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Doppelt hält besser? Nawalny angeblich zwei Mal mit Nowitschok vergiftet

Die britische Zeitung Sunday Times liefert vermeintlich sensationelle Details im Fall Alexei Nawalny. Der russische Politblogger soll gleich zwei Mal von Kreml-Agenten mit Nowitschok vergiftet worden sein. Man beruft sich auf anonyme Quellen bei deutschen Geheimdiensten.
Doppelt hält besser? Nawalny angeblich zwei Mal mit Nowitschok vergiftetQuelle: Sputnik © Alexei Witwizki

Der russische Blogger Alexei Nawalny soll am 20. August vor seinem Flug aus dem sibirischen Tomsk nach Moskau mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden sein. Dies behauptet zumindest die deutsche Bundesregierung. Nach einer Notlandung wurde Nawalny bis in die Morgenstunden des 22. August im sibirischen Omsk behandelt, bevor er nach Deutschland in die Berliner Charité ausgeflogen wurde.

Bislang sind die Medien nur von einer einmaligen Vergiftung mit Nowitschok ausgegangen. Die britische Sunday Times behauptet nun, Nawalny sei ein zweites Mal vergiftet worden: nach seiner Behandlung in Omsk und vor seinem Abflug nach Berlin. 

"Bevor Nawalny nach Berlin geflogen wurde, versuchten russische Geheimdienstagenten erneut, diesen lautstarken Kritiker Putins mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe zu töten, so westliche Geheimdienstquellen", heißt es in dem Artikel in der Sonntagsausgabe der Tageszeitung. "Aufgedeckt: Kreml machte einen zweiten Versuch, Alexei Nawalny bei verpfuschtem Attentat zu vergiften", lautet die Schlagzeile des vermeintlichen Enthüllungsberichts der Sunday Times.

"Dies wurde in der Erwartung getan, dass er tot sein würde, wenn er in Berlin ankommt", sagte demnach eine Quelle. Diese und andere Details seien laut der Zeitung zum ersten Mal veröffentlicht worden und sollen von deutschen Geheimdiensten stammen. Diese hätten ihre Erkenntnisse den britischen Kollegen mitgeteilt. Die britische Zeitung liefert auch gleichzeitig eine Erklärung, warum auch der zweite Anschlag scheiterte: Dies sei der anfänglichen Dosis von Atropin zu verdanken, die Nawalny von russischen Ärzten verabreicht worden sein soll, nachdem er in ein Krankenhaus im sibirischen Omsk eingeliefert worden war.

"Eine zweite Dosis von Nowitschok hätte sicherlich die Wahrscheinlichkeit des Todes erhöht", sagte Alastair Hay, Professor für Umwelttoxikologie an der Universität von Leeds, der Zeitung. "Wenn ihm aber bereits Atropin gespritzt worden war, konnte dadurch der Vergiftungsstoff neutralisiert werden."

Außerdem stellt die Sunday Times erneut die Hypothese auf, wie der Kremlkritiker beim ersten Mal vergiftet worden sein könnte. Höchstwahrscheinlich wären russische Agenten in sein Hotelzimmer in Tomsk eingebrochen und hätten seine Unterwäsche kontaminiert. 

Die Idee einer angeblichen Doppelvergiftung Nawalnys ist nicht neu. Vor zwei Monaten sollen ebenfalls nicht genannten Quellen aus den Reihen deutscher Geheimdienste diese Vermutung gegenüber der New York Times aufgestellt haben. Allerdings gingen sie davon aus, dass sich diese Vergiftung noch in Tomsk ereignet haben soll.

Eine solche Vergiftung sei grundsätzlich ausgeschlossen, widersprachen die Omsker Mediziner dieser Veröffentlichung, da sich Alexei Nawalny in der streng überwachten "roten Zone" befand. Dies erklärte Alexander Sabajew, Chef-Toxikologe der Region Omsk und des Sibirischen Föderationskreises sowie Leiter der Abteilung für akute Vergiftungen im Omsker Krankenhaus Nr. 1, gegenüber russischen Medien. Sabajew wörtlich:

"Es gab keine Besuchsanfragen. Keiner außer dem medizinischen Personal hatte Zugang zu ihm. Das ist alles von Anfang bis Ende erfunden. Es gab keine Vergiftung, weder ein erstes noch ein zweites Mal."

Auch bei seinen früheren Auftritten schloss Sabajew eine Kontaminierung Nawalnys mit Nowitschok aus. "Er wäre dann nach wenigen Stunden gestorben", erklärte der Mediziner. Außerdem hätte dies eine völlig andere Behandlung und eine viel höhere Dosis Atropin erfordert, so der Arzt.  

Nach einer einmonatigen Behandlung in der Berliner Charité ist Alexei Nawalny nach eigenen Angaben fast vollständig genesen und befindet sich derzeit an einem Ferienort in Deutschland.

Unterdessen glaubt die deutsche Regierung, anhand eines Laborbefunds Beweise für einen Mordversuch an Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok gefunden zu haben. Seitdem machen viele westliche Medien und Politiker wie auch Nawalny selbst den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich für dieses Attentat verantwortlich. Russland bestreitet dies und wirft Deutschland hingegen ein Täuschungsmanöver vor. Erst kürzlich kam der russische Präsident auf die fehlenden Beweise zu sprechen. "Warum gebt ihr die Unterlagen nicht heraus? 'Nowitschok', wo ist es?", fragte Putin auf einer Online-Konferenz.

Bisher kaum Medien-Echo

Obwohl der Artikel aus Großbritannien Quellen aus Deutschland zitiert, haben keine deutschen Medien die neuen "exklusiven Details" zum Fall Nawalny bislang aufgegriffen. Außer der Bild, die den Inhalt des Artikels ausführlich nacherzählte. "Kreml wollte Nawalny zweites Mal vergiften", hieß es dort. Zwar berichtete auch der deutsche Staatssender Deutsche Welle unter Verweis auf "anonyme Geheimdienstquellen" über die Behauptungen der Sunday Times, allerdings nur in seiner englischsprachigen Ausgabe. Diesen Beitrag wiederum retweetete das ARD-Büro in Moskau: 

Dies könnte auf ein nachlassendes Interesse an der angeblichen Vergiftung des russischen Oppositionellen hindeuten. Noch vor drei Monaten sah man die deutsch-russischen Beziehungen durch den Fall Nawalny fast ruiniert. Im letzten großen Interview, das Bundesaußenminister Heiko Maas am 4. Dezember dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel gegeben hat, war weder von Nawalny noch vom einem "Umgang mit Russland nach einem Chemiewaffeneinsatz" die Rede.

Aber auch die vermeintliche Qualität der Nachricht könnte eine Rolle spielen. In Russland haben mehrere Juristen und Politikwissenschaftler die Veröffentlichung bereits kommentiert. Man weist darauf hin, dass es stets anonyme Agenten sind, die solche Meldungen produzieren. Oleg Matweitschew, Professor an der Moskauer School of Economics, vertritt die Meinung, dass "die Briten Nawalny zu einer lächerlichen Person machen, über dessen Unsterblichkeit die ganze Welt lacht". Der bekannte russische Medienmacher und Chef des Senders "Echo Moskwy" Alexei Wenediktow spottete auf Twitter: "Der Artikel der Sunday Times scheint von den russischen Geheimdiensten veröffentlicht worden zu sein, um die Tatsache des versuchten Giftanschlags auf Alexei Nawalny zu diskreditieren."

Sunday Times: Kommt auch eine dritte Vergiftung?

Matthew Campbell, der Autor des Artikels, berichtet seit den 1990er-Jahren aus Moskau. In vielen seiner Beiträge warnt er vor Putin und Russland: "Deutschstämmige werden von Putins Dampfwalze eingekesselt und gejagt", "Gift ist nicht nötig. Putin tötet den Westen von innen", heißt es in einigen dieser Publikationen. Im aktuellen Artikel geht der Autor mit vielen Experten aus britischen Sicherheitskreisen der Frage nach, wie man eine "entschlossene Abschreckungsstrategie gegen Moskau entwickeln" könnte. Einer der Vorschläge stammt von Nawalny selbst, den der Autor persönlich kennt: London solle einen Schlag gegen "Putins Kumpel" in der britischen Hauptstadt wagen. Gemeint sind vor allem reiche Unternehmer, die in London teilweise ansässig sind. 

Am Ende seines Artikels blickt Campbell in die Zukunft und macht eine weitere vielsagende Andeutung: "Nawalny muss sich jedoch erst einmal vollständig erholen, da er den "Empfang" (nach seiner Rückkehr nach Russland) überstehen muss, den ihm der Kreml sicherlich bereiten wird – mit einer weiteren Dosis Gift." 

Am Montag bat RT den Kremlsprecher Dmitri Peskow um einen Kommentar zu den in der britischen Zeitung neuerlich erhobenen Behauptungen einer sogar zweifachen Nowitschok-Vergiftung. Er nannte die Sunday Times eine "Sonntagslektüre im Morgenmantel", die "Bullshit" veröffentliche.

"Es gibt Berichte, die man Fake-News nennen kann, und es gibt solche Nachrichten, zu denen man nichts anderes mehr zu sagen braucht als das bestens passende englische Wort "Bullshit". Das hier ist genau so ein "Bullshit". Mehr habe ich dazu nicht zu sagen", so Peskow wortwörtlich.

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