Deutschland

Zweiter Lockdown führt zu einer massiven Ausweitung von psychischen Belastungen und Depressionen

Die Situation von Menschen mit diagnostizierter Depression verschlimmert sich im Lockdown dramatisch. Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe warnt: "Es müssen auch Leid und Tod systematisch erfasst werden, die durch die Maßnahmen verursacht werden."
Zweiter Lockdown führt zu einer massiven Ausweitung von psychischen Belastungen und DepressionenQuelle: Gettyimages.ru © Maskot

Der zweite Lockdown und seine ständige Verlängerung verschlechtern signifikant den Krankheitsverlauf und die Versorgung von psychisch erkrankten Personen. Die Auswirkungen treffen aber auch die Bevölkerung insgesamt: Drei von vier Personen geben an, sich psychisch belastet zu fühlen – deutlich mehr als noch im ersten Lockdown. Das geht aus einer bundesweit repräsentativen Befragung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe hervor, die am Dienstag veröffentlicht wurde. Für die Sondererhebung des sogenannten "Deutschland-Barometers Depression" wurden rund 5.100 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren – mit und ohne diagnostizierter Depression – von Mitte bis Ende Februar befragt.

Aus der Studie geht hervor, dass 71 Prozent der Befragten die Situation im zweiten Lockdown als bedrückend empfinden. Im ersten Lockdown waren es 59 Prozent, im Sommer 2020 sogar nur 36 Prozent. 51 Prozent geben an, sich weitgehend aus der Gesellschaft zurückgezogen zu haben. 46 Prozent der Befragten erleben ihre Mitmenschen als rücksichtsloser. Jeder Dritte hat Sorgen um seine berufliche Zukunft, und ein Viertel der Befragten fühlt sich "familiär stark belastet". Alle Werte sind im Vergleich zum ersten Lockdown 2020 gestiegen.

Besonders betroffen von den Auswirkungen des sich hinziehenden zweiten Lockdowns sind Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, macht deutlich:

"Die Maßnahmen gegen Corona führen zu Versorgungsdefiziten und depressions-spezifischen Belastungen, die gravierende gesundheitliche Nachteile für die 5,3 Millionen Menschen mit Depression in Deutschland bedeuten."

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe berichtet, dass die Corona-Maßnahmen "zu massiven Einschnitten in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen" führten – insbesondere "zu einer wegbrechenden Alltagsstruktur, die für diese Patienten besonders wichtig ist". 44 Prozent der Menschen mit diagnostizierter Depression berichten von einer Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufs in den letzten sechs Monaten bis hin zu Suizidversuchen.

Hegerl sieht dafür nach einem Bericht des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) zwei Gründe: Zum einen "sind das die Auswirkungen der häuslichen Isolation" mit noch weniger Kontakten und weniger Bewegung. Zum anderen führten die Corona-Maßnahmen zu massiven Einschnitten in den Therapieangeboten. Er konkretisiert:

"Die schon vor der Pandemie angespannte Versorgungslage psychisch erkrankter Menschen hat sich weiter verschärft: 22 Prozent der Menschen in einer akuten depressiven Krankheitsphase geben an, keinen Behandlungstermin zu bekommen."

Laut der Studie verschlechterten häusliche Isolation und Kontakteinschränkungen den Gesundheitszustand von Personen in einer depressiven Krankheitsphase deutlich. Der zweite Lockdown führt zu einer signifikanten Verschärfung der Situation. Bei den Befragten in einer diagnostizierten depressiven Phase ergeben sich – im Vergleich mit der Situation im Juni/Juli 2020 – folgende Zahlen:

  • 89 Prozent fehlt "der direkte Kontakt zu anderen" (Anstieg um 15 Prozentpunkte)
  • 87 Prozent geben an, sich zu wenig zu bewegen (Anstieg um 7 Prozentpunkte)
  • 85 Prozent fühlen sich "einsam und isoliert" (Anstieg um 12 Prozentpunkte)
  • 79 Prozent geben an, ihr Schlaf habe sich verschlechtert (Anstieg um 16 Prozentpunkte)
  • 64 Prozent sagen, sie verbringen mehr Zeit im Bett (Anstieg um 9 Prozentpunkte)

Hegerl betont die Wichtigkeit, die ein "geregelter Tagesablauf und ein fester Schlaf-wach-Rhythmus" für Depressionspatienten hätten. Ein Wegbrechen dessen "kann den Krankheitsverlauf der Depression negativ beeinflussen". Besonders besorgt ist der Mediziner aber wegen der Zahl der Suizidversuche: "8 Prozent der Befragten hatten Suizidgedanken oder suizidale Impulse." In der Studie gaben 13 Befragte aus der Gruppe "mit diagnostizierter oder selbst-diagnostizierter Depression" an, "im letzten halben Jahr einen Suizidversuch unternommen zu haben". Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe schreibt: "Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung würde das allein für diese Gruppe Betroffener circa 140.000 Suizidversuche innerhalb eines halben Jahres ergeben". Hegerl mahnt:

"Es ist dringend notwendig, bei der Entscheidung über Maßnahmen gegen Corona den Blick nicht nur auf das Infektionsgeschehen zu verengen. Es müssen auch Leid und Tod systematisch erfasst werden, die durch die Maßnahmen verursacht werden."

Nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind in Deutschland 5,3 Millionen Menschen an Depressionen erkrankt. Sarah Spieker ist eine von ihnen. In einem RND-Bericht gibt die 36-Jährige an, seit 13 Jahren immer wieder unter schweren Depressionen zu leiden, die teilweise stationär behandelt werden. Seit der Pandemie fehle ihr vor allem "die Nähe zu anderen Menschen", erzählt sie. Die Therapietermine per Video hätten ihr nur zum Teil weiterhelfen können: "Schon das Hinfahren zur Therapie, sich dafür vernünftig anzuziehen, hat mir Tagesstruktur gegeben." Belastend findet Spieker nach eigenen Aussagen, dass beim Thema Corona ständig "so viele Meinungen von so vielen Menschen" auf sie einprasseln würden. "Fast nach jeder Tagesschau ein Corona-Spezial", bei dem sie klare Entscheidungen vermisse – und kein Ende in Sicht: "Man weiß nie so richtig, was nun genau kommt."

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Informationen:

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet auf ihrer Homepage Informations- und Hilfsangebote für von Depressionen betroffene Personen. Zudem stellt die Stiftung das deutschlandweite Infotelefon Depression zur Verfügung: 0800 3344533.

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