplarisch auch die Rheinpfalz, die zu Merz schreibt: "Er ist ein leeres Blatt, auf dem man seine Hoffnungen und Vorstellungen schreiben kann. (…) Weil die Öffentlichkeit eben nicht weiß, ob Merz festgelegt ist beim Gute-Kita-Gesetz, bei der Mütterrente, bei Macrons Europaplänen. Das Publikum überträgt die eigenen Wünsche auf Merz." Ähnlich die Rheinische Post: "Er parierte Vorwürfe, er sei zu wirtschaftsnah oder zu lange außen vor gewesen, schlagfertig. Inhaltlich dagegen gab Merz vorerst wenig preis, zu den Themen Flüchtlinge, Digitalisierung, Wohnen kein Wort."

Friedrich Merz: "Unbeschriebenes Blatt" statt radikaler Finanz-Lobbyist

Die zitierten Medien tun so, als sei Merz ein unbeschriebenes Blatt, über den es noch nicht viel zu recherchieren und zu berichten gebe – dabei gibt es kaum eine Person, die ähnlich offen und radikal den Sozialstaat ablehnt und mit ähnlich dubiosen Firmen gearbeitet hat, wie etwa "Transparency International" in der Frankfurter Rundschau feststellt: "'Friedrich Merz wird den Mitgliedern der CDU erklären müssen, wie er sich in seinen diversen Funktionen in der Finanzwirtschaft für ein gesellschaftlich verantwortliches Handeln seiner Auftraggeber eingesetzt hat – etwa als Aufsichtsrat der Privatbank HSBC Deutschland, die in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war', sagte die Transparency-Vorsitzende Edda Müller.'"

Und im Gegensatz zu fast allen großen Medien dekonstruiert Werner Rügemer endlich den Mythos von Merz' Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passen solle: "Merz arbeitet als Anwalt und Berater für Konzerne, nicht zuletzt für den größten Aktieneigentümer der gegenwärtigen Welt, BlackRock, dessen Steuererklärungen mehrere tausend Seiten lang sind. (…) Beispiel: Allein der 5,02 Prozent BlackRock-Aktienanteil am Braunkohle-Verbrenner RWE AG ist auf 154 Briefkastenfirmen verteilt, die auf den Namen BlackRock lauten, und domiziliert sind in einem knappen Dutzend Finanzoasen zwischen Delaware, Luxemburg, den Niederlanden und den Cayman Islands."

"Merz-Kandidatur beflügelt den Dax“

In wessen Diensten das "leere Blatt" Friedrich Merz ganz offensichtlich steht und welch eine unheimliche Finanz-Weltmacht BlackRock darstellt, erklärt schließlich der Deutschlandfunk:

"Die Anzahl der Unternehmen, in die BlackRock das Geld der Anleger investiert hat, liegt bei rund 15.000. Und darunter ist so ziemlich alles, was Rang und Namen hat. Natürlich hält BlackRock auch Anteile an großen Börsenkonzernen hierzulande, und das nicht zu knapp: Fast neun Prozent am Immobilienkonzern und Dax Mitglied Vonovia, Bayer, Deutsche Post, Allianz, Münchner Rück, Eon, BASF, Deutsche Börse, Deutsche Bank – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.“

Angesichts dieses wirtschafts-radikalen Hintergrunds von Merz ist eine Nachricht aus dem Newsticker der Tagesschau also alles andere als überraschend: "Die Spekulationen auf Bewegung in der Großen Koalition gab dem deutschen Aktienmarkt zusätzlichen Anschub. Insbesondere die mögliche Kandidatur des wirtschaftsnahen Friedrich Merz beflügelte den Dax."

Das dröhnende Schweigen zum UN-Migrationspakt

Interessant war das auch in dieser Woche fortgesetzte dröhnende mediale Schweigen zum geplanten Migrationsabkommen der UN. Immerhin wissen wir seit der Einladung des ARD-Chefredakteurs Kai Gniffke bei der AfD, wann er gedenkt, das Abkommen zu thematisieren: "Das Datum (der Unterzeichnung des Abkommens) ist der 11.12. Da bin ich sehr sicher, dass wir da noch berichten werden." Zu dem Thema kann man die Beiträge von Norbert Häring empfehlen, der hier die Folgen für Deutschland skizziert und die mediale Arbeitsverweigerung zum Abkommen thematisiert. Im Abkommen wird übrigens auch den Medien eine klare Rolle zugewiesen:

"Förderung unabhängiger, objektiver und hochwertiger Berichterstattung von Medien, auch indem Medienleute entsprechend sensibilisiert und unterrichtet werden und indem in ethische Berichtsstandards und Werbung investiert wird. Streichung finanzieller Unterstützung für Medienhäuser, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegen Migranten befördern, in vollem Respekt für die Freiheit der Presse."

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Diese Aufforderungen zeigen schon Wirkung, die sich etwa in dem Phänomen äußert, dass in der Debatte um das Abkommen standhaft der Unterschied zwischen "Flüchtlingen" und "Arbeitsmigranten" verwischt wird – wenn diese Debatte überhaupt zugelassen wird. Dass sich hinter den schönen Worten von der Grenzenlosigkeit ein radikales neoliberales Konzept verbirgt, wird auch in dieser Woche von keinem großen Medium thematisiert.

Die Grünen als neoliberale Medien-Darlings

Die in der letzten Kolumne prophezeite mediale Hilfestellung für die Grünen wird fortgeführt und sie hat mutmaßlich auch das Ergebnis der Hessenwahl beeinflusst. In der Kolumne wurde diese Medien-Strategie als "nachvollziehbar" beschrieben, weil dadurch "die neoliberale Phase noch über den Niedergang der SPD hinaus verlängert werden" könne. Diese Vermutung wurde nun in der dieswöchigen Berichterstattung zur Hessenwahl bestätigt, in der die Grünen als bejubelte und "unumstrittene Sieger" vom Platz gehen.

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Neben der Unterstützung der Grünen als SPD-Ersatz zielten in dieser Woche zahlreiche Artikel darauf ab, den Niedergang der Altparteien als die Folge von "Streit" zu deuten. Denn, so die taz in Anspielung auf die Große Koalition: "Niemand wählt gern ein missmutiges Durcheinander." Der entscheidende Vorteil der Grünen bestehe darum zurzeit darin, "dass sie ihre Machtfragen in Bund und Land geklärt haben. Sie sind mit sich im Reinen, ja regelrecht angetörnt von Hype und Einigkeit".

Die furchtbare Einigkeit der Altparteien

"Einigkeit" und "geklärte Machtfragen" als Qualitätskriterien der Demokratie? Diese Deutung kann nur als absurd bezeichnet werden. Im Gegenteil, kann man davon ausgehen, dass es gerade die furchtbare Einigkeit der Altparteien untereinander ist, die die Menschen zu "Alternativen" treibt, wie etwa die NachDenkSeiten angesichts der jüngsten Anne-Will-Talkshow schreiben: "Nichts könnte falscher sein als das bei Anne Will einmal mehr verbreitete Mantra von den Bürgern, die genug vom politischen Streit hätten. (…) Geradezu sehnsüchtig warten sie auf Politiker, die einen echten inhaltlichen Konflikt beginnen würden, die sich trauen würden, endlich wieder die Systemfrage zu stellen. Das wird von CDU, SPD, FDP und Grünen standhaft und selbstzerstörerisch verweigert."

Heiner Flassbeck hat das Phänomen auf seinem Blog nun ebenfalls untersucht:

"Wo es scheinbar keine Alternative gibt, wählen die Bürger plötzlich Alternativen – selbst wenn sie sich nur so nennen wie die Grünen oder die AfD. So ist Trump an die Macht gekommen und so wurde gestern in Brasilien eine Karikatur von einem Politiker zum Präsidenten gewählt, nur weil er verspricht, alles anders zu machen. Eine politische Elite, die auf beiden Augen wirtschaftsblind durch die Gegend taumelt, ist weder in Hessen noch in Brasilien mit einer stabilen Demokratie vereinbar.“

LINKE keine Alternative mehr

Die LINKE ist dagegen eine Partei, die scheinbar nicht merkt, dass sie gar nicht mehr als Alternative wahrgenommen wird. Statt dessen übt sie sich in Realitätsverweigerung: "Wir ziehen gestärkt in den Landtag ein", bejubelte Parteichefin Katja Kipping die Hessenwahl, wie das Neue Deutschland unter der Überschrift "LINKE holt ihr bisher stärkstes Ergebnis bei einer Hessen-Wahl" berichtet. Da muss erst Jens Berger Wasser in den Wein gießen: "In absoluten Zahlen hat die Linkspartei in Hessen im Vergleich zur Bundestagswahl im letzten Jahr 90.000 Stimmen – das ist ein ganzes Drittel – verloren."

Nochmals am Beispiel der Anne-Will-Talkshow wurde auch das Phänomen beschrieben, dass sich die Akteure, die die Politik und die Propaganda der letzten Jahrzehnte und damit die gegenwärtigen Verhältnisse (seien es Rechtsruck, Syrienkrieg, Pflegenotstand oder Altersarmut) geprägt haben, nun öffentlich weißwaschen: Mit dem Verweis auf die "Fratze AfD" solle von der eigenen Verantwortung von CDU, SPD, FDP und Grünen abgelenkt werden:

"Die eigene Existenz soll als 'letzter Schutz' vor den selber verursachten gesellschaftlichen Erschütterungen erscheinen. Die Wählerwanderungen innerhalb des Parteien-Quartetts können als politisch folgenlose Demokratie-Kosmetik betrachtet werden. Zu einer echten inhaltlichen Umkehr ist keine der bei Anne Will vertretenen Parteien bereit.“

Es war nicht alles schlecht

Als willkommenes, wenn auch grobes Gegengewicht zum Tenor der großen deutschen Medien sei im Lesetipp der Woche die aktuelle Ausgabe des Rotfuchs empfohlen. Zwar hat die allumfassende und radikale Stimmungsmache gegen Russland scheinbar leicht nachgelassen – es finden sich in den Mainstream-Medien aber noch immer jede Woche verzerrende Propaganda-Stücke wie diese Buchrezension des Deutschlandfunk über die Russland im eisernen Griff haltende organisierte Kriminalität.

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Solche Beiträge sind wie eine gewohnt tendenziöse Phoenix-Doku Mosaiksteine einer Taktik, die Ängste schüren und Rüstung rechtfertigen soll. Das stellt auch der Rotfuchs fest, der schreibt: "Krieg beginnt lange vor dem Krieg". Das Online-Medium fährt fort:

Krieg beginnt lange vor dem Krieg

"Es gehört seit einigen Jahren zum Ritual des Westens, Rußland als angeblichen Verursacher des neuen kalten Krieges erbarmungslos anzuklagen und mit Sanktionen zu bestrafen. In Leugnung aller aggressiven Handlungen des Westens gegenüber Rußland (…) werden das russische Reagieren und Rußlands Sicherheitsmaßnahmen als bedrohlich und friedensgefährdend dargestellt. Es scheint auf den ersten Blick verwunderlich, daß 28 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetmacht, nach der Geburt eines modifizierten Kapitalismus mit nationalen russischen Attributen, nach dem Wegfall eines politischen und sozialökonomischen Gegenpols zur westlichen imperialistischen Allianz eine solche scharfe Konfrontation entstehen konnte."

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