Sigmund Jähn wird die Ehrung als DDR-Kosmonaut in Halle (Saale) verweigert
Das neue Planetarium in Halle (Saale) wird nicht nach dem DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn benannt. Das hat der Stadtrat vergangene Woche beschlossen. Eine Mehrheit von CDU, Bündnis 90/Die Grünen und AfD stimmte dem eingebrachten Vorschlag zu, dass der Neubau des Planetariums künftig "Planetarium Halle" heißen soll. Vor der Entscheidung war erneut eine Debatte um den Namenszusatz "Sigmund Jähn" als dem ersten Deutschen im All entbrannt. Die Fraktion der Linken hatte diesen Vorschlag gemeinsam mit den Fraktionen von SPD und "Die Partei" eingebracht, um die Lebensleistung des ersten Deutschen im All zu würdigen. Die Gegner dieser Benennung des bisherigen Planetariums führten an, dass Jähn ein Repräsentant der DDR gewesen wäre.
In Halle (Saale) wurde zu Zeiten der DDR im Jahre 1978 auf der Peißnitzinsel ein Planetarium mit dem Namen "Sigmund Jähn" eröffnet. 2013 wurde dieses Gebäude bei einem Hochwasser schwer beschädigt und später abgerissen. Im Rundbau eines ehemaligen Gasometers am Holzplatz soll bis Ende 2021 das neue Planetarium entstehen. Die Linke beantragte die erneute Ehrung von Jähn, was zunächst nach Angaben der Tageszeitung Neues Deutschland auch CDU, Grüne und FDP unterstützten. Dann entbrannte eine Debatte über die Rolle des hoch geehrten NVA-Offiziers in der DDR.
Sigmund Jähn (1937-2019) war der erste Deutsche, der einen Flug in das Weltall unternommen hat. Am 26. August 1978 machte sich der DDR-Bürger zusammen mit seinem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski im dem Raumschiff Sojus-31 auf den Weg zur sowjetischen Orbitalstation Saljut-6, wo sie zahlreiche wissenschaftliche Experimente durchführten. Mit seinem achttägigen Flug, bei dem Jähn 125mal die Erde umrundete und sie dabei mit einer in der DDR bei Carl-Zeiss Jena produzierten Multispektralkamera MKF-6m erforschte, war er in der DDR und der BRD schlagartig bekannt geworden. Jähn kehrte am 3. September 1978 mit der Rückkehrkapsel des Raumschiffes Sojus-29 zur Erde zurück. In Anerkennung seiner Pioniertat wurde er vom Oberstleutnant zum Oberst der NVA befördert.
In der politischen Debatte ging es aber nicht um Jähns Erfolge als Kosmonaut, sondern um seine Herkunft aus der DDR und seine Nähe zur politischen Führung der DDR. Birgit Neumann-Becker, Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, hatte erklärt, man müsse bei einer Vergabe des Namens "zwingend die Verwicklung von Sigmund Jähn in die politische Doktrin der SED-Diktatur" dokumentieren. Der "persönlich sympathische Kosmonaut" habe diese schließlich "bis zum Schluss verteidigt". Daraufhin gingen zahlreiche Stadträte auf Distanz zu dem ursprünglich unterstützten Antrag.
Katja Müller, Vorsitzende der Linksfraktion im Rat, hält das für eine völlig überzogene Debatte, "wie wir sie vor 30 Jahren geführt haben". Sigmund Jähn sei "nicht Erich Mielke gewesen". Die Linksfraktion argumentierte, Jähn sei "nicht ausschließlich der DDR-Flieger, auf den ihn seine Kritiker reduzieren". Sie plädierte für ein Signal zur Anerkennung ostdeutscher Lebensleistungen: Es sei "an der Zeit, Ost-Biografien den angemessenen Platz einzuräumen".
Die Mehrheit im Stadtrat folgte diesem Appell nicht. Zwar bekannte sich etwa die SPD zu Jähn als Namensgeber: Man könne, erklärte Fraktionschef Eric Eigendorf nach Angaben des Neuen Deutschland, seine Lebensleistung anerkennen "und zugleich sein Wirken in der DDR kritisch würdigen". Die CDU argumentierte jedoch, Jähns Leistung sei schließlich "nur durch die Einbindung in das DDR-Regime möglich gewesen". Auch die Fraktion Hauptsache Halle stellte sich gegen den Antrag und brachte den Namen des US-Astronauten Neil Armstrong ins Spiel. Die AfD favorisierte den Astrophysiker Alfred Weigert, der die DDR nach dem Mauerbau 1961 verlassen hatte. Auch der Name des 44-jährigen deutschen Astronauten Alexander Gerst fiel in der Diskussion. Die FDP wollte die Namensrechte gar versteigern, berichtet das Neue Deutschland.
Vergangene Woche setzte sich schließlich ein Kompromissvorschlag der Grünen-Fraktion durch: Das Planetarium in Halle (Saale) wird nun Planetarium Halle (Saale) heißen – ohne jeglichen Beinamen. Die Linke-Fraktionsvorsitzende Müller nannte dies den "mutlosesten Kompromiss, den man finden kann". Die Hallenser Bundestagsabgeordnete Petra Sitte (Linke) kritisierte diese "unfassbar kleingeistige" Entscheidung.
Sigmund Jähn gilt nicht nur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als anerkannte, historische Persönlichkeit. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des DLR, Sigmar Wittig betonte: "Die Verdienste von Sigmund Jähn für die nun erreichte internationale und friedliche Zusammenarbeit im Weltraum können nicht hoch genug eingeschätzt werden". Die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) hatte sich in einem Brief an den Stadtrat von Halle (Saale) gewandt und auf die Bedeutung Jähns für die deutsche Raumfahrt hingewiesen.
Jähn selbst hat sich zeitlebens aus der "großen Politik" herausgehalten. Obwohl nach ihm zahlreiche Straßen und Schulen benannt wurden und er als Held in der DDR inszeniert wurde, hat er sich selbst niemals in den Mittelpunkt gestellt. Er sah seine Rolle eher in der Erforschung des Weltalls. Nach dem Ende der DDR blieb er der nun bundesdeutschen Raumfahrt wie auch der Europäischen Raumfahrtagentur ESA als Berater erhalten. Laut der Berliner Zeitung half Jähn "bis zu seiner Pensionierung 2002 – und darüber hinaus – auch anderen Deutschen bei ihrem Weg ins All. Ob nun Thomas Reiter oder Alexander Gerst, sie alle betonten sein pädagogisches Geschick, seine Geduld und Bescheidenheit". Zudem bewegte Jähn die Sorge um das Wohlergehen des Planeten. Berühmt wurde folgender mahnender Ausspruch von Jähn:
"Schon vor meinem Flug war mir bewusst, wie klein und verletzbar unser Planet ist. Aber erst als ich ihn vom Weltraum aus sah, in all seiner unglaublichen Schönheit und Zartheit, erkannte ich: Die dringendste Aufgabe der Menschheit besteht darin, für die Erde liebevoll zu sorgen und sie künftigen Generationen zu bewahren."
Bis zu seinem Lebensende 2019 blieb Jähn aber auch Sozialist. 2018 sagte er in einem Interview mit dem Tagesspiegel:
"Vielleicht hatte Marx doch recht. Vielleicht wird es noch mal eine menschliche Gesellschaft geben, in der nicht einer Milliarden besitzt, während der andere gerade so durchkommt."
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