Gesellschaft

60 Jahre Regierungsbunker im Ahrtal - Zeitzeugen erinnern sich

Im Ahrtal können Besucher zurück in den Kalten Krieg reisen. Unter Weinbergen verbergen sich Reste des ehemaligen Regierungsbunkers. Sie sind heute ein Museum. Zwei ehemalige Ingenieure und eine Ex-Sekretärin erzählen vom einstigen Bau der bizarren Unterwelt.
60 Jahre Regierungsbunker im Ahrtal - Zeitzeugen erinnern sich Quelle: Reuters © Werner Mertens/Bad Neuenahr-Ahrweiler

Vor 60 Jahren gibt das Bundesinnenministerium den Startschuss für eines der geheimsten Bauwerke Westdeutschlands. In einem "Schnellbrief" erteilt es am 1. April 1959 Anweisungen für den Ausbau zweier ungenutzter Bahntunnel. Bis 1971 entsteht rund 30 Kilometer südlich der damaligen Hauptstadt Bonn im rheinland-pfälzischen Ahrtal der Bunker der Bundesregierung. 17 Kilometer Tunnel werden genutzt.

Der "Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes" soll 3.000 Amtsträger vor einem Dritten Weltkrieg mit Atomwaffen schützen. 897 Büro- und 936 Schlafräume sowie fünf Großküchen und Kantinen zählt er schließlich. Hinzu kommen abhörsichere Sitzungssäle, Werkstätten und Brunnen. Es ist eines der bizarrsten Bauwerke der alten Bundesrepublik, mitten im Rotweinparadies Ahrtal.

Was sagen Zeitzeugen heute? Der einstige Bergbauingenieur Reiner van Briel (82) aus dem nordrhein-westfälischen Korschenbroich erinnert sich vor Ort: "Ich durfte nicht mal meiner Frau etwas über den Bunkerbau erzählen." Urlaub im damaligen Ostblock sei aus Sicherheitsgründen tabu gewesen. "Der Bund hat uns die Differenz gezahlt, als wir mal nach Mallorca geflogen sind. Das ist ja teurer gewesen." Für ihn als junger Ingenieur sei der Ausbau der geheimen Unterwelt mit Experten von weither eine tolle Fortbildung gewesen.

Ex-Maschinenbauingenieur Heinz Eickhoff (86) aus Bochum schwärmt noch heute von den in Bruchteilen von Sekunden zu schließenden Druckverschlüssen des Bunkers, die er als Mitarbeiter der Bochumer Eisenhütte einst mit entwickelt habe. So etwas habe es in dieser Art vorher nicht gegeben.

Die einstige Bunkerbau-Sekretärin Lore Berthel (77) aus Bad Neuenahr-Ahrweiler blättert derweil in einem Album mit historischen Bunkerfotos - sie erinnert sich noch gut an ihre Angst, im Ahrtal entführt zu werden. Zum Glück habe es genug Wachpersonal gegeben. Als junge Frau habe sie seinerzeit interessante Einblicke in geheime Angelegenheiten bekommen. Und in damals moderne Bautechnik. Van Briel sagt zum Beispiel: "Unser Betonmischwerk ist mit Lochkarten gefahren worden."

Gegliedert ist die Anlage in fünf autarke Bauteile, die sich im Notfall voneinander abkoppeln lassen. Komfort fehlt: Selbst für die höchsten Repräsentanten des Staates sind nur Feldbetten vorgesehen.

Kosten spielen keine Rolle. Laut dem Experten Jörg Diester, Autor mehrerer Bücher über den Bunker, schlägt eines der damals teuersten Bauwerke Westdeutschlands mit nach heutigem Stand umgerechnet mehr als drei Milliarden Euro Gesamtbaukosten zu Buche: "Für die Baufirmen war das eine Gelddruckmaschine." Die Kosten sind damals nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, selbst der Bundestag bleibt außen vor. "Der Westen hält bis jetzt vieles geheim, auch zum Beispiel die NATO-Übungen im Bunker", sagt Diester. Heute zugängliche Ost-Dokumente könnten weiterhelfen: "Die Stasi hat versucht, Spione beim Bunkerausbau zu platzieren. Sie hat viel gewusst."

Die regelmäßigen NATO-Übungen in dem Tunnelsystem unter Weinbergen hat es bis zum Jahr des Mauerfalls 1989 gegeben: 3.000 Menschen haben je zwei Wochen das Bunkerleben bei einem fiktiven Dritten Weltkrieg geprobt, mit einem falschen Kanzler, einem vermeintlichen Bundespräsidenten und einem Notparlament.

Zeitzeuge van Briel erinnert sich an eine frühe Übung: "Da sind Männer nachts von ihrem Schlafsaal zum Saal der Frauen geklettert, das hat sie gereizt. Sie haben dafür aber Teile der Deckenverkleidung entfernt. Die Nachrüstung hat 125.000 Mark gekostet."

Nach dem Mauerfall hat der Bund vergeblich versucht, seine ungewöhnliche Unterwelt zu verkaufen. Schließlich wird der Bunker aus Gründen des Umweltschutzes entkernt - nur 200 Meter Tunnel bleiben als Museum erhalten, mit Schlafräumen, Büro des Bundespräsidenten, einem Plenarsaal, Fernsehstudio und Dekontaminationsräumen zum Duschen verstrahlter Menschen mit Säurezusätzen.

Ein Horn lärmt schrill, rotes Licht blinkt, eines der 25-Tonnen-Rolltore öffnet sich, es riecht leicht muffig - Geschichtsunterricht für fast alle Sinne. "Die Dokumentationsstätte ist erfolgreich. Sie hat rund 75.000 Besucher im Jahr", sagt Diester. "Nächstes Jahr erwarten wir den einmillionsten Besucher." Er bedauert, dass nicht ein größerer, autarker Teil des Bunkers erhalten geblieben ist.

Nach Diesters Worten könnte das Bauwerk gleichwohl notfalls wieder ertüchtigt und genutzt werden. Die Tunnel seien nicht verfüllt und nicht stark beschädigt worden, die Wassereinbrüche würden abgeleitet. Das Bundesinnenministerium betont dagegen, das verschlossene Bauwerk lasse sich "nicht mehr als Ausweichsitz für die Verfassungsorgane nutzen".

Die Haupttunnel haben als geplante und nie befahrene Bahntrasse eine wechselvolle Vorgeschichte hinter sich: Champignonzucht in den 1930er Jahren, im Zweiten Weltkrieg Außenstelle des KZ Buchenwald mit dem Bau mobiler Abschussrampen für V2-Raketen und Luftschutzkeller.

Streng genommen ist der Regierungsbunker schon bei seiner Fertigstellung 1971 technisch überholt gewesen: Bereits 1962 hatten Fachleute laut Diester mit weitaus stärkeren Atomwaffen als der Hiroshima-Bombe gerechnet - viel zu viel für den Bunker.

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(rt deutsch/dpa)

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