Europa

"Völkisches" Gesetz in der Ukraine? Selenskij will Sonderrechte für "einheimische Völker"

Ein vom ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij eingebrachter Gesetzentwurf sieht weitreichende Rechte für sogenannte "einheimische Völker" vor. Nur drei kleine Volksgruppen dürften zu diesen gezählt werden. Nicht "einheimisch" sind dagegen vor allem Russen.
"Völkisches" Gesetz in der Ukraine? Selenskij will Sonderrechte für "einheimische Völker"Quelle: Sputnik

Laut einem Gesetzentwurf des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij könnte in der Ukraine bald eine im Gesetz verankerte Volkshierarchie entstehen. Der Text des Gesetzentwurfs der ukrainischen Präsidialverwaltung unterteilt die in der Ukraine lebenden Menschen in "einheimisch" und "nicht einheimisch" oder wörtlich "verwurzelt" oder "nicht verwurzelt" (im ukrainischen Original "корінний"). Nach dieser Einteilung sollen Bürger der Ukraine in Zukunft unterschiedliche Rechte haben.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind "einheimische" Völker diejenigen, deren ethnische Gemeinschaften auf dem Territorium der Ukraine entstanden sind und die keinen eigenen Staat außerhalb der Ukraine haben. Weitere Attribute der "einheimischen" Völker sind laut Selenskijs Gesetzentwurf das Vorhandensein einer ausgeprägten Sprache und Kultur sowie traditioneller, sozialer, kultureller oder repräsentativer Gremien. Ein wichtiger Punkt ist, dass diese Ethnien sich selbst als "einheimische" Völker der Ukraine verstehen müssen.

Zu dieser privilegierten Gruppe dürfen sich allerdings nur drei kleinere Völkerschaften zählen – Krimtataren, Karaiten und Krimtschaken. Seit der Wiedervereinigung der Krim mit Russland im Jahre 2014 haben sich nur wenige Tausend Krimtataren auf ukrainisches Festland begeben, während die restlichen ca. 240.000 auf der Halbinsel blieben und die russische Staatsbürgerschaft angenommen haben. Knapp 2.000 Krimtataren wohnten auch vor der Abspaltung der Krim im benachbarten südukrainischen Gebiet Cherson, die Zahl der jüdisch geprägten Krimtschaken und Karaiten geht in der Ukraine in die Hunderte. Sie gelten als fast vollständig assimiliert.

Nach dem Gesetzentwurf werden den "einheimischen" Völkern der Ukraine weitreichende Rechte in den Bereichen Bildung, Kultur, Wirtschaft und Sprache eingeräumt. Sie können eigene Medien oder Bildungseinrichtungen in ihrer Muttersprache eröffnen. Per Gesetz kommen sie in den Genuss voller rechtlicher und finanzieller Unterstützung des Staates. Sie bekommen ein Mitspracherecht bei der Entwicklung staatlicher Programme und das Recht auf internationale Vertretung.

Das Gesetz legt insbesondere fest, dass ihnen Garantien und rechtlicher Schutz vor "allen Handlungen, die darauf abzielen, ihnen die Zeichen der ethnischen Zugehörigkeit zu nehmen, sie in irgendeiner Form zwangsweise zu assimilieren oder zu integrieren, sowie Schutz vor gegen sie gerichteten rassischen, ethnischen oder religiösen Hass" gewährt wird.

Es ist bemerkenswert, dass das Gesetz die größten nationalen Gruppen unter dem Vorwand der Existenz entsprechender Nationalstaaten von den "Einheimischen" ausschließt. Das heißt, Russen, Weißrussen, Juden, Polen, Ungarn, Bulgaren, Armenier, Moldawier, Griechen und Vertreter anderer Völker und Ethnien, die seit Jahrhunderten in der Ukraine leben, dürfen laut diesem Gesetz beispielsweise nicht vor Assimilation geschützt werden. Denn die Ukrainer selbst gehören zur Titularnation, was in der entsprechenden Präambel eines vorherigen Entwurfs des Gesetzes und einer Reihe umstrittener Ukrainisierungsgesetze zum Ausdruck gebracht wurde.

So gilt beispielsweise seit Januar 2021 in der Ukraine ein neues Sprachengesetz, das es Staatsdienern, Medizinern, Verkäufern, Kellnern usw. verbietet, mit dem Publikum ohne ausdrückliche Erlaubnis eine andere Sprache als Ukrainisch zu sprechen. Bei Zuwiderhandlung drohen empfindliche Geldstrafen, die Einhaltung des Gesetzes wird von speziellen Sprachinspektoren überwacht. Da das Land de facto zweisprachig ist und ganze Landesteile russischsprachig sind, ist diese Regelung vor allem gegen das Russische gerichtet. Seit September 2020 ist auch keine Schulbildung mehr auf Russisch möglich. In Medien, Kulturbetrieb und Buchhandel gelten Quoten, die ebenfalls darauf abzielen, Verwendung des Russischen zu minimieren.

Zum politischen Hintergrund gehört auch die Tatsache, dass das Gesetz offensichtlich auf Druck der Vertretung der Krimtataren in der Ukraine, dem sogenannten "Medschlis", geschrieben wurde. In Russland gilt die Gruppe als extremistisch, da sie enge Verbindungen zur radikal-islamischen "Hizb ut-Tahrir" und ukrainischen Nationalisten hat. Die einflussreichen Vertreter des "Medschlis" Mustafa Dschemilew und Refat Tchubarow streben seit Jahren die Schaffung einer krimtatarischen Autonomie im Gebiet Cherson an. Mit diesem Gesetz sind sie ihrem Ziel ein Stück nähergekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Entwurf tatsächlich vom ukrainischen Parlament Werchowna Rada verabschiedet wird, ist hoch, denn er wurde von Präsidialverwaltung als "dringend" priorisiert.

Scharfe Kritik am Gesetzentwurf kam aus Donezk. Laut den Minsker Abkommen müssten die Volksrepublik Donezk und Lugansk nach den durchgeführten internationalen anerkannten Wahlen aufgelöst und zu einem autonomen Gebiet werden. Mit dem Gesetzentwurf des ukrainischen Präsidenten ist auch diese Möglichkeit in weite Ferne gerückt. Die Ombudsfrau der Donezker Volksrepublik Darja Morosowa nannte die Initiative eine "Totgeburt". Es sei aus einem ganz offensichtlichen Grund unmöglich, auch nur einen der Artikel umzusetzen: Vertreter der darin hervorgehobenen ethnischen Gruppen seien Einwohner und Bürger eines anderen Landes, sagte sie im Hinblick auf die Tatsache, dass Krimtataren mehrheitlich auf der zu Russland gehörenden Krim und nicht in der Ukraine leben.

"Ich glaube, dass der wahre Zweck einer solchen Initiative darin besteht, die Geschichte umzuschreiben und auf legislativer Ebene die Rolle des russischen Volkes bei der Entstehung und Entwicklung des ukrainischen Staates abzuwerten", fügte sie hinzu.

Auch in Russland wurde die Gesetzesinitiative kritisch beäugt. Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti weist darauf hin, dass in der Ukraine sich nach der letzten Volkszählung ca. acht Millionen Menschen den Russen zugerechnet haben. Ein russischer Politikwissenschaftler wird mit den Worten zitiert: "Selenskij spricht das Thema der Verletzung der Rechte der russischen Bevölkerung und der Sprachdiskriminierung nicht an, weil er sich nicht um jene Wählerschaft kümmert, die überwiegend aus dem Südosten des Landes kommt." Die einzige wirkliche Quelle der Macht in der Ukraine sei nicht die Wählerschaft, also das Volk, sondern die US-Botschaft. 

Der langjährige Abgeordnete der Werchowna Rada Wladimir Olejnik glaubt, dass Kiew Artikel 10 der Verfassung verletzt, die "freie Entwicklung, Verwendung und Schutz der russischen und anderen Sprachen der nationalen Minderheiten" garantiert.

Kritisch äußert sich auch der unabhängige Journalist und Autor des Buches über die Ukraine-Krise "2014 – Wie der neue Kalte Krieg begann" Thomas Röper. "Neues Gesetz teilt Ukrainer nach völkischen Kriterien in Menschen erster und zweiter Klasse ein", schreibt er in seinem Blog. Es sei im Geiste der Nürnberger Rassegesetze geschrieben. Röper merkt an:

"Es ist doch wirklich bemerkenswert, dass so ein Gesetz gerade einmal etwas über tausend Kilometer von Berlin entfernt ganz offen in einem Parlament behandelt wird, dessen Regierung von der deutschen Regierung und der EU finanziell unterstützt wird."

Mehr zum Thema - Der Westen drückt ein Auge zu: Die Ukraine hat ein Faschismusproblem

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.