Nahost

Für Ost und West der "Lieblingsdiktator": As-Sisi erweitert seine Macht über Ägypten

Ägyptens Staatschef As-Sisi gewann vor einer Woche mit 97 Prozent die Präsidentenwahl gegen einen Gegenkandidaten, der ihn selbst unterstützte. Trotz dieser aus westlicher Sicht prototypischen "Diktatur"-Merkmale bleiben allzu laute Beanstandungen aus.
Für Ost und West der "Lieblingsdiktator": As-Sisi erweitert seine Macht über ÄgyptenQuelle: Reuters © Mohamed Abd El Ghany

von Dr. Kamran Gasanow

Während in Europa der diplomatische Krieg infolge der Vergiftung der Skripals im vollem Gange ist, hat der ägyptische Präsident Abd al-Fattah As-Sisi beinahe unbemerkt von der Medienöffentlichkeit seine Stellung gefestigt. Bei den Wahlen am 2. April wurde er mit einem Rekordwert von 97 Prozent für die zweite Amtszeit wiedergewählt. Bekannte europäische und amerikanische Denkfabriken wie ECFR, Stratfor und Carnegie Center bezweifeln die Legitimität der Wahlen. Die wichtigsten Rivalen von As-Sisi, etwa der verhaftete General Sami Anan, waren im Vorfeld der Abstimmung verhaftet oder zum Rückzug gedrängt worden.

Der einzige Gegner des Präsidenten, Musa Mustafa Musa, der nur wenige Stunden vor dem Abschluss der Registrierung seine Kandidatur eingereicht hatte, hatte selbst seine Unterstützung für As-Sisi geäußert. Unter Verweis auf etwa 60.000 politische Gefangene, hunderte Todesurteile und die strikte Kontrolle der Presse nennen westliche Medien und Menschenrechtler das heutige Regime in Ägypten "schlimmer als Mubarak". Aber sie sind derzeit nicht wegen der Abwesenheit von Demokratie, dem Verdacht der Wahlfälschung oder einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung von ca. 40 Prozent in Rage, sondern der Reaktion der USA und Europas wegen.  

Entgegen einem offen im ECFR-Artikel "Europa und die ägyptischen Wahlen: Gratuliere nicht" geäußerten Aufruf beeilten sich westliche Führer, einer nach dem anderen, As-Sisi zu huldigen. Erster Gratulant war US-Präsident Donald Trump, der den ägyptischen Amtskollegen einen "fantastischen Kerl" nennt und seine Beziehungen zu diesem als "sehr nahe" und "warm" bezeichnet. Im Unterschied zu Barack Obama, der As-Sisi für den Militärputsch im Jahr 2013 kritisiert und die Militärhilfe an Ägypten ausgesetzt hatte, hat Trump seit dem ersten Tag seiner Arbeit im Weißen Haus für den Starken Mann in Ägypten Position bezogen. Nach dem Ausscheiden des Staatssekretärs Rex Tillerson, der die Entscheidung Ägyptens verurteilt hatte, eine Blockade gegen Katar mitzutragen, und der Ernennung von John Bolton - eines Befürworters des Irak-Krieges - als Sicherheitsberater soll die Unterstützung für As-Sisi vonseiten Washingtons noch stärker geworden sein.

Trump setzt große Stücke auf den General

Die der Doktrin des "Friedens durch Stärke" verhaftete US-Regierung teilt die Ansichten des ägyptischen Generals über die Islamisten aus der Muslimbruderschaft und die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung auf seinem Hoheitsgebiet. Die Unterstützung für As-Sisi wird nicht nur durch Washingtons Wunsch gerechtfertigt, Ägypten in eigener Einflusssphäre zu halten, sondern auch durch Trumps Nahost-Strategie insgesamt. Die USA brauchen ein säkulares Ägypten, um die Unverletzlichkeit der Camp-David-Verträge über die Anerkennung und Sicherheit Israels zu bewahren, die während der Präsidentschaft des inhaftierten Chefs der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, infrage gestanden hatten.

Auf der anderen Seite gibt As-Sisi Trumps anti-iranischen Initiativen Rückhalt, die dieser zusammen mit dem saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman verfolgt. Demonstrative Gesten Kairos waren die Teilnahme an der Intervention gegen pro-iranische Huthis ​​seit März 2015 im Jemen und die Blockade von Katar im Juni 2017. Vor allem mit dem Golfemirat hat As-Sisi ein Hühnchen zu rupfen - insbesondere aufgrund finanzieller Aktivitäten Dohas im Gazastreifen und der Unterstützung der Islamisten von der Hamas, die Kairo zusammen mit Jerusalem zu ersticken versucht. Abweichend von Ägypten betrachtet Israel Katars Wirtschaftshilfe für die Bevölkerung des Gazastreifens, die sich seit 2007 in einer Blockade befindet, als die einzige Kraft, die Hamas beeinflussen kann. Nachdem As-Sisi an die Macht gekommen war, begann er, die militärischen Tunnel zu zerstören, durch die von der Sinai-Halbinsel in Ägypten aus Waffen und Kämpfer in den Gazastreifen verlegt wurden.

Neben Trump haben auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die britische Premierministerin Theresa May As-Sisi ihre Glückwünsche ausgesprochen. Die EU wie die USA positionieren sich zwar gerne als "Verteidiger der Demokratie", doch im Gegensatz zu seinem transatlantischen Partner ist die EU, was die wirtschaftlichen Interessen und die eigene Sicherheit anbelangt, noch direkter von der Situation in Ägypten betroffen. Der so genannte Arabische Frühling hat das Mittelmeer erschüttert und wurde zu einer Quelle der Instabilität nicht nur für Nahen Osten, sondern auch für Europa selbst. Nun erinnert sich die europäische Elite mit Nostalgie an die Zeiten von Mubarak, Gaddafi und Ben Ali zurück, in denen es noch keine Ströme von Millionen von Flüchtlingen nach Europa oder terroristische Angriffe durch radikale Islamisten von Paris bis Berlin gegeben hatte.

EU könnte Druck ausüben - lässt es aber aus gewichtigen Gründen sein

As-Sisikämpft im Sinai gegen Al-Kaida, hat einen stabilisierenden Einfluss auf Libyen durch General Khalifa Haftar und vermittelt im syrischen Dialog. Im Sommer 2017 fanden in Kairo Verhandlungen zwischen dem russischen Militär und der syrischen Opposition über die Deeskalationszone im Ost-Ghuta statt. Brüssel braucht As-Sisi wieder, um zu verhindern, dass die zweite Schleuse (nach Libyen) der Migration und des Terrorismus nach Europa eröffnet wird. Im Vergleich dazu haben die "Menschenrechten" derzeit nicht die oberste Priorität. 

Gegner dieser Politik sind davon überzeugt, dass die EU auf jeden Fall Druck auf Ägypten ausüben könne, weil Kairo wirtschaftlich von Brüssel zu stark abhängig ist, um infolge von Kritik im Zusammenhang mit der Menschenrechtssituation die Zusammenarbeit zu beenden. Auf die EU entfallen 75 Prozent aller ausländischen Investitionen in Ägypten - das waren etwa 41 Mrd. EUR im Jahr 2015 - in Ägypten und mehr als 30 Prozent des gesamten ägyptischen Handels. Der bilaterale Handel ist in der Zeit zwischen 2004 und 2016 von 11,8 auf 27,3 Milliarden Euro gewachsen. Ägypten hat eine Freihandelszone mit der EU, die Brüssel vertiefen will, und erhielt 1,3 Milliarden finanzielle Unterstützung aus europäischen Fonds. In den Jahren von 2017 bis 2020 ist im Rahmen des EU-Egypt Single Support Framework die Bereitstellung einer weiteren halben Milliarden Euro an Entwicklungshilfe geplant.  

Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der EU wäre demnach genug groß, aber es gibt auch eine umgekehrte Abhängigkeit, die mit dem "Schmerzpunkt" Europas verbunden ist - der Energiesicherheit. Im Jahr 2015 entdeckte der italienische Ölkonzern Eni auf dem ägyptischen Schelf große Gasreserven, deren Förderung im Dezember 2017 startete. An dem Projekt sind auch die britische BP mit einem Anteil von zehn Prozent und die russische Rosneft mit 30 Prozent beteiligt. Eine zehn-prozentige Beteiligung hat kürzlich auch die emiratische Mubadala Investment Company gekauft. Ägypten kann zu einem überregional bedeutsamen Energiehub werden. Bereits zuvor hatten auch Zypern und Israel damit begonnen, große Gasfelder - Aphrodite und Leviathan - zu entwickeln. Um den türkischen Widerstand gegen den Bau einer Gaspipeline auf dem Boden des Mittelmeers zu unterlaufen und kein Geld für LNG-Terminals ausgeben zu müssen, können Zypern und Israel ägyptische Häfen und Raffinerien für die Wiederausfuhr ihres Gases nach Europa ausnutzen. Die Europäischen Union braucht wiederum Ägypten, wie auch den Iran, um ihren wichtigsten Energielieferanten Russland unter Druck zu halten.

As-Sisi verstärkt die Beziehungen zu Russland und Saudi-Arabien

Was Russland betrifft, so balanciert As-Sisi geschickt zwischen West und Ost und zieht russische Öl- und Verteidigungsunternehmen an. Der ägyptische Präsident besuchte Russland bislang zweimal - in den Jahren 2014 und 2015 -, zeigte Interesse an Raketenabwehrsystemen des Typs S-400 und der Schaffung einer Freihandelszone mit der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft. Während Wladimir Putins Besuch in Kairo im Jahr 2015 haben sich die Parteien über den Bau des ersten ägyptischen Atomkraftwerks durch Rosatom vereinbart. Moskau sollte 25 Milliarden US-Dollar an Krediten bereitstellen. Vor kurzem wurde auch der Flugbetrieb wiederaufgenommen, der nach dem Terroranschlag auf die russische A321 über Sinai vor drei Jahren eingestellt worden war.

Moskau ist eine der zentralen Quelle der politischen Legitimität As-Sisis. Russland war das erste Land außerhalb der arabischen Welt, das dieser als Präsident besuchte. Neben dem zuvor benannten Syrien ist Kairo zudem in Libyen ein Verbündeter Moskaus, wo auch der Kreml den General Haftar favorisiert. Der bilaterale Umsatz in den russisch-ägyptischen Handelsbeziehungen umfasst mit vier Milliarden US-Dollar jedoch gerade mal ein Achtel jenes zwischen Kairo und der EU.  

Die Beziehungen zu den Ländern des Persischen Golfs und zur Volksrepublik China nehmen eine Sonderstellung ein. Nach der Machtübernahme von As-Sisi wurde Saudi-Arabien zu seinem Hauptsponsor. Riad kaufte von Kairo zwei Inseln am Ufer des Roten Meeres, auf denen das Königreich nun "Neom" baut, die Stadt der neuen Technologien. Die Stadt im Wert von 500 Milliarden US-Dollar wird über eine Brücke mit der ägyptischen Küste verbunden sein. Kronprinz Mohammed bin Salman hat bei seinem jüngsten Besuch in Kairo 16 Milliarden für die Entwicklung des ägyptischen Teils des Vorhabens bereitgestellt. Daneben wird ein weiteres großartiges Projekt entfaltet - die Erweiterung des Suez-Kanals und der Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt für Ägypten. Finanzspritzen dafür kommen aus kommen aus den VAE, von den Saudis und den Chinesen. Peking ist der größte Investor im Suezkanal-Korridorprojekt, das eine freie Wirtschaftszone einschließt.  

Wassermangel und Terrorismus als große Herausforderungen

Der ägyptische Politologe Amr Eldib stellt fest, dass Ägypten in den Zeiten von As-Sisi, im Gegensatz zu Mursi, eine ausgewogene und berechenbare Außenpolitik führt, obwohl es auch hier eine Prioritätshierarchie gibt.

Ägyptens Außenpolitik ist sehr stabil, besonders nach den Ereignissen von 2013. Das wichtigste in dieser Periode ist die Wiederaufnahme der strategischen Beziehungen mit dem alten Verbündeten - Russland: Wir sehen eine bedeutende Verstärkung dieser Beziehungen sowie häufige Besuche zwischen den Präsidenten der zwei Länder. Am Ende von Obamas Amtszeit bewegten sich die Beziehungen zu den USA in eine Sackgasse. Mit dem Aufkommen von Trump wurden sie wiederhergestellt, die Finanzhilfe der Vereinigten Staaten für Ägypten und gemeinsame Militärübungen wiederaufgenommen. Nur gegenüber Katar praktiziert Ägypten einen Boykott wegen der katarischen Unterstützung von Terroristen in Ägypten. Die wichtigsten Partner Ägyptens sind meiner Meinung nach die Vereinigten Staaten. Saudi-Arabien ist auf Platz zwei, auf dem dritten Russland, auf dem vierten Frankreich", sagte Dr. Eldib in einem Interview mit dem Autor.

Anders als die Türkei und Katar, die As-Sisis Todfeinde - die Muslimbruderschaft - unterstützen, genießt der ägyptische Präsident in den Augen der Weltgemeinschaft volle Legitimität. Er ist der Garant für Stabilität des bevölkerungsmäßig größten arabischen Landes. Für einige Länder wie die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien ist As-Sisi ein wichtiger Partner im "Nahost-Spiel", für andere, wie die EU, ein neues Gas-Partner und für dritte, wie China, ein Platz für Investitionen.

In den folgenden Jahren kann As-Sisi den Wettbewerb und die Kontroversen unter den Playern für Ägypten ausnutzen, es zu einem sicheren Land verwandeln und die Arbeitslosigkeit reduzieren. Doch es bleiben auch hier viele Herausforderungen auf diesem Weg. Die Bevölkerung wächst rasant, bis 2050 sollen es bis zu 150 Millionen sein, Al-Kaida und der IS bedrohen Tourismus und Investitionssicherheit. Die größte Bedrohung ist möglicherweise, dass Äthiopien einen riesigen Damm am Blauen Nil baut. Das könnte den Fluss des Wassers nach Ägypten um ein Drittel und damit die Produktion von Elektrizität um 40 Prozent reduzieren.

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