Gesellschaft

"Handelsblatt"-Macher "schockiert und fassungslos": Bei "falscher" Meinung droht Entlassung

Die Chefredakteure und Geschäftsführer des "Handelsblatts" haben in einem Brief gegen die Kündigung ihres Herausgebers, Gabor Steingart, protestiert: Sie seien "schockiert und fassungslos" über den Vorgang, der "massive Schockwellen" durch das Medium sende.
"Handelsblatt"-Macher "schockiert und fassungslos": Bei "falscher" Meinung droht EntlassungQuelle: Reuters

Die Entbindung des Herausgebers und Geschäftsführers des Handelsblatts, Gabor Steingart, von seinen Aufgaben geht nicht reibungslos über die Bühne: Nachdem Steingart vergangenen Donnerstag von Verleger Dieter von Holtzbrinck von einem auf den anderen Tag vor die Tür gesetzt worden war, haben nun die Chefredakteure und Geschäftsführer der Verlagsgruppe in einem Brief an den Verleger gegen das Vorgehen protestiert. In dem Schreiben, das unter anderem von Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe, Wirtschaftswoche-Chef Beat Balzli und Wirtschaftswoche-Herausgeberin Miriam Meckel unterzeichnet wurde, schreiben die Autoren, sie seien "schockiert und fassungslos" über den Umgang mit Steingart.

Die Unterzeichner kritisieren vor allem, dass Verleger Holtzbrinck die sofortige Trennung von Steingart mit dessen Äußerungen zu Martin Schulz im Morning Briefing begründet habe. Dies sei

ein verheerendes Signal an die Redaktionen und das gesamte Haus: die Bestrafung für eine - wenngleich unbequeme - Meinung ist die sofortige Entlassung." Diese Entscheidung sende "weitere massive Schockwellen in die Handelsblatt Media Group, über die wir uns große Sorgen machen."

Mutmaßlicher Anlass für die plötzliche Trennung von Steingart war dessen Text über den SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz, in dem der Journalist - feuilletonistisch zugespitzt und offensichtlich nicht ernst gemeint - von einem "perfekten Mord" durch Schulz an Außenminister Sigmar Gabriel schrieb. Den an blutige klassische Dramen angelehnten Text hatte Steingart in einem seiner regelmäßigen "Morning Briefings" formuliert und war fortgefahren, der "mittlerweile ungeliebte" Schulz wolle "den derzeit beliebtesten SPD-Politiker, Außenminister Sigmar Gabriel, zur Strecke bringen".

In einer Pressemitteilung versucht die Holtzbrinck Medien GmbH die im Raum stehende Bestrafung eines Journalisten für dessen "falsche" Meinung herunterzuspielen und betont als Kündigungsgrund stattdessen "Differenzen in wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Fragen".  Es sei zwischen Steingart und Verleger zwar auch zu einer "unterschiedlichen Beurteilung journalistischer Standards" gekommen – aber nur "in einem Einzelfall".  Worin die "Differenzen in wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Fragen" bestehen, wurde bislang nicht konkretisiert.

Auch stützt ein devoter Brief von Holtzbrinck an Martin Schulz eher den Verdacht, hier sei ein politisch unbequemer Autor in die Wüste geschickt worden: "Das heutige 'Morning Briefing' von Gabor Steingart hat mich schockiert. Inhalt und Stil des Sie betreffenden Textes entsprechen weder meinen publizistischen Qualitäts- und Wertevorstellungen noch denen der Handelsblatt-Redaktion", schrieb Holtzbrinck Ende der Woche an Schulz und fuhr fort, er entschuldige sich "vielmals" auch "im Namen des Handelsblatts".

Die plötzliche Trennung überrascht umso mehr, als Steingart als journalistischer Ziehsohn Holtzbrincks gilt, der seinen Schützling 2013 sogar zum Miteigner der Handelsblatt-Gruppe machte. Holtzbrinck hatte dem gebürtigen Berliner Steingart vor allem bei dessen moderner und erfolgreicher Umgestaltung des Handelsblatts bis zuletzt viele Freiheiten eingeräumt.

Nach der Kündigung Steingarts sehen die journalistischen Führungskräfte ihr Verlagshaus im Chaos, wie sie in ihrem Brief schreiben:

Nach unserem bisherigen Kenntnisstand gibt es bislang keine Nachfolge- und Übergangsregelungen, was die Geschäfts- und Redaktionsführung vor erhebliche Probleme stellt und das ganze Haus in unsicheres Fahrwasser bringt." Mit alledem sei "ein mehrfacher nachhaltiger Reputationsschaden für das Unternehmen und alle beteiligten Personen verbunden." Das Führungsteam der Verlagsgruppe sei "erschüttert und enttäuscht".

Teile jenes Führungsteams rudern allerdings mittlerweile wieder zurück. So stellt Chefredakteur Sven Afhüppe den Verlegern in einem Beitrag "In eigener Sache" vom Sonntag einen moralischen Blankoscheck aus: Ja, er habe den Protestbrief unterschrieben, aber doch nur, "weil der Eindruck entstanden ist, dass die plötzliche Trennung maßgeblich durch eine zu kritische Meinungsäußerung von Gabor Steingart im Morning Briefing forciert worden sei". Mittlerweile habe der Verleger aber erklärt, "dass der wesentliche Grund für die Entscheidung gesellschaftsrechtliche Differenzen waren". Und wenn der Verleger das erklärt, ist für Afhüppe scheinbar aller Groll vergessen: "Die Redaktionen der Handelsblatt Media Group respektieren die Entscheidung von Verleger Dieter von Holtzbrinck."

Weil aber – trotz einer Erklärung des Verlegers – doch der starke Verdacht der Zensur und des vorauseilenden Gehorsams gegenüber der Politik im Raum steht, fügt Afhüppe zur Sicherheit an: "Sie können sich darauf verlassen, dass das Handelsblatt bei allen personellen Veränderungen weiter für unabhängigen und kritischen Journalismus steht." Die jüngste "personelle Veränderung" wird von ihm schon gar nicht mehr kritisiert.  

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