Europa

Nawalny sieht sich als möglichen Leidensgenossen Trumps und nennt dessen Twitter-Sperrung "Zensur"

Sowohl Regierungen als auch politische Aktivisten und Oppositionelle weltweit nehmen die dramatischen Umstände des Machtwechsels in den USA als Präzedenzfall wahr. So auch in Russland. Insbesondere die digitale Verbannung von Donald Trump aus der Öffentlichkeit erregt die Gemüter.
Nawalny sieht sich als möglichen Leidensgenossen Trumps und nennt dessen Twitter-Sperrung "Zensur"Quelle: www.globallookpress.com

Es dauerte mehr als einen Tag, bis der russische Oppositionelle und Politblogger Alexei Nawalny die Sperrung beziehungsweise Löschung sämtlicher digitaler Konten des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump in den sozialen Medien kommentierte. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich bereits viele russische prowestliche Journalisten und Mitarbeiter seines Antikorruptionsfonds (FBK) in Moskau in ihren Bewertungen festgelegt.

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In ihrer Mehrheit hatten sie den Entschluss der US-amerikanischen Hightech-Giganten wie Twitter oder Facebook als freie Entscheidung von Privatunternehmen begrüßt. "So arbeiten Institute der Gesellschaft!", lobte die FBK-Juristin Ljubow Sobol die Entscheidung. Trump wurde dagegen als ein Gefährder der öffentlichen Ordnung verurteilt.

Damit legten sie sich auf die Linie der Demokratischen Partei der USA fest, von der sie sich künftig mehr Unterstützung im russischen Wahljahr 2021 erwarten. Trump war derjenige Präsident, der für die Belange der russischen Opposition in seiner Amtszeit wenig Interesse zeigte. Nawalny, der sich noch immer in einem deutschen Ferienort aufhält, brachte die Einstimmigkeit seiner Mitstreiter allerdings durcheinander. In seinem auf Englisch verfassten und auf Twitter veröffentlichten Statement ging er vor allem mit ebendieser digitalen Plattform hart ins Gericht. Seine Thesen wurden am darauffolgenden Tag in Presseamt-Manier von der Bild-Zeitung ins Deutsche übertragen.

Für Nawalny ist der Beschluss von Twitter, Trumps Account stillzulegen, "ein inakzeptabler Akt der Zensur". Er sprach von einem "Präzedenzfall", der von den "Feinden der Redefreiheit" ausgenutzt werde.

Der von vielen Medien als "Putins schärfster Kritiker" auserkorene Oppositionelle wies auch darauf hin, dass die Twitter-Löschung nicht im demokratischen Prozess gewählte, sondern unbekannte Personen tätigten. "Die Verbannung von Twitter ist eine Entscheidung von Menschen, die wir nicht kennen, als Ergebnis eines Prozesses, den wir nicht kennen", schrieb er.

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Die Begründung, Trump habe gegen die Twitter-Regeln verstoßen, ließ Nawalny nicht gelten. Er schrieb:

"Erzählt mir nicht, er wurde verbannt, weil er gegen Twitter-Regeln verstoßen habe. Ich bekomme hier seit vielen Jahren jeden Tag Todesdrohungen, und Twitter verbannt niemanden (nicht dass ich darum bitten würde)."

Twitter sei selektiv, da jene Plattform sowie Facebook und Instagram die Accounts von "Mördern", "Lügnern", "Dieben" und Corona-Leugnern für gewöhnlich dulde. Es ist keine Überraschung, dass er dabei Feindbilder erwähnte, die für die deutsche und westliche politische Klasse typisch sind – Maduro, Putin (als "kaltblütiger Mörder"), Medwedew (als "Lügner und Dieb"), die russische Trollfabrik oder staatsnahe Unternehmen in Russland oder China. Die Tatsache, dass Wladimir Putin zu keinem Zeitpunkt ein Konto in den sozialen Medien besessen hatte, spielte für den Verfasser keine Rolle.

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Die auf Englisch verfassten Twitter-Botschaften waren damit offenbar auch an die deutsche Politik gerichtet. Vor allem die folgende Passage lässt gute Kenntnisse der seit mehreren Monaten andauernden innerdeutschen politischen Debatte erkennen:

"Diejenigen, die COVID-19 leugnen, existieren ungehindert und kommunizieren bei Twitter. Ihre Worte haben Tausende Leben gekostet. Und dennoch war es Trump, der öffentlich und auf eine großtuerische Art verbannt wurde."

Es ist interessant, dass auch der Pressesprecher der Bundeskanzlerin, Steffen Seibert, sich eine Kritik an der Trump-Sperrung erlaubte – nach dem gleichen Argumentationsmuster wie Nawalny. Entsprechende Eingriffe (in die Meinungsfreiheit) seien möglich, aber nicht auf Beschluss von Social-Media-Unternehmen, so Seibert.

Im Übrigen appelliert Nawalny mit seinem Statement an das russische Publikum – sowohl an Gegner als auch an Unterstützer. Dabei schlug er – wie bereits erwähnt – gänzlich andere Töne an als viele andere Oppositionelle. Offensichtlich ist es für ihn schwierig, öffentlich die Idee zu unterstützen, dass man für seine Beiträge in den sozialen Netzwerken gesperrt werden darf, wenn sie Aufrufe zum Kampf um die Macht mit Gewalt beinhalten könnten. Denn in Russland zeichnen sich für ihn unangenehme Parallelen zu den Geschehnissen in den USA ab.

Alexei Nawalny und einige Mitarbeiter seines Teams sind bekannt für ihre scharfe, hasserfüllte Rhetorik. Oft vergleicht er Objekte seiner Kritik mit Insekten und Tieren wie Ratten und lässt diese Vergleiche in seinen Videos über die sozialen Medien verbreiten – millionenfach. Derzeit wird gegen ihn wegen Beleidigung eines Veteranen ermittelt. In Deutschland nannte der Oppositionelle Nawalny Altkanzler Gerhard Schröder "Putins Laufburschen" und warf ihm Korruption vor.

Monate zuvor, am 27. April, sorgte eine Aussage Nawalnys in einem Radio-Interview für Aufsehen. Damals sagte er im Gespräch mit dem Sender Echo Moskwy:  

"Aber wissen Sie, wenn unsere Regierung so beschaffen ist, dass sie 60 Millionen Menschen hungern lassen will, nur um mir etwas nicht Gutes zu tun – eine solche Regierung sollte man auf jeden Fall umgehend stürzen, womöglich sogar auf gewaltsame Weise."

Im Interview hat er die aus seiner Sicht unzureichenden Hilfsmaßnahmen der Regierung für die Wirtschaft und Bevölkerung in der Corona-Krise kritisiert. Eine linguistische Expertise ergab, dass es sich bei seinen Aussagen um einen öffentlichen Aufruf zur Ausführung von extremistischen Handlungen handelt. Dafür würden bis zu fünf Jahre Haft drohen. Seit dem 30. November findet diesbezüglich eine behördliche Überprüfung statt. In seinem Twitter-Kommentar nimmt Nawalny darauf Bezug:

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Ersetze man bei der Diskussion um Trumps Twitter-Sperre den Namen Trump durch Nawalny, erhalte man "eine zu 80 Prozent akkurate Antwort des Kremls darauf, warum mein Name nicht im russischen TV erwähnt und ich nicht an Wahlen teilnehmen darf".

Am Ende seiner langen Twitter-Passage machte Nawalny mehr als deutlich, dass die derzeitige Entwicklung im Umgang mit politischen Gegnern im wichtigsten "Vorposten der Demokratie" USA ihn und seine Bewegung gefährde. Die Schuld dafür sieht er allerdings nicht in den USA, sondern bei autoritären Herrschern und "Feinden der Redefreiheit", die den Fall ausnutzen würden: 

"Dieser Präzedenzfall wird ausgenutzt werden von den Feinden der Redefreiheit rund um die Welt. Auch in Russland. Immer, wenn sie jemanden zum Schweigen bringen wollen, werden sie sagen: 'Das ist einfach nur übliche Praxis, selbst Trump wurde von Twitter blockiert'."

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