Menschenschmuggel aus der Türkei nach Deutschland durch Dienstpässe?
Es ist bereits von einer Pass-Affäre die Rede. Der türkische Journalist Ismail Saymaz, der dazu recherchiert, sagte im Onlinemedium Medyascope, es handele sich um ein Netzwerk mit Zentrum im osttürkischen Bingöl, das Menschen mithilfe von Dienstpässen nach Deutschland schmuggele.
Zwischen den Jahren 2019 und 2020 seien etwa aus den Provinzen Bingöl, Elazig, Malatya und Mus systematisch Menschen nach Deutschland gebracht worden. Ein Betroffener sagte der Habertürk-Journalistin, Sevilay Yilman, er schätze, dass alleine aus Bingöl zwischen 450 und 500 Menschen mithilfe der Pässe nach Deutschland gereist seien und sich abgesetzt hätten.
Türkische Medien hatten berichtet, dass im vergangenen Jahr 45 Menschen aus der osttürkischen Provinz Malatya mithilfe von Dienstpässen visafrei nach Deutschland gereist waren und nur zwei in die Türkei zurückkehrten. Es tauchten 43 Menschen ab, zwei sammelten die Pässe ein und brachten sie in die Türkei zurück. Anlass der Reise war demnach ein Umweltprojekt in Hannover. Gegen eine Person, die als "Schein-Einlader" fungiert haben soll, war in Hannover in dem Zusammenhang Anklage erhoben worden. Die türkischen Behörden hatten am Dienstag Ermittlungen gegen sechs sowohl von der Regierungspartei AKP als auch von der Opposition geführte Gemeinden eingeleitet.
Gedacht sind die Pässe eigentlich für dienstliche Auslandsreisen von Politikern und Staatsbeamten. Gemeinden in der Türkei können die Pässe aber auch für Personen beantragen, die keine Staatsbedienstete sind. In dem Fall muss die Reise im Rahmen einer Zusammenarbeit mit einer Nichtregierungsorganisation im Ausland erfolgen.
Nach Recherchen der Journalisten Saymaz und Yilman funktionierte die Organisation der Reisen meist nach demselben Prinzip. Das Netzwerk sei auf die Gemeinden zugegangen und habe diese darum gebeten, bei der Ausstellung der Pässe behilflich zu sein. Dazu wurden Einladungen aus Deutschland etwa zu Umwelt- oder Kulturveranstaltungen besorgt. Diese sollen Firmen wie etwa die von dem in Hannover Angeklagten ausgestellt haben. Oft handele es sich auch um Scheinfirmen. Als Gegenleistungen seien Zuwendungen an die Gemeinde geflossen. Von Ankara eingesetzte Provinzgouverneure müssen die Ausstellung der Pässe in der Regel bewilligen.
Die Reisenden zahlten nach türkischen Medienberichten für die Pässe zwischen 6.000 und 8.000 Euro pro Person und wurden mit dem Bus nach Deutschland gebracht. Die Ausstellung von grauen Dienstpässen für Personen, die keine Staatsbedienstete sind, haben die türkischen Behörden inzwischen ausgesetzt.
Aus dem Bundesinnenministerium hieß es am Mittwoch, die Bundespolizei stehe in dem Fall in Kontakt mit den türkischen Behörden. Es liefen Ermittlungen wegen Schleusertätigkeit und unerlaubter Einreise. Wo sich die Eingereisten heute aufhielten, sei größtenteils nicht bekannt. Zur Zahl der Menschen, die auf diese Weise nach Deutschland gelangt waren, machte das Ministerium keine Angaben.
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(dpa/rt)
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