Ein kalter Winter – Insolvente Versorger und geopolitische Spielchen
Eine Analyse von Dagmar Henn
Es knirscht und kracht auf dem Strom- und Gasmarkt. Erst gestern wurde ein weiterer Gasversorger gemeldet, der die Versorgung einstellte; heute kam der erste Bericht, dass ein Ersatzversorger die Belieferung der Kunden verweigerte. Dabei handelte es sich um Mitgas, die Mitteldeutsche Gasversorgung, die in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen liefert.
Mitgas erklärte, die 5.000 Kunden, die zur Ersatzversorgung anstünden, seien das Zehnfache dessen, was gewöhnlich anfiele; die Belieferung sei wirtschaftlich nicht zumutbar. Sie boten den von ihrem Versorger im Stich Gelassenen nur Neukundenverträge mit deutlich höheren Tarifen.
Wenn ein Gas- oder Stromversorger die Versorgung einstellt, ist der regionale Grundversorger verpflichtet, die Kunden für einen Zeitraum von drei Monaten weiter zu versorgen, auf Grundlage des Ersatzversorgungstarifs, der höher ist als der Regeltarif, aber bei weitem nicht die aktuellen Zukaufpreise auf den Energiemärkten wiedergibt. Der regionale Grundversorger ist der jeweils größte Anbieter. In vielen Fällen sind das noch kommunale Unternehmen. Im Falle von Mitgas handelt es sich aber um eine Tochter von E.on, eines der größten deutschen Energiekonzerne.
In jenen Gebieten, in denen ein örtlicher Anbieter tatsächlich noch den Markt dominiert, sind die zunehmenden Ausfälle ein beherrschbares Problem. Die Stadtwerke München, die als größter kommunaler Energieversorger nach wie vor weit mehr als die Hälfte der Stadt versorgen, haben keine Probleme, die Ersatzversorgungsfälle, die nach ihren Angaben im oberen vierstelligen Bereich liegen, zu bewältigen, obwohl auch sie diese Kunden über den Spotmarkt versorgen müssen.
In Gegenden mit einem sehr stark aufgesplitterten Strom- oder Gasmarkt kann das anders aussehen. Ein Versorger, der mit nur einem Drittel der örtlichen Kundschaft Grundversorger ist, gerät wesentlich schneller in finanzielle Nöte. In diesen Gebieten könnten geradezu Kaskaden von Insolvenzen auftreten, weil kein einzelner Versorger groß genug ist, um Ausfälle aufzufangen.
Im Falle von Mitgas ist im Grunde absurd und nur deshalb denkbar, weil sich große Konzerne wie Eon in hunderte von Tochter- und Enkelunternehmen aufteilen dürfen. Mitgas ist eine hundertprozentige Tochter von Enviam, und Enviam wiederum von E.on. E.on ist nicht nur augenblicklich noch Betreiber von drei Kernkraftwerken, die zum Jahreswechsel vom Netz gehen, sondern auch Mitinvestor bei Nord Stream 2.
Für die Gas- wie für die Stromverbraucher dürfte es ab dem ersten Januar erst wirklich spannend werden. Denn ursprünglich war Nord Stream 2 unter anderem dafür geplant, den Anteil der Kernkraftwerke an der Stromversorgung zu ersetzen, wenn diese abgeschaltet werden. Die Bauzeit war auf diesen Zeitpunkt hin berechnet. Dass ein Teil der gegenwärtigen Bundesregierung der Vorstellung anhängt, das Projekt sei im russischen und nicht primär im deutschen Interesse – Russland kann sein Gas jederzeit nach China verkaufen – und deshalb die Pipeline am liebsten gar nicht in Betrieb nehmen möchte, war nicht eingeplant. Momentan jedenfalls gibt es für die knapp acht Gigawatt, die die noch bestehenden Kernkraftwerke zur Stromversorgung beitragen, keinen Ersatz.
Die Konsequenz daraus ist, dass die Stromversorgung in Konkurrenz zur Gasversorgung tritt, und im Falle eines Engpasses wird die Versorgung der Gaskraftwerke den Vorrang vor der Versorgung der Endverbraucher erhalten.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserversorger hat inzwischen wegen der ausfallenden Lieferunternehmen Alarm geschlagen. Er verweist darauf, dass die Grundversorger sich für die zusätzlichen Kunden auf dem Spotmarkt eindecken müssten, und fordert: "Die Bundesregierung sollte daher veranlassen, dass Energieversorger unter bestimmten Voraussetzungen bei Bedarf temporär auf zinslose zweckgebundene Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau zurückgreifen können." Teurere Neukundenverträge sollten rechtssicher ermöglicht werden. Und: "Außerdem muss die Steuer- und Abgabenlast auf Energie reduziert werden, einkommensschwache Haushalte müssen über sozialpolitische Instrumente entlastet werden."
Die besagte Steuer- und Abgabenlast ist die höchste in Europa. Ein Teil davon ist die CO2-Steuer, die im Januar auch noch erhöht werden soll und die schon im letzten Jahr zu einer spürbaren Steigerung der Energiepreise beigetragen hat.
Schon in den vergangenen Jahren musste Deutschland vor allem während der winterlichen "Dunkelflaute" (wenn sowohl Solar- als auch Windstrom ausfallen) Strom aus den Nachbarländern importieren, um die Sicherheit des deutschen Netzes zu garantieren. Nun sind in Frankreich gleich vier Atommeiler für Reparaturen stillgelegt, was die Aussichten, die Lücken der Dunkelflaute stopfen zu können, deutlich verringert (auch da kann man sich fragen, ob das nicht ein freundlicher Gruß aus Paris ist, im Wissen um die deutschen Probleme).
Die Risiken bei der Energieversorgung kommen in diesem Winter also gleich von zwei Seiten: von der materiellen (wie viel Gas und Strom sind vorhanden) wie von der finanziellen (wie viele Versorger fallen noch aus oder reagieren wie Mitgas). Und eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht, weil die Bundesregierung sich über geopolitische Spielchen mit Nord Stream 2 streitet. Daran werden auch die US-Flüssiggastransporter nichts ändern, die gerade ihre Route geändert haben, um statt Asien das momentan lukrativere Europa anzusteuern.
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