Europa

"Kreml-Agent?" – Politischer Flüchtling aus der Ukraine als Ziel einer Hetzkampagne der BILD-Zeitung

Oleg Musyka, der dem Tod der Feuerhölle im Odessaer Gewerkschaftshaus nur knapp entrann, wird von der Bild als "Kreml-Agent" und "Anti-NATO-Wühler" angeprangert. Der freie Korrespondent Ulrich Heyden führte für RT ein Interview mit Musyka.
"Kreml-Agent?" – Politischer Flüchtling aus der Ukraine als Ziel einer Hetzkampagne der BILD-Zeitung© Ulrich Heyden

von Ulrich Heyden

Es ist schon merkwürdig. Der aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa stammende Aktivist Oleg Musyka erfreut sich unter jenen Menschen, die sich für die Ukraine interessieren, großer Bekanntheit. In breiteren Kreisen der Bevölkerung war er bisher jedoch ein Unbekannter. Dies ändert sich nun durch einen Artikel

Darin werden die Leser vor dem Mann aus Odessa gewarnt. Der Artikel trägt die bedrohliche Überschrift "Ist dieser Berliner Aktivist ein Kreml-Agent?"

Die Bild, die sich bis heute nicht dafür interessierte, warum der Brandangriff auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014 bis zum heutigen Tag nicht aufgeklärt wurde, die Bild, die noch keinen einzigen Überlebenden des Brandangriffes interviewt hat, ebendieses famose Blatt stellt nun einen der Überlebenden des Massakers von Odessa an den Pranger. Musyka wolle "Deutschland und Europa destabilisieren", schreibt das Blatt.

Die Bild, die schon so manchen unbescholtenen Menschen öffentlich hingerichtet hat, stützt sich bei ihren Recherchen zur Person Musyka auf besonders vertrauenswürdige, aber namentlich nicht genannte Quellen aus "westlichen Geheimdiensten". Diese halten Musyka "für gefährlich", so das Blatt. Der deutsche Geheimdienst, moniert die Bild, halte Musyka dagegen für "harmlos".

Der Artikel in Deutschlands auflagenstärkster Zeitung verfolgt offenbar das Ziel, auf die deutschen Behörden Druck auszuüben. Die Bild will erreichen, dass Musyka der Status des politischen Flüchtlings entzogen wird. Musyka ist ukrainischer Staatsbürger und seit 2017 von den deutschen Behörden als politischer Flüchtling anerkannt.

Über die angebliche Finanzierung durch den Kreml

Frage: Die Bild schreibt in ihrem Artikel, Sie hätten auf schriftliche Fragen nicht geantwortet.

Oleg Musyka: Ich habe einen Brief der Bild nie gesehen. Es wäre gut, wenn mir der Journalist mitteilt, wann und an welche Adresse er mir einen Brief geschickt hat. Ich bin bereit, auf Fragen zu antworten. Ich vertrete keine radikale Position gegenüber bestimmten Medien. Ich bin noch am Überlegen, wie ich auf den Artikel in der Bild antworte.

Frage: Haben Sie Angst, dass die Menschen in Ihrem Haus jetzt wissen, dass deren Nachbar ein "Kreml-Agent" ist?

Oleg Musyka: Wenn ich bemerke, dass man meine Reputation schädigt, werde ich auf die Bild reagieren.

Frage: Haben Sie Angst vor gewaltsamen Überfällen?

Oleg Musyka: Ich lebe natürlich achtsam. Es kam vor, dass man mich auf Kundgebungen bedroht hat. Man sagte mir: "Dich hätte man verbrennen müssen." So reden vor allem Bürger der Ukraine, die in Europa leben.

Frage: Die Bild behauptet, Sie flögen häufig nach Moskau und würden vom Kreml finanziert.

Mehr zum Thema - 5. Jahrestag des Odessa-Massakers: "Es wurde dunkel, wie in der schrecklichsten, schwarzen Nacht"

Oleg Musyka: Ich bekomme Unterstützung von ukrainischen Politikern und Geschäftsleuten, die die Macht in der Ukraine nicht unterstützen.

Frage: Wo wohnen diese Geschäftsleute und Politiker?

Oleg Musyka: Sie werden in der Ukraine politisch verfolgt. Sie haben deshalb die Ukraine verlassen und leben in Russland.

Frage: Und Sie fliegen oft nach Moskau, wie die Bild schreibt?

Oleg Musyka: Im Jahr fliege ich fünf-, sechsmal nach Moskau, jeweils für zwei, drei Tage.

Frage: Was machen Sie in Moskau?

Oleg Musyka: Ich verbinde das Angenehme mit dem Nützlichen. Mein Ziel ist es, die Informationsblockade zu durchbrechen. Wenn es um Odessa oder die Ukraine geht, werde ich vom 1. Kanal und vom Fernsehkanal Swesda eingeladen. Ich berichte, wie man in Europa über die Ukraine denkt.

Über die Nutzung von OSZE-Symbolen

Frage: Die Bild behauptet, die von Ihnen mitgegründete Organisation "Global Rights of Peaceful People" habe ohne Erlaubnis das Logo der OSZE benutzt. Stimmt das?

Oleg Musyka: Das Briefpapier mit dem Symbol der OSZE hat Sergei Markhel gemacht. Er war ein Organisator von "Global Rights". Sergei Markhel ist leider verstorben. Das OSZE-Logo wurde verwendet, als wir an der Sitzung des "Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte" (ODIHR), einer Unterorganisation der OSZE in Warschau, teilnahmen. Sergei hat das OSZE-ODIHR-Logo verwendet, weil wir an Veranstaltungen des ODIHR über mehrere Jahre aktiv mit Diskussionsbeiträgen teilgenommen haben. Ich selbst habe an den Sitzungen 2018 und 2019 teilgenommen. Unsere Organisation "Global Rights of Peaceful People" ist bei der OSZE/ODIHR offiziell als Teilnehmer von Veranstaltungen registriert.

Als wir im Oktober 2019 anlässlich des Prozesses zur Tragödie mit dem Passagierflugzeug MH17 in Den Haag eine Veranstaltung durchführten, haben wir das von Sergei gestaltete Briefpapier als Einladung für unsere Veranstaltung benutzt. Wir haben die Einladung an niederländische und europäische Medien, zivilgesellschaftliche Aktivisten und Politiker verschickt.

Als die OSZE die Information erhielt, dass wir ihr Logo benutzen, haben sie uns einen Brief geschrieben, in dem sie darum baten, dass wir ihr Symbol von unserem Briefpapier nehmen. Wir haben das OSZE-Logo sofort gelöscht und der OSZE einen Brief geschrieben, dass wir uns entschuldigen. Außerdem erklärten wir, dass das nicht wieder vorkommt. Das Logo haben wir insgesamt nur zweimal benutzt.

Frage: Was war das Ziel der Veranstaltung in Den Haag?

Oleg Musyka: Wir wollen die Aufmerksamkeit auf alle Zeugen der MH17-Katastrophe lenken, auch auf die, die man bisher nicht angehört hat. Wir stellen Videomaterial von Zeugen zur Verfügung, die darüber sprechen, dass die Ukraine und der ukrainische Geheimdienst SBU an der MH17-Tragödie beteiligt waren.

Frage: Um was für eine Organisation handelt es sich bei "Global Rights of Peaceful People"?

Oleg Musyka: Sie wurde von Menschen aus Odessa gegründet. Das sind Menschen, die an der Anti-Maidan-Bewegung teilgenommen und sich über das Internet kennengelernt haben. Als wir unsere Fotoausstellung in verschiedenen europäischen Ländern zeigten, sind verschiedene Menschen aus verschiedenen Ländern auf uns zugekommen und unterstützen jetzt unsere Organisation. Wir haben Unterstützer in Ungarn, den Niederlanden, Italien und Spanien. Hauptziel der Organisation ist der Schutz der Rechte und Freiheiten der Menschen, der Medien, der Journalisten und der Menschenrechtler, nicht nur in der Ukraine.

Über den Vorwurf der "Zusammenarbeit mit Rechten"

Frage: Die Bild behauptet, Sie hätten feste Kontakte nicht nur zum Kreml, sondern auch zu Rechtsradikalen. Sie sollen 2015 auf einer Tribüne vor dem Reichstag neben dem ehemaligen NPD-Funktionär Rüdiger Hoffmann gestanden haben. Außerdem schreibt die Bild, sie hätten Kontakt zu Carsten Halffter, einem Reichsbürgermitglied. Haben Sie wirklich mit diesen Personen gesprochen und mit ihnen zusammengearbeitet?

Oleg Musyka: Ich kam im August 2014 nach Deutschland. Damals kannte ich mich in der deutschen Politik nicht aus. Ich kannte die gesellschaftlichen Organisationen nicht. Ich sah damals eine Versammlung vor dem Reichstag. In der Versammlung sah ich die Symbole der Volksrepublik Donezk. Auf der Versammlung ging es um den ukrainischen Nationalismus. Ich habe die Leute dort nicht in Linke und Rechte unterteilt. Für mich war klar, dass es sich um eine genehmigte Kundgebung handelte und dass diese Leute das Gesetz nicht verletzen und die Organisationen, die dort auftreten, nicht verboten sind. Deshalb bin ich zu ihnen gegangen und habe sie mithilfe von Übersetzern gefragt, wie sie zu den Ereignissen in der Ukraine und im Donbass stehen.

Frage: Zu Rüdiger Hoffmann und Carsten Halffter haben Sie seitdem keinen Kontakt mehr?

Oleg Musyka: Mit Rüdiger Hoffmann habe ich seit dem November 2014 keine gemeinsamen Aktionen mehr durchgeführt.

Frage: Und Carsten Halffter?

Oleg Musyka: Ich habe ihn auf allen Veranstaltungen im Rahmen der Druschba-Freundschaftsfahrt Berlin-Moskau gesehen. Aber ich habe mit ihm nie Tee oder Kaffee getrunken oder mich mit ihm verabredet. Seinen Namen habe ich nur aus der Bild erfahren.

Frage: Unter deutschen Linken gibt es die Meinung, dass es falsch ist, auf Veranstaltungen aufzutreten, auf denen man von rechten Kräften für undemokratische Ziele benutzt wird.

Oleg Musyka: Ich habe festgestellt, dass es in Europa so eine Herangehensweise gibt: Wenn du bei Linken auftrittst, erlauben dir die Rechten trotzdem, dass du bei ihnen auftrittst. Aber wenn du bei den Rechten auftrittst, werden dir die Linken keine Auftritte mehr gestatten (lacht). Die Linken verstehen nicht, dass du deinen Standpunkt sowohl dem rechten als auch dem linken Auditorium zu Gehör bringen willst.

Frage. Als Opfer des Faschismus in der Ukraine müssten Sie da nicht eine sehr große Distanz zu allen Faschisten und Nationalisten in Deutschland halten?

Oleg Musyka: In der letzten Zeit versuche ich, in dieser Frage sehr vorsichtig zu sein. Aber wie soll man sich dann gegenüber den deutschen Grünen verhalten, die zu den aktivsten Unterstützern der jetzigen ukrainischen Macht gehören? Insbesondere die Grünen führen massenweise Veranstaltungen mit Vertretern des Maidan durch, also mit all jenen, die den ukrainischen Nationalismus und den Staatsstreich in der Ukraine unterstützen.

Frage: Aber muss man nicht mit den Wählern der Grünen reden und versuchen, sie zu überzeugen, und ihnen Argumente zum Nachdenken geben?

Oleg Musyka: Wie soll man sie überzeugen? Wenn die deutschen Medien einen Bogen um mich machen und jetzt nur die Bild über mich schreibt, obwohl ich den deutschen Medien ständig Einladungen zu unseren Veranstaltungen schicke?

Über den Entzug von Veranstaltungsräumen

Frage: Haben Sie als politischer Flüchtling das uneingeschränkte Recht, am politischen Leben in Deutschland teilzunehmen?

Oleg Musyka: Ich melde mit meinem Namen Kundgebungen in Berlin an. Im Juli 2020 haben wir eine Kundgebung vor der ukrainischen Botschaft in Berlin gegen die politische Repression in der Ukraine durchgeführt. Die Polizei hat diese Kundgebung genehmigt. Im August 2020 haben wir eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor durchgeführt. Auch diese Kundgebung wurde unter meinem Namen angemeldet.

Frage: Wird Ihre politische Arbeit in Deutschland in irgendeiner Weise behindert?

Oleg Musyka: Es kam vor, dass mir Veranstaltungsräume versagt wurden. Da hatte die ukrainische Diaspora für gesorgt.

Frage: Im Dezember 2015 wurde Ihnen gegenüber die Zusage für einen Raum für ein Filmfestival im Haus der Demokratie in Berlin zurückgezogen. Und 2018 zog man im Piano Salon in Dresden eine Zusage für eine Veranstaltung mit Ihnen zurück.

Oleg Musyka: 2019 gab es in Berlin eine Veranstaltung einer Organisation russischsprachiger Eltern in Deutschland. Auf der Veranstaltung ging es um die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Ich registrierte mich. Aber mir wurde der Zugang zu der Veranstaltung nicht genehmigt. Die Arbeit dieser Organisation wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt.

Was ist das Ziel?

Frage: Ungeachtet der Tatsache, dass Sie eine Tragödie überlebt haben, sind Sie ein sehr aktiver Mensch. Was gibt Ihnen die Kraft? Was ist Ihr Ziel?

Oleg Musyka: Mein wichtigstes Ziel ist es, diejenigen vor Gericht zu bringen, die für die Tragödie in Odessa am 2. Mai 2014 die Verantwortung tragen, für die Tragödie auf dem Maidan, die Tragödie in der ganzen Ukraine, für den Krieg im Donbass. Was mir Kraft gibt? Das ist der Tod meiner Freunde, Genossen, Kollegen und die getöteten Kinder im Donbass. Sie drängen mich dazu, mich zu engagieren. Deshalb kann ich nicht aufhören.

Das Interview führte Ulrich Heyden (Moskau) per Telefon am 28. September 2020

Mehr zum Thema5 Jahre Odessa Massaker - Ein Verbrechen ohne Täter?

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.