Europa

Beschlagnahmte russische Vermögen: Ein Transfer Richtung Kiew birgt für den Westen große Risiken

Die EU sucht nach juristischenTricks, um eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank zur Unterstützung der Ukraine einzusetzen. Das birgt auch Risiken: Es drohen Kapitalabfluss und Investorenflucht. Angesichts der Spannungen zieht China bereits Investitionen ab.
Beschlagnahmte russische Vermögen: Ein Transfer Richtung Kiew birgt für den Westen große RisikenQuelle: www.globallookpress.com © Vladimir Baranov / Global Look Press

Von Natalja Dembinskaja

Die eingefrorenen Gelder der russischen Zentralbank lassen der Europäischen Union keine Ruhe. Man sucht weiter nach "rechtlichen Gründen", um diese nutzbringend "einzusetzen", nämlich damit den Regierenden in Kiew zu helfen. Das ist allerdings ein unerfüllbares Vorhaben. Klar ist, dass ein solcher Präzedenzfall einen Kapitalabfluss und die Flucht ausländischer Investoren zur Folge haben würde. Und dieser Prozess scheint sogar bereits im Gange zu sein.

Man habe Rechtfertigungen gefunden

Der Westen hat auf diese Weise bereits insgesamt rund 300 Milliarden US-Dollar blockiert. Davon sind 180 Milliarden bei der belgischen Euroclear konzentriert, dem größten Wertpapier-Verwahrer der Welt mit Sitz in Brüssel. Es handelt sich dort um Vermögenswerte, die in US-amerikanischen, europäischen, japanischen und südkoreanischen Gerichtsbarkeiten gehalten werden. Alle diese Werte sind hoch liquide: Währungsgold, Sonderziehungsrechte, eine Reserveposition im IWF sowie Devisen.

In Europa habe man angeblich "rechtliche Gründe" gefunden, um die Erlöse aus den eingefrorenen Finanzmitteln nun nach Kiew zu überweisen. Ein Paket mit entsprechenden Dokumenten wurde vorbereitet. Laut einem Bericht von Euroclear vom Ende Oktober brachten russische Vermögenswerte in neun Monaten drei Milliarden Euro ein. Im Jahr 2022 waren es erst 347 Millionen, doch die Sätze sind gestiegen. Die Juristen haben allerdings vorgewarnt: Es sei ein äußerst riskantes Unterfangen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Gelder in Zukunft an Moskau retourniert werden müssen.

Die Risiken sind hoch

Bisher ist der Fall noch nicht entschieden. In der EU sind viele besorgt über die damit verbundenen Risiken. Unter anderem warnte der belgische Premierminister Alexander De Croo die europäischen Beamten vor unbedachten Schritten.

"Gemeinsam mit den G7-Ländern und der Europäischen Kommission suchen wir nach einer strukturellen Lösung des Problems, ohne das internationale Finanzsystem zu destabilisieren. Wichtig ist eine rechtliche Grundlage vorzubereiten – und es ist offensichtlich, dass Belgien nicht in der Lage sein wird, dies allein zu tun", sagte De Croo.

In Luxemburg ist man sich bei Clearstream als einem weiteren Verwahrer eingefrorener russischer Gelder mit Belgien einig. Und in Deutschland schlägt man diesbezüglich schon lange Alarm.

Unvorhersehbare Konsequenzen

Die Konfiszierung ist mit "unvorhersehbaren wirtschaftlichen Folgen" verbunden, warnt die Financial Times:

"Das wird andere Staaten dazu veranlassen, ihre Reserven abzuziehen, denn wo ist die Garantie, dass sie nicht auf die gleiche Weise behandelt werden?"

Selbst die Europäische Zentralbank ist dagegen: Viele Zentralbanken würden auf Vermögenswerte in Euro einfach verzichten. Dadurch wäre die finanzielle Stabilität der EU gefährdet.

Auf den Euro entfallen mehr als 20 Prozent der weltweiten Reserven – das sind etwa 12 Billionen US-Dollar. Dazu zählen Aktiva von offiziellen Anlegern wie den Zentralbanken. Und der Status als zweitwichtigste Reservewährung nach dem US-Dollar bietet dem Euro auch sonst viele Vorteile.

Unterminierte Reputation

Die Experten betonen: Die Reputationskosten für den Westen sind schwer zu überschätzen. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika als Garant würden darunter leiden. Schließlich halten sie viele verschiedene Vermögenswerte, die direkt anderen Ländern, Bürgern und Unternehmen gehören, unter ihrer Gerichtsbarkeit, bemerkt Pawel Sokol, ein Finanzanalyst des russischen Marktplatzes FINMIR.

Das Gold wird bereits aktiv aus dem Westen repatriiert. Nach Angaben von Reuters haben 68 Prozent der 57 Zentralbanken, die an der jährlichen Invesco Global Sovereign Asset Management Studie 2023 teilgenommen haben, alle Reserven in ihrer eigenen Jurisdiktion konzentriert. Ebenfalls rückläufig sind die Investitionen in US-Staatsanleihen. So hat etwa Saudi-Arabien seine Bestände um 40 Prozent gegenüber dem Höchststand im Jahr 2020 reduziert, während die Volksrepublik China ihre Anteile auf den niedrigsten Stand seit Mai 2009 gesenkt hat.

"Treasuries sind kein sicherer Hafen mehr für diejenigen, die keine Verbündeten der USA sind. Inzwischen weiß jeder, wie die Meinungsverschiedenheiten mit Washington enden können", sagt Jewgeni Schatow, Partner bei Capital Lab.

Die Zentralbanken überarbeiten die Struktur ihrer Reserven und reduzieren den Anteil von US-Dollar, Euro und US-Staatsanleihen. Auch die chinesischen Investitionen wandern aus dem Westen ab. Peking verzichtet zunehmend auf Investitionen im Bereich Immobilien und Produktion in Europa und den USA und zieht Geschäfte in anderen Regionen vor, wie das American Enterprise Institute berichtet.

Dem Wall Street Journal zufolge fließt das Geld aus dem Westen ab – entsprechend der wachsenden Feindseligkeit gegenüber chinesischem Kapital und wegen der zunehmenden Spannungen mit den USA und mit deren Verbündeten, die sich aus Gründen der nationalen Sicherheit entschieden hatten, auf chinesische Investitionen zu verzichten.

Allerdings geht es nicht nur darum: Die Chinesen erwägen auch bereits Optionen für eine symmetrische Antwort, sollte der Westen Peking auf die gleiche Weise behandeln wie Moskau.

Sie werden Geld verlieren

Chinas internationale Reserven übersteigen drei Billionen US-Dollar, fast ein Drittel davon wird in Treasuries gehalten. Die chinesische Reaktion könnte also in einem solchen Fall vernichtend sein: Peking könnte US-Investitionen und Pensionsfonds einfrieren und die Vermögenswerte von US-Unternehmen beschlagnahmen. Dieser Aspekt ist ein starker Trumpf Chinas.

Für Dezember wird erwartet, dass die EU-Kommission einen Rechtsmechanismus für die Verwendung der Erträge aus der Reinvestition eingefrorener russischer Vermögenswerte vorlegen will. Die Frage bleibt akut, was der Westen zu opfern bereit ist. Moskau würde ebenfalls reagieren und noch weitaus mehr beschlagnahmen.

Die USA fahren jedoch fort, ihre "Verbündeten" anzustacheln, ohne sich um die Auswirkungen zu kümmern. Im US-Kongress wurde der Gesetzentwurf zur Übergabe von russischen Geldern an Kiew angenommen. Nun darf der US-Präsident über die Beschlagnahme von russischen Vermögenswerten entscheiden, die sich innerhalb der US-Gerichtsbarkeit befinden. Daraufhin können die beschlagnahmten Vermögenswerte an den sogenannten "Ukraine-Unterstützungsfonds" transferiert werden.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.

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