Münchner Missbrauchsgutachten sorgt für zahlreiche neue Kirchenaustritte in Bayern
Der 20. Januar 2022 scheint zukünftig für viele gläubige Katholiken in Deutschland ein denkwürdiges Datum zu sein. An diesem Tag veröffentlichte die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) ein Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in den Jahren 1945 bis 2019. Das Ergebnis war für viele Gläubige ein Schock, eine tiefe Enttäuschung in Bezug auf grundlegende Werte ihres Daseins.
Nun ergeben die jüngsten Zahlen einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass die Details des Inhalts zum Versagen der Erzdiözese München der katholischen Kirche nachhaltige Auswirkungen bescheren, dies sei vor allem in Bayern zu beobachten.
Die dpa wollte von mehreren Städten in dem Freistaat erfahren, wie sich das Gutachten in Bezug auf die Anträge zum Kirchenaustritt darstellt. Das Ergebnis zeigt, dass in Bayern die Standesämter mancherorts doppelt so häufige Kirchenaustritte wie zuvor verzeichnen. Ein Experte geht von einem Austritts-Rekord im Jahr 2022 aus. Ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferates (KVR) teilte der dpa mit:
"In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, hatten wir in München pro Arbeitstag in etwa 80 Kirchenaustritte. Seit dem 20. Januar, also seit dem Gutachten, sind es um die 150 bis 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag. Also etwa doppelt so viele."
Bambergs Erzbischof Ludwig Schick kommentierte die Ergebnisse des Missbrauchsgutachten dahingehend, dass "zu viele Amtsträger schuldhaft oder unachtsam, bewusst oder unbewusst, schreckliche Taten begangen, sie verschleiert oder deren Aufdeckung verhindert hätten". Schick wörtlich:
"Klerikalismus, hierarchische Überhöhung, Klüngelbildung, Seilschaften und Machtmissbrauch sind Ursachen dafür."
Laut dpa gehen die Bayerischen Kommunen davon aus, dass die massiven Kirchenaustritte bis auf Weiteres so weitergehen werden. Die Nachfrage nach dementsprechenden Anträgen sei aktuell dreimal so hoch wie noch am Anfang dieses Jahres, so ein Sprecher gegenüber der dpa. Doch dieses Arbeitsvolumen sei kaum auf Dauer zu bewältigen. Dabei seien jetzt schon Kapazitätsgrenzen hinsichtlich des benötigten Personals zur Bearbeitung der Vorgänge erreicht worden, obwohl die Kreisverwaltungsreferate auch bereits die Öffnungszeiten verlängert und mehr Leute eingesetzt hätten. Daraus ergebe sich das Problem, dass es "wegen der sehr hohen Nachfrage voraussichtlich nicht möglich sein wird, alle Austrittswünsche zeitnah zu bedienen".
Der Religionspädagoge Ulrich Riegel benennt gegenüber der dpa weitere Gründe für die immense Steigerung der Zahlen nun beantragter Kirchenaustrittswünsche:
"Zum einen war besagtes Gutachten viel klarer als die bisherigen, denn es hat konkrete Personen benannt. Zum anderen war mit Joseph Ratzinger eine Person unter den angesprochenen, der als Papa Emeritus eine größere öffentliche Wirkung entfaltet als etwa die Bischöfe von Köln und München. Außerdem dürfte die Reaktion Ratzingers auf das Gutachten wohl auch viele der Vorwürfe bestätigt haben, die zum Umgang der Kirche mit dem Missbrauch im Raum stehen."
In Regensburg, der Stadt, in der Ratzinger als Theologieprofessor lebte und arbeitete und in der er 2020 noch seinen Bruder Georg kurz vor dessen Tod besuchte, zählte das Standesamt seit Jahresbeginn rund 550 Kirchenaustritte - im Vergleich zu 269 im ganzen Vorjahr, so die Angaben bei dpa.
Andere Städte in Bayern bestätigen laut Focus diesen Trend: "Das Standesamt Nürnberg meldete zwischen dem Tag der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens am 20. Januar und dem 14. Februar 617 Kirchenaustritte, davon 381 aus der katholischen, 234 aus der evangelischen Kirche und 2 Sonstige. Vor zwei Jahren – im Vergleichsjahr 2020 – hatte das Standesamt in diesem Zeitraum nur 372 Austritte, davon 200 katholisch, 165 evangelisch und 7 Sonstige."
In Ingolstadt erklärten demnach vom 20. Januar bis zum 17. Februar 254 Personen ihren Austritt aus der Kirche – im selben Zeitraum des Vorjahres waren es 84. Die aktuellen Ereignisse forcieren einen generellen Trend in Deutschland, die Kirche als Mitglied zu verlassen. In der nordrhein-westfälischen Stadt Essen haben sich die Austrittszahlen im Vergleich zum Vorjahr 2020 ebenfalls bereits verdoppelt. 4145 Kirchenaustritte bedeuten einen neuen Rekord 2021, im Jahre 2020 waren es insgesamt 2809, so Informationen der Tagesschau. Für einen Kirchenaustritt haben sich in ganz Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 155.322 Menschen entschieden. Das wären so viele wie noch nie in der bis in das Jahr 2011 zurückreichenden Statistik, so die Angaben gegenüber der Tagesschau.
Die Inhalte des Missbrauchsgutachten listen mit 1893 Seiten insgesamt 497 mutmaßliche Opfer des sexuellen Missbrauchs auf. Davon waren 247 männlichen und 182 weiblichen Geschlechts. In 68 Fällen habe eine eindeutige Zuordnung nicht vorgenommen werden können. Sowohl bei den männlichen als auch bei den weiblichen Geschädigten war die Altersgruppe der 8- bis 14-Jährigen mit 59 Prozent beziehungsweise 32 Prozent deutlich überrepräsentiert. Die Gutachter erheben schwere Vorwürfe unter anderem gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, dem sie vierfaches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen vorwerfen.
Der katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster wird mit den Worten zitiert, dass derzeit nicht zu erkennen sei, wie die "Talfahrt der Kirchen" noch gestoppt werden könne. Schüller befürchtet:
"Die katholische Kirche rast mit diesen Zahlen in den Abgrund ihrer Bedeutungslosigkeit. Die katholische Kirche in ihrer bekannten Sozialgestalt stirbt ohne Hoffnung auf Wiederkehr."
Unabhängig von den aktuellen Ereignissen und der aktuellen Dynamik waren 2020 in Deutschland bereits 221.390 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten, fast in gleicher Höhe etwa 220.000 aus der evangelischen Glaubensgemeinschaft.
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