Deutschland

"Kurzschluss-Beschlüsse": Kritik an neuem Lockdown – Einzelhandel sieht 250.000 Jobs bedroht  

Mit mehr als elf Milliarden Euro pro Monat will der Bund Unternehmen unterstützen, die vom bevorstehenden harten Lockdown betroffen sind. Der Einzelhandel, der nach den neuen Regeln von Mittwoch an weitgehend schließen muss, reagierte prompt: Das Geld werde nicht reichen.
"Kurzschluss-Beschlüsse": Kritik an neuem Lockdown – Einzelhandel sieht 250.000 Jobs bedroht   Quelle: www.globallookpress.com © Blatterspiel via www.imago-images.de

Nachdem Bund und Länder am Sonntag einen neuen harten Lockdown zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, der ab Mittwoch gelten soll, beschlossen hatten, kündigte Finanzminister Olaf Scholz weitere Hilfsmaßnahmen für Unternehmen an.

Konkret soll bei der Überbrückungshilfe III, die von Januar an gilt, der Höchstbetrag von 200.000 Euro auf 500.000 Euro erhöht werden. Der maximale Zuschuss ist demnach geplant für direkt und indirekt von Schließungen betroffene Unternehmen. Die Überbrückungshilfe ist ein Zuschuss bei coronabedingten Umsatzrückgängen.

Erstattet werden betriebliche Fixkosten. Für die von der Schließung betroffenen Unternehmen soll es Abschlagszahlungen ähnlich wie bei den November- und Dezemberhilfen geben.

Die Kosten der erweiterten Überbrückungshilfe III werden während eines Monats mit angeordneten Schließungen auf etwa 11,2 Milliarden Euro geschätzt, wie aus einem Papier des Finanz- und Wirtschaftsministeriums hervorgeht, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Geplant sind laut Beschlusspapier außerdem Entlastungen für den Handel, der nun auf die wichtige Einnahmequelle der Vorweihnachtsverkäufe großteils verzichten muss. Vor allem der Einzelhandel hatte angesichts der erwarteten schärferen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zusätzliche Hilfen gefordert.

Im Beschlusspapier heißt es, der mit den Schließungsanordnungen verbundene Wertverlust von Waren und anderen Wirtschaftsgütern im Einzelhandel und anderen Branchen solle aufgefangen werden, indem Teilabschreibungen unbürokratisch und schnell möglich gemacht werden. Zu inventarisierende Güter könnten ausgebucht werden. Das bedeutet, dass nicht verkaufte Ware nicht als Bestand ins Umlaufvermögen aufgenommen werden muss, sondern sofort abgeschrieben werden darf.

Viertelmillion Arbeitsplätze im Einzelhandel bedroht

Aus Sicht des Handelsverbandes Deutschland (HDE) ist das immer noch viel zu wenig: "Die bisher vorgesehenen Gelder reichen bei weitem nicht aus, um eine Pleitewelle in den Innenstädten zu verhindern", kritisierte der Verband am Sonntag in einer Mitteilung. Der Verband fordert für den Dezember die gleiche Unterstützung, die bereits die seit Anfang November geschlossene Gastronomie erhält. Die Überbrückungshilfen alleine reichten nicht aus, um die betroffenen Handelsunternehmen zu retten. Der weitgehend geschlossenen Gastronomie wurde hingegen bereits vor Wochen versprochen, dass ihnen 75 Prozent des entgangenen Umsatzes erstattet würden.

"Der Einzelhandel hat in den letzten Monaten mit seinen Hygienekonzepten einen großen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geleistet. Wenn jetzt Geschäftsschließungen als notwendig angesehen werden, darf die Bundesregierung die Branche nicht im Regen stehen lassen", so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Der Lockdown treffe laut dem Verband knapp 200.000 Handelsunternehmen, von denen 99 Prozent kleine und mittelständische Unternehmen seien. "Der Innenstadteinzelhandel steht für bis zu 600.000 Beschäftigte, von denen durch den Lockdown bis zu 250.000 Jobs verloren gehen könnten", heißt es in der Mitteilung.

Vor zusätzliche Probleme stellt den Handel ein weiterer Beschluss: Für Eltern werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, für die Betreuung der Kinder im genannten Zeitraum bezahlten Urlaub zu nehmen. "Wir brauchen eine Not-Betreuung für die Kinder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Supermärkten, die ja zur kritischen Infrastruktur für die Versorgung der Bevölkerung gehören", sagte Genth der Welt.

Der Mittelstandsverband BVMW bezeichnet die neuen Maßnahmen als "Kurzschluss-Beschlüsse".

"Statt eines klaren Kurses der wirksamen Pandemie-Bekämpfung durch schnelle und massenhafte Impfangebote, wird das öffentliche Leben drastisch eingeschränkt und damit das Überleben sehr vieler Mittelständler weiter erschwert", teilte der Verband mit.

Pyrotechnik-Branche droht Komplettausfall  

Eine der neuen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie ist das grundsätzliche Verkaufsverbot von Feuerwerk vor Silvester. Die Hersteller stürzt das nach eigenen Angaben in eine schwere Krise. Im Zweifel drohe die Insolvenz des gesamten Wirtschaftszweigs, erklärte Thomas Schreiber, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der pyrotechnischen Industrie (VPI), am Sonntag.

Der Verband fordert einen vollen Ausgleich für die Umsatzverluste im dreistelligen Millionenbereich. Da die Branche 95 Prozent ihrer Jahreserlöse im Dezember erwirtschafte, befürchteten Verbandsjuristen, dass Unternehmen bei den Überbrückungshilfen leer ausgehen. "Wir brauchen gesonderte Hilfsgelder, um die 3.000 Einzelexistenzen in der Branche zu sichern", erklärte Schreiber.

Ifo Institut bezeichnet Lockdown als "Investition"

Clemens Fuest, Leiter des ifo Instituts in München, begrüßte hingegen den harten Lockdown. Gegenüber der Welt bezeichnete er die von Bund und Ländern verhängten Maßnahmen als Investition. "Es ist aus wirtschaftlicher Perspektive richtig, dass die Weihnachtsferien für einen harten Lockdown genutzt werden", so Fuest. Sonst wäre "spätestens ab Mitte Januar ein noch härterer und längerer Shutdown nötig, der wesentlich höhere Kosten hätte".

Noch Mitte Oktober hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Gesprächen mit den Regierungschefs der Länder erklärt, einen zweiten Lockdown "können wir uns einfach nicht leisten". In einer gemeinsamen Pressekonferenz waren sich Angela Merkel, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder einig, dass ein zweiter Lockdown um jeden Preis verhindert werden müsse. Ein solcher würde der deutschen Wirtschaft "erheblichste Schäden" zufügen, erklärte Söder.

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(rt/dpa)

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