Gesellschaft

Meinungsfreiheit beim "Handelsblatt": Kritik an SPD-Chef Martin Schulz kostet Herausgeber den Job

In einem kontroversen Text hat Gabor Steingart, Herausgeber und Geschäftsführer des "Handelsblatts", dem Noch-SPD-Vorsitzenden Martin Schulz Intrigen gegen Parteifreund Sigmar Gabriel vorgeworfen. Daraufhin entließ ihn Verleger Dieter von Holtzbrinck.
Meinungsfreiheit beim "Handelsblatt": Kritik an SPD-Chef Martin Schulz kostet Herausgeber den JobQuelle: Reuters

Gabor Steingart, Herausgeber, Geschäftsführer und Miteigentümer des Wirtschaftsmagazins Handelsblatt, wurde entlassen, wie zahlreiche Medien berichten. Anlass für den Rausschmiss durch Verleger Dieter von Holtzbrinck ist angeblich eine "Kampagne" Steingarts gegen den SPD-Politiker Martin Schulz, letzter Auslöser soll ein kurzer, aber kontroverser Text Steingarts von vergangenem Mittwoch gewesen sein.

In seinem täglichen "Morning Briefing" des Handelsblatts hatte Steingart einen "bizarren Machtkampf" in der SPD ausgemacht. Angelehnt an ein blutiges Shakespeare-Drama (über)zeichnete der Ex-Herausgeber das Bild eines Brudermords von Schulz an Gabriel: "Besondere Raffinesse wird dabei vor allem von Schulz verlangt, da er sich nicht beim Mord an jenem Mann erwischen lassen darf, dem er das höchste Parteiamt erst verdankt."

Fähigkeit, Analogien zu erkennen, wird überbewertet

Steingart fährt in seiner handfesten feuilletonistischen Fingerübung fort: "Der Tathergang wird in diesen Tagen minutiös geplant. Der andere soll stolpern, ohne dass ein Stoß erkennbar ist. Er soll am Boden aufschlagen, scheinbar ohne Fremdeinwirkung." Und dann folgt der Satz, der nun vor allem zitiert wird:

Die Tränen der Schlussszene sind dabei die größte Herausforderung für jeden Schauspieler und so auch für Schulz, der nichts Geringeres plant als den perfekten Mord.

Der nur drei Absätze umfassende Text mag über das Ziel hinausschießen. Aber einen echten Mordvorwurf Steingarts an Schulz herauszulesen aus dieser doch ganz offensichtlich nicht ganz ernst gemeinten Anlehnung an blutige klassische Dramen, an die griechische Tragödie oder an den mannigfach literarisch verarbeiteten Bruder- oder Vatermord, das erscheint dann doch etwas überempfindlich.

Da liegt die Annahme nahe, dass der beanstandete Artikel nur der letzte Auslöser war, um ein ohnehin belastetes Verhältnis zwischen Steingart und Holtzbrinck zu beenden, wie dies auch ein vom Spiegel zitierter Handelsblatt-Mitarbeiter beschreibt. Beim Handelsblatt ist jedenfalls die Wachablösung schon vollzogen: Das "Morning Briefing" vom Donnertag wurde bereits von Chefredakteur Sven Afhüppe verfasst. Die Verlagsgruppe wollte zu den Vorgängen keine Stellungnahme abgeben.

Steingart hat von 2001 bis 2007 das Hauptstadtbüro des Spiegel geleitet, und wechselte dann in das Büro in Washington. Seit 2010 ist er beim Handelsblatt. Dort hat er einerseits eine neoliberale Agenda unterstützt. Andererseits habe er sich aber laut NachDenkSeiten "zu einer der ganz wenigen Stimmen entwickelt, die sich in letzter Zeit immer deutlicher gegen die transatlantische Spannungspolitik und für eine Verständigung mit Russland stark gemacht haben". Dafür taufte ihn die Welt "Putins kleinen Helfer" und die taz bemängelte seine „zunehmend Putin-freundlichen Positionen“. 

Holtzbrinck richtet Canossa-Brief an Schulz

In welch eingeschränktem Maße Steingarts Verleger Holtzbrinck bereit ist, sich schützend vor einen renommierten, von Politikern angegriffenen Redakteur zu stellen, zeigt ein Entschuldigungs-Brief Holtzbrincks an Martin Schulz, den der Spiegelzitiert:

Das heutige 'Morning Briefing' von Gabor Steingart hat mich schockiert. Inhalt und Stil des Sie betreffenden Textes entsprechen weder meinen publizistischen Qualitäts- und Wertevorstellungen noch denen der Handelsblatt-Redaktion." Er entschuldige sich "vielmals" auch "im Namen des Handelsblatts".   

Dagegen formulierte Steingarts Anwalt Christian Schertz in Hinblick auf das umstrittene "Morning Briefing" pointiert:

Gabor Steingart achtet die Meinungsfreiheit nicht nur, er praktiziert sie auch.

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