Selenskij im Interview zu Waffenlieferungen, NATO-Beitritt und Nord Stream: "Deutschland kann mehr"
Die Ukraine sei "sehr beunruhigt" angesichts der russischen Truppenverstärkung um die Ukraine, sagte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij in einem exklusiven Interview mit der FAZ.
Auf die Frage, auf welche angeblichen Gefahren sich das ukrainische Militär vorbereite, erklärte er, es gebe viele militärische Möglichkeiten, auch Operationen auf See. Dazu komme die Variante, einen Korridor zur Krim aufzubrechen. Es könne auch zu einer Eskalation vom "besetzten" Donbass aus kommen, zu einem "Blitzkrieg" über die heute "zeitweilig besetzten Gebiete" hinaus zu den Verwaltungsgrenzen der Bezirke Donezk und Lugansk. Aber auch Überraschungen aus anderen Richtungen seien möglich. "Wir haben heute eine sehr gefährliche Situation in Belarus an unserer nördlichen Grenze. Heute ist die Armee dort unter dem Befehl des belarussischen Regimes," erklärte er weiter.
Anschließend machte der FAZ-Journalist Stimmung gegen die Ostseepipeline Nord Stream 2 und fragte Selenskij, ob Russland bei einem möglichen "Blitzkrieg" in der Ostukraine von Nord Stream 2 profitiere, indem es bei einer möglichen Zerstörung seiner ukrainischen Gas-Transitleitungen keine Angst mehr hätte. Selenskij antwortete, bei Nord Stream 2 gehe es um etwas Ähnliches wie bei der "Annexion der Krim". "Nach der Eroberung der Krim strebte Russland danach, verhandeln zu können. Das war der Beginn des Krieges in der Ostukraine. Der Zweck dieses Krieges war, dass die Krim vergessen wird", so Selenskij. Bei den Verhandlungen im Normandie-Format zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine steht die Krim nicht auf der Tagesordnung.
Die FAZ besprach mit Selenskij zudem den Wunsch vom NATO-Beitritt der Ukraine und den Sorgen der NATO-Mitglieder über die Umsetzung des Artikels fünf vom Nordatlantikpakt. "Würde die Ukraine dann nicht sofort Artikel fünf des Nordatlantikvertrags aktivieren, also die Pflicht zur gegenseitigen Verteidigung? Würde sie den Alliierten nicht sagen: Wir werden angegriffen, also schickt uns Truppen?", fragte der FAZ-Journalist. "Das wäre eine Frage von Verhandlungen. Die Ukraine will keinen Krieg. Wir sagen nicht: Oh, kommt. So etwas denken wir nicht. Und sehen wir für uns eine Alternative zur Allianz? Die Frage ist, wie man aus dieser schwierigen Lage herauskommt. Die Situation, die entsteht, wenn die Ukraine Mitglied der NATO wird. Ich kann Ihnen diese Frage beantworten. Die Ukraine kann einen Plan B haben", antwortete Selenskij.
"Dieser Plan gilt für die Zeit davor (NATO-Beitritt)." Die EU und die USA würden nach diesem Plan B auf dem Feld der Sicherheit einen künftigen Sonderstatus für die Ukraine sichern, so Selenskij.
"So etwas kann das Thema eines Dialogs mit den großen politischen Akteuren werden. Das kann schnell verwirklicht werden, vor dem Beitritt zur NATO, oder als Alternative dazu. Wir verstehen die europäischen Länder, die Angst vor unserer Mitgliedschaft in der NATO haben."
Auf die Frage, ob das jetzige Verhandlungsformat, die Normandie-Gruppe mit Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine, dann durch ein Format aus USA, Europa, Russland und der Ukraine ersetzt werden solle, erklärte Selenskij, dass es beim Normandie-Format nur um die Ostukraine gehe. Es gehe dort weder um die Krim oder Pipelines noch um Sicherheitsgarantien, auch nicht um eine NATO-Mitgliedschaft.
Die FAZ bittet Selenskij um einen Kommentar zu den umstrittenen Äußerungen des Grünen-Chefs Robert Habeck über eine mögliche deutsche "Defensivwaffen"-Lieferung an die Ukraine:
"Zuerst möchte ich sagen: Angela Merkel hat eine Menge für die Ukraine getan. Ich bin ihr als Ukrainer sehr dankbar. Natürlich hatte ich mir mehr von ihr erhofft, vor allem im Normandie-Format. Aber wir sind sehr dankbar für das, was wir haben. Und ich weiß zugleich: Deutschland kann mehr. Habeck hat mich verstanden. Er hat verstanden, das die Ostseepipeline Nord Stream 2 einfach nur eine Waffe ist, und noch dazu eine sehr scharfe."
Der deutsche Außenminister Heiko Maas erteilte dem Wunsch der ukrainischen Regierung nach Waffenlieferungen allerdings eine klare Absage. Vor dem digital abgehaltenen Treffen der NATO-Außenminister am Dienstag erklärte er zwar, dass die Ukraine sich der deutschen Unterstützung "im Konflikt in der Ostukraine und zur Wahrung ihrer territorialen Integrität und Unversehrtheit" immer sicher sein könnte, betonte jedoch gleichzeitig, dass dies mit der Diskussion über Waffenlieferungen an die Ukraine nichts zu tun habe. Denn, so Maas weiter, er sei überzeugt, "dass der Konflikt nur auf politischem Wege gelöst werden kann", und betonte:
"Allen Beteiligten muss klar sein, Waffenlieferungen helfen dabei nicht."
Zudem kam im Interview zur Sprache, dass die Ukraine Faschismus und Antisemitismus in den letzten Jahren kultiviert habe. Selenskij reagierte auf diesen Vorwurf im Interview mit der FAZ, indem er erklärte, dass Antisemitismus in der Ukraine fast überhaupt nicht existiere. Aber natürlich sei niemand perfekt. Manchmal komme es zu Provokationen, aber dies gäbe es überall.
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