Meinung

Deutschland braucht das Feindbild Russland

Deutschland und Russland: Diese Beziehung hat eine wechselvolle Geschichte mit Höhen und Tiefen. Und weil Deutschland den Anschluss in einigen technologischen Bereichen verpasst hat, muss man nun wieder aufholen. Russland fällt dabei eine zentrale Rolle zu.
Deutschland braucht das Feindbild RusslandQuelle: AFP

von Zlatko Percinic

Es ist kein Zufall, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der Einladung der Unternehmerverbände Niedersachsen e.V. (UVN) für einen Vortrag am 28. Februar nach Hannover gefolgt ist. Zwar kennen sich der Hauptgeschäftsführer der UVN, Dr. Volker Müller, und die Ministerin schon eine Weile, aber das allein war nicht der Grund für ihren Besuch. Es geht um mehr, um sehr viel mehr, und um noch mehr Geld. Deshalb saßen im Publikum auch nicht etwa einfach nur besorgte Bürger, sondern deutsche Unternehmer.

Das Motto des Abends lautete: "Sicherheitspolitische Herausforderungen in einer sich wandelnden Welt". Die Welt hat sich in der Tat rasant gewandelt, und es wird den zukünftigen Historikern überlassen sein, herauszufinden, wie es sein konnte, dass eines der mächtigsten Länder in Europa vor allem den technologischen Wandel so verschlafen konnte.

Dabei ist es unerheblich ob es den Cyberraum, Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz betrifft: In sämtlichen Bereichen hatten es die verschiedenen Bundesregierungen – vor allem jene von Kanzlerin Angela Merkel – nicht geschafft, die ganze Tragweite der rasanten Entwicklung überhaupt zu erfassen. Nicht viel besser steht es beispielsweise auch um die Energiewende oder die Bundeswehr, wo es hauptsächlich politische Entscheidungen waren, die den Grundstein für die heutigen Probleme geschaffen haben.

Nachdem mit großer Verspätung erkannt wurde, dass Deutschland in diesen Bereichen nur noch Mittelmaß ist, heißt es nun, verlorenes Terrain wieder aufzuholen. Das ist ein gigantischer Kraftakt, der nur im Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Forschung gelingen und Milliarden kosten wird. Dabei orientiert sich das Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen ganz offensichtlich am Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika und Israel, wo viele technologische Neuerungen aus den Laboren der militärischen Forschung stammen und später für die zivile Nutzung modifiziert wurden. Von der Leyen nannte dabei die militärische Forschungseinrichtung DARPA als Musterbeispiel dafür, wie deren Erfindungen den Grundstein für den heutigen technologischen Wandel in der Wirtschaft legten.  

Damit man diese riesigen Investitionen vor allem im Bereich der Rüstung gegenüber den Steuerzahlern und Wählern rechtfertigen kann, benötigt die Regierung in Berlin ein geeignetes Feindbild. Ohne einen Feind, mit dem sich die notwendige Portion Angst erzeugen lässt, wäre es um ein Vielfaches schwieriger, die Menschen davon zu überzeugen, weshalb man so viel Geld in Rüstung statt in Bildung oder die Modernisierung maroder Infrastruktur steckt.

Die Rolle des Sündenbocks für unser eigenes Versagen ist Russland zugefallen. Als Atommacht, die sich von den brutalen gesellschaftlichen Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion und dem westlichen Raubzug der 1990er-Jahre wieder erholt hatte, erfüllt Moskau wieder die bekannte Rolle aus dem Kalten Krieg. Deutlicher konnte deshalb die Einleitung zum Vortrag nicht ausfallen:

Die Machtverhältnisse, die ursprünglich besetzt waren: Es gab die Russen, es gab die Amerikaner, und es gab den Kalten Krieg. Und jeder wusste, was er von dem anderen hatte. Der Block hat sich aufgelöst, und jetzt kommen plötzlich die Chinesen, die nach den USA die größten Militärausgaben haben. Donald Trump rüttelt an der NATO und spricht mit den erklärten Gegenspielern unserer Werteordnung, wie jetzt gerade mit Kim Jong-un in Nordkorea. Das ist nicht so einfach, wie wir sehen, es ist ja nichts dabei rausgekommen. Er spricht mit Putin und spielt ihm sozusagen damit auch in die Hände, entgegen den Erklärungen und Empfehlungen seiner eigenen Sicherheitsleute, wohlwissend, dass wir wissen, dass Putin eine Politik der Destabilisierung verfolgt und damit ganz massiv in die westliche Demokratie einsteigt. Wir alle kennen die Cyberattacken, wir kennen auch die Untersuchungen in Amerika, auf Wahlen Einfluss zu nehmen, und wir wissen auch, dass beim Brexit mit Cambridge Analytica auch viel in dieser Richtung gemacht wurde.

Abgesehen davon, dass das tatsächlich gescheiterte Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Kim Jong-un nicht in Nordkorea stattfand, sondern in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi (das ZDF erklärte Hanoi kurzerhand zur thailändischen Hauptstadt), strotzt diese Einleitung nur so von Verallgemeinerungen und nicht bestätigten Vorwürfen. Cambridge Analytica mag im Vorfeld der Brexit-Abstimmung eine Rolle gespielt haben, doch es ist auch fast drei Jahre nach der Abstimmung nicht klar, wie groß diese Rolle tatsächlich gewesen sein soll. Der eigentliche Skandal, dass Cambridge Analytica massiv Nutzerdaten von Facebook abgezogen hat, wird überhaupt nicht erwähnt.

Und die Belege, dass Russland "viel in diese Richtung gemacht" hat, bestehen ebenfalls aus Vermutungen zu Fragen, worauf man keine rasche Antwort finden konnte. Dass man dann daraus aber gleich eine russische Kollusion konstruiert und in die Welt herausschreit, führt nur zu peinlichen Richtigstellungen wie etwa im Fall der Washington Post oder der nicht weniger peinlichen Tatsache, dass der US-Sonderermittler Robert Mueller keine Beweise für die angebliche russische Einmischung in den US-Wahlkampf finden konnte.

Dass aber russische Hacker versuchen, irgendwelche Daten zu klauen, ist zwar zu verurteilen und alles andere als in Ordnung, aber leider in der Welt der Geheimdienste normales Tagesgeschäft. Die Aufregung über russische oder chinesische Cyberangriffe ist deshalb im besonderen Maße heuchlerisch, wenn nicht auch mit demselben Eifer die Spionage der USA oder Israels genannt und verurteilt wird.  

In Hannover meinte Verteidigungsministerin von der Leyen vor den Unternehmern in Hannover, dass aufgrund der verloren geglaubten "amerikanischen Führung" in Europa "wir Europäer mehr Gewicht in die Schale werfen" müssten. Mit "einem neuen, aggressiven Russland" reichen die Spannungsfelder, denen Europa sich stellen müsse, von Afrika bis Osteuropa, so die Ministerin.  

Sie kam aber schnell zu der Sache, um die es eigentlich geht. Deutschland und Frankreich wollen zum Motor einer "europäischen Verteidigungsunion" werden und die neuen Technologien "hier in Europa selbst beherrschen". Deshalb hat die Bundesregierung den Kauf von US-Kampfjets wie der höchst anfälligen F-35 abgelehnt, um einen eigenen Kampfjet der fünften Generation zu entwickeln. Denn nur durch die Entwicklung eigener Systeme lasse sich auch der Sprung zu Folgeentwicklungen machen, die wiederum der zivilen Nutzung zugutekommen und somit auch neue Arbeitsplätze schaffen. "Wir suchen Technologien", sagte von der Leyen, und man wolle nicht mehr nur darauf warten, bis entsprechende Produkte und Neuerungen auf dem Markt sind.

Das bedeutet natürlich auch, dass das Verteidigungsministerium vermehrt mit Unternehmen und Forschern zusammenarbeiten wird, um den gesamten F+E-Zyklus (Forschung und Entwicklung) selbst abbilden zu können. Denn das ist der Bereich, in dem Deutschland wie gesagt den Anschluss an die Weltspitze verpasst hat. Solange diese Aufholjagd dauert – und sie hat gerade erst begonnen –, wird Russland als öffentliches Feindbild herhalten müssen, während der deutschen Diplomatie die schwierige Aufgabe zukommt, in diesem Umfeld trotzdem ein möglichst kooperatives Verhältnis zu Moskau zu pflegen.   

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