Deutschland

Das Chaos um die AfD ist nur das Vorspiel

Mit großer Hast wird medial das Spionagespiel jetzt auch auf China erweitert, und mittendrin steht die AfD. Aber die Kolportagen wie das unnatürliche Stillhalten seitens der Parteiführung sind nur der Einstieg in ein Durcheinander, das noch größer und vor allem existenzieller werden wird.

Von Dagmar Henn

Die ganze Nummer rund um die AfD ist komisch. Nein, damit meine ich nicht, dass diese Spionagegeschichten alles andere als solide sind. Auf den ersten Blick könnte man das Spektakel damit erklären, dass eine ungewünschte Konkurrenz unbedingt noch vor den Wahlen zum Europaparlament gestutzt werden muss und dass zu diesem Zweck alle Mittel recht sind. Nachdem ja die Medien in der Breite gut unter Kontrolle sind, geht das inzwischen auch ohne jeden Gehalt.

Sicher, man kann es als gegeben annehmen, dass da zum Teil ein Plan abgespult wird. Das war schon bei der Correctiv-Geschichte so, bei der zu viele Ereignisse rundherum, von einer Umfrage zum Verbot der AfD bis zu einer Petition, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen, zeitlich auf diese eine Veröffentlichung abgestimmt waren. Bei der Verhaftung eines Mitarbeiters des Europaabgeordneten Maximilian Krah wurde ähnlich verfahren. Nachdem man besagten Mitarbeiter bereits 2015 und 2016, wie Presseberichte nahelegen, observiert hatte, auch wenn er in dieser Zeit ebenfalls für den sächsischen Verfassungsschutz arbeitete, fällt ausgerechnet im laufenden Wahlkampf für das EU-Parlament den deutschen Behörden auf, dass er ein chinesischer Spion ist? Da wird es schon schwierig mit der plausiblen Abstreitbarkeit.

Aber das ist nicht, was seltsam ist. Seltsam ist die Reaktion der AfD-Führung, die tendenziell eher auf Mäuschen macht, obwohl alles, was angegriffen wird, hervorragende Vorlagen für Konter liefert. Wie die Sache mit Jian G., Krahs Mitarbeiter. Wenn jetzt in der Presse kursiert, er sei 2018 vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz "abgeschaltet" worden (zuvor soll er Informationen über Aktivitäten des chinesischen Geheimdiensts geliefert haben), und dass er 2019 die Arbeit bei Krah antrat, dann stellt sich schon die drängende Frage, ob er eventuell nur "abgeschaltet" wurde, um in ebendiesem Büro zu arbeiten, oder ob es sich nicht in Wirklichkeit sogar um einen Spitzel des Verfassungsschutzes im Büro eines Europaabgeordneten handelte. Jeder, der mit parlamentarischen Parteien näher zu tun hatte, weiß, dass die Stellenbesetzungen nach der Wahl meistens schon länger vor der Wahl feststehen, auch, weil sie innerhalb der Parteien ebenso als Verhandlungsmasse dienen wie die Abgeordnetenpositionen selbst. Mit derartigen Stellen werden oft Loyalitäten abgesichert und Dienste belohnt.

Ein Verfassungsschutzspion in einem Abgeordnetenbüro? Das ist selbst dann ein ungeheurer politischer Skandal, wenn die Presse erst einmal ihr Bestes tut, das zu verschweigen. Vor vielen Jahren, als die Linke noch richtig Opposition war, ging es einmal um Mikrofone in einem Besprechungsraum. Das ist nichts im Vergleich zu Mitarbeitern, die platziert werden. Da ist es egal, um welche Partei es geht – wenn ein Teil der Exekutive in die Legislative eingreift, die sie kontrollieren soll. Illegal würde eine solche Aktion nicht einmal ansatzweise beschreiben.

Oder dieses ganze Theater um Petr Bystron. Er soll ja nicht einmal von einem Russen Geld erhalten haben, sondern von einem Ukrainer. Was mittlerweile in den deutschen Medien mit der Formulierung kaschiert wird, es handle sich schließlich um "prorussische" Ukrainer. Nur – auch aus dieser Geschichte ließe sich ein Angriff machen. Einschließlich einer Darstellung in epischer Breite, wie mit besagten "prorussischen" Ukrainern in der Ukraine verfahren wird. Der Spiegel hat sich in seiner Berichterstattung gleich das Bandera-Vokabular zu Eigen gemacht und besonders betont, dass Medwedtschuk, als ihn Krah 2021 in Kiew besuchte, "wegen des Verdachts des Hochverrats unter Hausarrest stand". Dass er nach seiner Verhaftung bei seiner Freilassung deutliche Folterspuren zeigte, erwähnt der Spiegel natürlich nicht.

Aber es ist genau dieser Punkt, dass sich an diesem Fall politische Verfolgung nachweisen lässt und dass eben, wenn es um Kiew geht, politische Kontakte zur Opposition geradezu verboten sind, der sich zum Gegenangriff nutzen ließe. Wie war es denn im Falle des Journalisten Ruslan Kozaba, der wegen eines Videos jahrelang verfolgt wurde, in dem er nur seiner journalistischen Tätigkeit nachgegangen war? Bei dem die deutschen Medien damals (das war 2015, als sich in der Ukraine noch vieles hätte verhindern lassen) die Argumentation übernahmen, diese Meinungsäußerung sei Verrat gewesen, bis Jahre später zumindest im EU-Parlament die Verfolgung dieses Journalisten anerkannt wurde?

Nein, stattdessen fährt man eher den Wahlkampf herunter. Was schwer nachzuvollziehen ist, denn gerade der Europawahlkampf hat ein sehr günstiges Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag – die Abgeordneten bringen der Partei gute Mandatsträgerbeiträge, und die Wahlkampfkostenerstattung ist gut genug, sodass im Grunde der Europawahlkampf der ideale Zeitpunkt ist, um eine neue Partei finanziell gleich auf eine solide Basis zu stellen. Abzutauchen und betreten zur Seite zu blicken ist selten eine kluge politische Strategie, aber im Wahlkampf geradezu eine Todsünde.

Was man nur dann nachvollziehen könnte, wenn es keine Alternative gäbe; aber es gibt sie. Mehr noch, zumindest der Fall Jian G. ist eine Steilvorlage, die nicht zu verwandeln schon einer Herausforderung gleicht. Das ist der erste Punkt zum Stichwort "seltsam".

Was dann natürlich das spekulative Denken antreibt. Nachdem die ganze aufwendige Kampagne gegen die AfD zur Jahreswende wohl nicht den gewünschten Erfolg zeitigte, scheint die jetzige Runde mit heißer Nadel gestrickt. Aber was, wenn das eigenartige Wegducken insbesondere des Führungsduos Tino Chrupalla und Alice Weidel (so treffend sein Verweis auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst in einer Talkshow auch war) ein Vorspiel ist, um die AfD in einen "sauberen" und einen "schmutzigen" Teil aufzuspalten, damit Ersterer als möglicher Mehrheitsbeschaffer nach den anstehenden Landtagswahlen zur Verfügung steht? Denn derzeit geht sich die Wahlarithmetik in fast keinem Bundesland mehr aus, weil die Ampelparteien zu tief gestürzt sind. Und mögliche Regierungsposten schlagen natürlich einen Erfolg bei EU-Wahlen um Längen.

Das wären Manöver, die in der Berliner politischen Klasse durchaus nicht überraschen würden. Schließlich dauern Verbotsverfahren ewig, und das mobilisierte gesunde Volksempfinden hat es auch nicht wirklich gerissen. Aber es gibt auch noch eine Welt außerhalb der Berliner Blase.

Und da wird es wirklich kompliziert. Denn während der Spiegel aus einem bestenfalls dünnen Groschenheftchen einen James Bond macht, veröffentlichen Springer-Medien plötzlich ganz andere Geschichten. Nach gelegentlich in Politico lancierten Dosen über die ukrainische Realität erfolgt nun der große Schlag: das Dokument, um das in Istanbul verhandelt wurde, Ende März 2022, das um ein Haar den Krieg in der Ukraine beendet hätte.

Was sehr, sehr irritierend ist. Nicht nur, dass die ganze Geschichte rund um den abrupten Abbruch dieser Verhandlungen seitdem immer zu "russischer Propaganda" erklärt wurde und mit allen Mitteln abgestritten wurde, dass es das Eingreifen des Westens in Gestalt des britischen Premiers Boris Johnson war, das das darauf folgende Gemetzel ausgelöst hat. Der Springer-Konzern ist eigentlich von allen transatlantischen Medien das transatlantischste, nicht nur auf bedingungslose Treue zu den USA, sondern auch noch zu Israel gepolt. Und ausgerechnet die Welt, das Flaggschiff, veröffentlicht Material, das im Grunde jede Fortsetzung der "Unterstützung der Ukraine" unmöglich machen müsste.

Sicher, das wird es nicht, denn in der deutschen Politik wird längst nach einem simplen Motto verfahren: "Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen!" Aber wir sind noch nicht am Ende angekommen. Der nächste Punkt ist nämlich die anstehende Entscheidung, in einen Wirtschaftskrieg mit China einzutreten. Und da gibt es aus den Reihen der deutschen Industrie, bis hin zur Bundesbank, eine eindeutige Position: Das wollen und können wir nicht. Nur, dass diese Position in der deutschen Politik derzeit keinen Widerhall findet. Womit wir beim heiklen Punkt des nationalen Interesses wären.

Der Spiegel gibt sich in seiner Titelgeschichte große Mühe, die AfD geradezu zu Landesverrätern zu stilisieren, weil er sich im Besitz eines Papiers befindet, das angeblich Moskauer Vorgaben für die AfD-Politik enthalten soll. Und zitiert daraus:

"Ungebildete Politiker, die nicht in der Lage sind, die Folgen ihrer Entscheidungen zu kalkulieren, haben Deutschland in einen Konflikt mit Russland hineingezogen, einen natürlichen Verbündeten unseres Landes und unseres Volkes."

Wirklich sensationelle Erkenntnisse, auf die man ohne Moskauer Schützenhilfe auf keinen Fall kommen kann. Schließlich beeindrucken insbesondere Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck tagtäglich durch Verstand, Weitsicht und tiefe Kenntnisse, während Bundeskanzler Olaf Scholz durch sein standhaftes Auftreten bei US-Präsident Joe Biden weltweite Anerkennung genießt, oder so.

Der Spiegel hat es offenbar nicht einmal mitbekommen, dass auch das Stichwort "Deindustrialisierung" nicht mehr als "russische Propaganda" zu verkaufen ist, seit deutsche Industrievereinigungen ebendiesen Begriff verwenden, um die aktuelle Entwicklung zu beschreiben. Besonders abgründig scheint den Spiegel-Redakteuren jene Stelle aus dem vermeintlich entscheidenden Papier, in dem es um die Verhaltensgrundsätze von Politikern geht:

"Ein deutscher Politiker dürfe keine »Werte«, keine »Ideale«, keine »Verpflichtungen« haben, »die über den Interessen Deutschlands und den Verpflichtungen gegenüber dem deutschen Volk« stünden."

Klingt ein kleines Bisschen nach dem Amtseid und ist auf jeden Fall besser als das, was ansonsten gerade als "Staatsräson" auf dem Markt ist. Aber gerade dieser Punkt ist schwer mit der Vorstellung zu vereinbaren, es gehe um ein Handeln gegen deutsche Interessen (was hingegen bei der regierenden Ampel jeder Halbdebile in fünf Minuten darlegen kann).

Zumindest was den Spiegel betrifft kann man davon ausgehen, dass er brav transatlantisch bleibt und auch die Wendung zum Wirtschaftskrieg gegen China euphorisch begleiten wird, selbst wenn das bedeutet, dass er nur noch so lange existiert, wie die Staatskasse die nötigen Stützungszahlungen hergibt. Springer hat sich mit den jüngsten Veröffentlichungen eher als eine Art Joker positioniert. Die politische Klasse in Berlin samt ihrer Ableger in den Bundesländern, die bekanntlich intellektuell gelegentlich deutlich gefordert ist, dürfte erst einmal einfach das Programm weiter abspulen, das nun einmal zur Abwehr der AfD erarbeitet wurde.

Aber selbst wenn Weidel und Chrupalla tatsächlich bereit oder gar Willens wären, die AfD als eine Art Steinbruch zur Mehrheitsbeschaffung zu nutzen, würde das noch immer nichts über den Ausgang des Spiels sagen. Was würde in der deutschen Politik geschehen, wenn die Industrie, die den Wirtschaftskrieg mit China nicht wollen kann, ihre Möglichkeiten ausspielt? Die ganze Palette, von Schmiergeld bis Erpressung? Man sollte nie vergessen, jeder Großkonzern hat seinen eigenen Geheimdienst. Nun, nachdem klar ist, dass die Schäden durch die Russland-Sanktionen durch keinerlei Beute ausgeglichen werden und es maximalen Schaden anrichten würde, weiter im Kielwasser der US-Politik zu schwimmen, nachdem erkennbar eine existenzielle Frage auf dem Tisch liegt, dürfte das Spiel wirklich interessant werden. Es mag ja sein, dass die Berliner Kaste sich gerne von Blackrock und Soros aushalten lässt, aber letzten Endes dürften sich die örtlichen Stenze nicht ganz ohne Gegenwehr sämtliche Pferdchen ausspannen lassen, weder die politischen noch die medialen.

Der unerklärliche Schwenk bei Springer könnte ein Indiz dafür sein, dass da etwas in Bewegung geraten ist. Was dazu führen könnte, dass das aktuelle Theater noch eine Zeit lang weiterläuft und dann am Ende das Ergebnis ein völlig anderes ist. Oder die Auseinandersetzung, die sich im Hintergrund abzeichnet, plötzlich in den Vordergrund tritt und die billigen Agentengeschichten durch einen echten Machtkampf ersetzt werden. Der, eben weil er existenziell ist, durchaus das Spielfeld der parlamentarischen Demokratie hinter sich lassen könnte.

Keine hübsche Aussicht, die andere Option ist aber noch etwas hässlicher – es passiert nichts, Berlin bleibt, wie es ist, die China-Sanktionen werden abgenickt, und das Land verfällt weiter. Nur dass es sich dabei nicht um einen linearen Prozess handelt, sondern einen exponentiellen, und der Punkt, ab dem die langsame horizontale Entwicklung in eine immer schnellere vertikale übergeht, bereits überschritten wurde.

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