Deutschland

Ansage vom Kanzleramtschef Braun: "Geimpfte werden mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte"

Offiziell lehnt die Bundesregierung eine Impfflicht noch immer ab. Doch sollen Nichtgeimpfte in Deutschland – wie etwa in Großbritannien oder Frankreich – bald weniger Freiheiten als Corona-Geimpfte genießen. Der Staat habe die Pflicht, die Gesundheit der Bürger zu schützen, so Kanzleramts-Chef Helge Braun.
Ansage vom Kanzleramtschef Braun: "Geimpfte werden mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte"Quelle: www.globallookpress.com

Bereits Ende April – nach dem sogenannten "Impfgipfel" – sprach der Chef des Bundeskanzleramts Helge Braun im ARD-Morgenmagazin davon, dass eine hohe Impfbereitschaft einen "schönen Sommer" verspreche. Für Geimpfte stellte Braun schon konkrete Erleichterungen in Aussicht.

"Die Bundesjustizministerin wird mit dem Gesundheits- und dem Innenminister nun eine Verordnung vorbereiten, die genau das vorsehen soll. Dass nämlich bei Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen vollständig Geimpfte und diejenigen, die genesen sind von dem Coronavirus, bei Kontaktbeschränkungen zum Beispiel nicht mitgezählt werden."

Während die Zahl der positiv Getesteten immer weiter sank, wuchs die Zahl der Geimpften zu jenem Zeitpunkt kontinuierlich, erreichte aber bis zum Sommer keineswegs die von der Bundesregierung erwünschten Zahlen für eine sogenannte "Herdenimmunität".

Aktuell peilt die Bundesregierung nun eine Impfquote von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und von über 90 Prozent bei den über 60-Jährigen an. Der Vorstandsvorsitzende der kassenärztlichen Vereinigung Andreas Gassen kritisierte die Quote zuletzt als "skurril".

Angesichts von rund 14 Millionen Kindern und Jugendlichen und etwa einem Zehntel strikter Corona-Impfgegner seien solche Zahlen nicht realistisch, so meint Gassen. Zudem sei eine Herdenimmunität wohl auch mit einer kompletten Durchimpfung der Gesellschaft nicht zu erreichen. Dennoch sei zu befürchten, dass die Regierung eine Beendigung ihrer Corona-Maßnahmen von einer kaum zu erreichenden Impfquote abhängig machen könnte, erklärte Gassen gegenüber dem Tagesspiegel. An anderer Stelle sprach Gassen angesichts der erhofften Herdenimmunitäts-Quote von "Science Fiction".

In der Zwischenzeit ist nun Sommer und die Politiker sind vielerorts von der mahnenden Aufforderung, sich gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen, zu der strikten Einführung von vorgeschriebenen Impfungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen übergegangen – wie etwa jüngst in Frankreich, wo nun etwa das Gesundheitspersonal zur Corona-Impfung verpflichtet ist. Zuletzt protestierten 150.000 Menschen in Frankreich gegen das neue Impfregime und forderten sogar den Rücktritt von Präsident Macron.

In Großbritannien wiederum wurde vor wenigen Tagen der sogenannte "freedom day" gefeiert, an dem in England sämtliche Corona-Beschränkungen aufgehoben wurden. Zugleich verkündete Premierminister Boris Johnson jedoch, dass ab Ende September nur noch zwei Mal geimpfte Personen Veranstaltungen mit "größeren Menschenansammlungen" werden besuchen dürfen. Dazu zählen bislang etwa Clubs und Bars.

Währenddessen erneuerte Kanzleramtsminister Braun am Sonntag seinen Impf-Appell an die Bevölkerung in Deutschland und verband das mit der Ankündigung, wonach Ungeimpfte im Herbst nun "definitiv" mit Einschränkungen zu rechnen hätten.

Gegenüber der Bild am Sonntag erklärte Braun, es gebe zwei Argumente für eine Impfung. So schütze eine Impfung zu 90 Prozent vor einer schweren Corona-Erkrankung.

"Und: Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte."

Solange die Impfstoffe gegen die Delta-Variante so gut helfen, sei ein klassischer Lockdown nicht mehr nötig, argumentierte Braun laut dpa. Aber wenn Deutschland "eine hohe vierte Welle" bekäme, würde das nicht ohne Auswirkungen bleiben, heißt es weiter.

"Bei hohem Infektionsgeschehen trotz Testkonzepten würden Ungeimpfte ihre Kontakte reduzieren müssen. Das kann auch bedeuten, dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist."

Auf die Frage, ob das rechtlich zulässig wäre, antwortete Braun demzufolge mit einem "Ja", denn der Staat habe schließlich die "Pflicht, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen".

"Dazu gehört ein Gesundheitswesen, das im Winter nicht erneut Krebs- und Gelenkoperationen zurückstellen muss, um Corona-Patienten zu behandeln."

Zudem es gehe es nun auch darum, auch den "Schutz derjenigen" zu gewährleisten, "die ungeimpft sind". Wenn die Inzidenz wie erwartet steige, werde es außerdem auch sehr schwer werden, die Infektionen aus den Schulen herauszuhalten.

"Daher ist für mich ganz klar: Eltern, Lehrer, Hausmeister und Schulbus-Fahrer müssen sich impfen lassen. Wenn diese Gruppen alle geimpft sind, ist die Gefahr für die Kinder geringer."

Außerdem müsse die Maskenpflicht in öffentlichen Bussen und Bahnen und im Schulunterricht konsequent gelten, wo Abstand und Lüftung nicht ausreichten.

Unterdessen appellierten die Kommunen an Bund und Länder, einen weiteren Corona-Lockdown im Herbst zu verhindern. Ein Lockdown wäre verheerend für die Menschen, aber auch für die Wirtschaft, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg nun gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Viele Bürgerinnen und Bürger würden eine solche Maßnahme kaum akzeptieren, meinte er. Bund und Länder müssten sich zeitnah darauf verständigen, wann und wo welche Maßstäbe für weitere Einschränkungen im Herbst gelten sollen. Landsberg erklärte, es sei "absehbar, dass die Inzidenzzahlen weiter steigen werden".

Die Krankheitsverläufe seien aber weniger gravierend, da in erster Linie eher jüngere Menschen betroffen seien. Es müsse ein neuer Maßstab gefunden werden:

"Er muss die Inzidenz, aber auch die Belastung der Krankenhäuser in den Blick nehmen. Das sollte bundeseinheitlich zwischen den Ländern vereinbart werden."

Es müsse verhindert werden, "dass in einem Land die Restaurants wieder schließen, weil die Inzidenz über 100 steigt und in einem anderen Land dies schon bei 50 oder erst bei 150 erfolgt."

Unterdessen erlangt die Debatte um die Bewertung des Impfgeschehens anhand der Inzidenzzahlen immer weiteren Auftrieb. War die Inzidenz als Indikator zur Bemessung des tatsächlichen Pandemiegeschehens bereits zuvor unter fachkundigen Beobachtern umstritten, gilt dies mit steigender Impfquote nun offensichtlich erst recht, denn "durch die fortschreitende Impfquote zieht eine höhere Inzidenz nicht mehr zwangsläufig die gleichen Effekte auf die Belastung der Krankenhäuser und auf die Todeszahlen nach sich".

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Samstag sind in Deutschland 49,1 Prozent der Menschen bereits vollständig geimpft. 60,8 Prozent der Bevölkerung haben demzufolge mindestens eine erste Impfdosis erhalten. Bedingt durch die Delta-Variante des Virus stieg die Sieben-Tage-Inzidenz zuletzt auf 13,8.

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